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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Sie Grafen von Altenschwerdt.

die Lippe biß. Deal dann würden Sie die Sonne im Rücken haben, während
sie Ihnen nachmittags auf dem linken Auge liegt.

Es ist wahr, entgegnete Eberhardt. Ich will es für heute aufgeben.

Wie lange sind Sie von Scholldorf unterwegs gewesen? fragte der
Baron.

Etwa zwei Stunden, wir hatten sehr guten Wind.

Der wird Ihnen aber auf dem Rückwege konträr sein.

Ich habe daran gedacht, und beabsichtige, zu Fuß zurückzukehren.

Eberhardt war einsilbig. Er dachte über den Blick des Grafen nach, und
es regten sich in ihm widerstreitende Gefühle. Handelte er recht, indem er sich
dem mächtigen, süßen Zuge seiner Empfindung überließ? Er hatte auf der Fahrt
hierher mit Entzücken an die Stunden gedacht, die er in der Gegenwart Doro-
theens verbringen würde, und hatte in der Erwartung dieses Glückes die Be¬
denken zum Schweigen gebracht, die sich ihm entgegenthürmten, wenn er an
seine Stellung in der Welt dachte. Zu Zeiten bäumte sich in ihm eine wilde
Entschlossenheit auf, die Ansprüche geltend zu machen, welche ihm zustanden,
dann aber wieder standen das Duldergesicht der Mutter und sein eignes Ver¬
sprechen vor ihm, und verschloß dem Ehrgeiz die Thür. In diesem Augenblicke
fühlte er seine Brust qualvoll bedrückt.

Was ist es, was mir die Ehre gebietet? fragte er sich, und welche Art
von Ehre ist es, der ich folgen soll? Ist es die Ehre, welche sich ans die Meinung
der Welt gründet, oder ist es die, welche die ewigen Grundsätze der Sittlichkeit
zum Fundamente hat? Und sind beide wirklich für mich in Zwiespalt miteinander?
Werde ich, wenn ich meinen wahren Namen und Titel offenbare und mich so
über den Wunsch meiner seligen Mutter und das eigne Versprechen hinwegsetze,
noch in meinem Innern dies Gefühl beständiger Zufriedenheit mit mir selbst
haben, welches die erste und einzige Bedingung des Glückes ist? Werde ich aber
nicht, wenn ich ihn verschweige, einen Verrat an ihr begehen, die mir höher
steht als alles andre?

Aber während er so in dem höchst peinlichen Zustande eines Mannes sich
befand, der von verschiednen starken Empfindungen bedrängt wird und sich keiner
einzigen ganz zu überlassen wagt, kam ein Zufall ihm zu Hilfe, den er in diesem
Augenblicke als ein günstiges Geschick freudig begrüßte. Der Schiffer, welcher
ihn hierher gebracht, hatte sich zur Wohnung des Haushofmeisters begeben und
dort ein gastfreundlich angebotenes Gläschen Genever getrunken. Er kam jetzt
in Begleitung des jüngsten Degenhard, des Freundes der blonden Millicent,
herangeschritten, und beide meinten, daß es ein vorzügliches Wetter und eine
günstige Gelegenheit sei, mit dem Schleppnetz zu fischen. Wenn es der Herr
Graf erlaubte, wollten sie mit beiden Booten hinausfahren. Und vielleicht, so
meinte Degenhard, würde es den Herrschaften Vergnügen machen, den Fang mit
anzusehen.


Sie Grafen von Altenschwerdt.

die Lippe biß. Deal dann würden Sie die Sonne im Rücken haben, während
sie Ihnen nachmittags auf dem linken Auge liegt.

Es ist wahr, entgegnete Eberhardt. Ich will es für heute aufgeben.

Wie lange sind Sie von Scholldorf unterwegs gewesen? fragte der
Baron.

Etwa zwei Stunden, wir hatten sehr guten Wind.

Der wird Ihnen aber auf dem Rückwege konträr sein.

Ich habe daran gedacht, und beabsichtige, zu Fuß zurückzukehren.

Eberhardt war einsilbig. Er dachte über den Blick des Grafen nach, und
es regten sich in ihm widerstreitende Gefühle. Handelte er recht, indem er sich
dem mächtigen, süßen Zuge seiner Empfindung überließ? Er hatte auf der Fahrt
hierher mit Entzücken an die Stunden gedacht, die er in der Gegenwart Doro-
theens verbringen würde, und hatte in der Erwartung dieses Glückes die Be¬
denken zum Schweigen gebracht, die sich ihm entgegenthürmten, wenn er an
seine Stellung in der Welt dachte. Zu Zeiten bäumte sich in ihm eine wilde
Entschlossenheit auf, die Ansprüche geltend zu machen, welche ihm zustanden,
dann aber wieder standen das Duldergesicht der Mutter und sein eignes Ver¬
sprechen vor ihm, und verschloß dem Ehrgeiz die Thür. In diesem Augenblicke
fühlte er seine Brust qualvoll bedrückt.

Was ist es, was mir die Ehre gebietet? fragte er sich, und welche Art
von Ehre ist es, der ich folgen soll? Ist es die Ehre, welche sich ans die Meinung
der Welt gründet, oder ist es die, welche die ewigen Grundsätze der Sittlichkeit
zum Fundamente hat? Und sind beide wirklich für mich in Zwiespalt miteinander?
Werde ich, wenn ich meinen wahren Namen und Titel offenbare und mich so
über den Wunsch meiner seligen Mutter und das eigne Versprechen hinwegsetze,
noch in meinem Innern dies Gefühl beständiger Zufriedenheit mit mir selbst
haben, welches die erste und einzige Bedingung des Glückes ist? Werde ich aber
nicht, wenn ich ihn verschweige, einen Verrat an ihr begehen, die mir höher
steht als alles andre?

Aber während er so in dem höchst peinlichen Zustande eines Mannes sich
befand, der von verschiednen starken Empfindungen bedrängt wird und sich keiner
einzigen ganz zu überlassen wagt, kam ein Zufall ihm zu Hilfe, den er in diesem
Augenblicke als ein günstiges Geschick freudig begrüßte. Der Schiffer, welcher
ihn hierher gebracht, hatte sich zur Wohnung des Haushofmeisters begeben und
dort ein gastfreundlich angebotenes Gläschen Genever getrunken. Er kam jetzt
in Begleitung des jüngsten Degenhard, des Freundes der blonden Millicent,
herangeschritten, und beide meinten, daß es ein vorzügliches Wetter und eine
günstige Gelegenheit sei, mit dem Schleppnetz zu fischen. Wenn es der Herr
Graf erlaubte, wollten sie mit beiden Booten hinausfahren. Und vielleicht, so
meinte Degenhard, würde es den Herrschaften Vergnügen machen, den Fang mit
anzusehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/602>, abgerufen am 17.06.2024.