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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwcrdt.

Ein reizender Mensch! sagte Millicent, durch ihr Glas blickend. Er hat
dunkle Augen und einen entzückenden kleinen Schnurrbart, aber er macht ein
melancholisches Gesicht und lehnt sich zurück, als ob er müde von der Spazier¬
fahrt wäre. Die Mutter sieht so aus, daß ich nicht bei ihr Kaffee trinken
möchte, wenn ich wüßte, sie haßte mich. Ich denke mir, Katharina von Medici
hat solch eine Nase gehabt

Dorothea schüttelte den Kopf und ging, ohne auf Milliceuts dienstbeflissene
Versuche einer Verschönerung ihrer Frisur einzugehen, hinunter in die Halle,
wo nach Anordnung ihres Vaters die Gäste empfangen werden sollten. Sie
fand ihn bereits dort, da man ihm die Einfahrt des Wagens gemeldet hatte.
Er ging auf und ab in dem weiten Raume, der die Schritte haltend wieder¬
tönen ließ, wo nicht etwa der Fuß auf die Teppiche und Felle der einzelnen
Ruheplätze getreten hatte, und es kam Dorothea so vor, als ließe sich eine Art
von Feierlichkeit in seinem Wesen bemerken. Er zog den linken Fuß noch etwas
nach und setzte ihn behutsam hin, doch war dies das einzige Zeichen des letzten
Gichtanfalls, denn seine Haltung war stramm und seine Gesichtsfarbe frisch. Er
blieb stehen, als er Dorothea kommen sah, und warf einen prüfenden Blick unter
den grauen, trotzigen Brauen hervor auf ihre Erscheinung, gleich als halte er
vor der Front seiner Schwadron und beobachte deren Paradestellung.

Ein Lächeln überflog seine verwitterten Züge, als er die Schönheit seiner
Tochter auch bei der strengsten Beurteilung anerkennen mußte, und er sagte mit
freundlichem Tone: Das ist recht, mein Kind, daß du immer hübsch pünktlich
bist. Wirst du wohl von mir geerbt haben. Es ist im allgemeinen eine Eigen¬
tümlichkeit des Weibervolkes, daß sie allemal in dem Augenblick, wo sie am Platze
sein sollen, zehntausend verdammte Nebendinge treiben, Kinkerlitzchen suchen und
ihre Männer und Väter warten lassen.

Dorothea war so wenig verwöhnt durch väterliche Liebe, daß selbst dieses
in seiner Form etwas rauhe Kompliment wie Sonnenschein auf ihr Gemüt ge¬
fallen wäre, hätten nicht die Umstände gerade jetzt die Aufmerksamkeit des
Barons ihrem argwöhnisch gewordenen Sinn etwas verdächtiges gehabt. Es war
ihr selbst unbegreiflich, wie sie dazu kommen könne, Argwohn zu hegen. Das
lag sonst nicht in ihrer Natur. Aber sie konnte sich nicht enthalten, den un¬
greifbaren Stimmen zu lauschen, die leise in ihrem Herzen ertönten.

Die Gräfin Altenschwerdt trat ein, der Baron eilte ihr entgegen. Indem
sie in der großen Thür erschien, deren beide Flügel der wohlgeschulte Diener
aufgerissen hatte, fiel das volle Licht aus dem gegenüberliegenden hohen Fenster
auf ihre Gestalt, und sie erschien ans dem dunkeln Hintergrunde wie ein Ge¬
mälde, das Bildnis einer stolzen und gebieterischen Fürstin. Dorothea blickte
ihr voll ins Gesicht, und es schien ihr, als gewonnen die unbestimmten Be¬
fürchtungen in ihrem Herzen greifbare Gestalt. Sie konnte den Blick nicht ab¬
wenden von dieser Frau. Sie sah die schön geschwungenen Augenbrauen, die


Die Grafen von Altenschwcrdt.

Ein reizender Mensch! sagte Millicent, durch ihr Glas blickend. Er hat
dunkle Augen und einen entzückenden kleinen Schnurrbart, aber er macht ein
melancholisches Gesicht und lehnt sich zurück, als ob er müde von der Spazier¬
fahrt wäre. Die Mutter sieht so aus, daß ich nicht bei ihr Kaffee trinken
möchte, wenn ich wüßte, sie haßte mich. Ich denke mir, Katharina von Medici
hat solch eine Nase gehabt

Dorothea schüttelte den Kopf und ging, ohne auf Milliceuts dienstbeflissene
Versuche einer Verschönerung ihrer Frisur einzugehen, hinunter in die Halle,
wo nach Anordnung ihres Vaters die Gäste empfangen werden sollten. Sie
fand ihn bereits dort, da man ihm die Einfahrt des Wagens gemeldet hatte.
Er ging auf und ab in dem weiten Raume, der die Schritte haltend wieder¬
tönen ließ, wo nicht etwa der Fuß auf die Teppiche und Felle der einzelnen
Ruheplätze getreten hatte, und es kam Dorothea so vor, als ließe sich eine Art
von Feierlichkeit in seinem Wesen bemerken. Er zog den linken Fuß noch etwas
nach und setzte ihn behutsam hin, doch war dies das einzige Zeichen des letzten
Gichtanfalls, denn seine Haltung war stramm und seine Gesichtsfarbe frisch. Er
blieb stehen, als er Dorothea kommen sah, und warf einen prüfenden Blick unter
den grauen, trotzigen Brauen hervor auf ihre Erscheinung, gleich als halte er
vor der Front seiner Schwadron und beobachte deren Paradestellung.

Ein Lächeln überflog seine verwitterten Züge, als er die Schönheit seiner
Tochter auch bei der strengsten Beurteilung anerkennen mußte, und er sagte mit
freundlichem Tone: Das ist recht, mein Kind, daß du immer hübsch pünktlich
bist. Wirst du wohl von mir geerbt haben. Es ist im allgemeinen eine Eigen¬
tümlichkeit des Weibervolkes, daß sie allemal in dem Augenblick, wo sie am Platze
sein sollen, zehntausend verdammte Nebendinge treiben, Kinkerlitzchen suchen und
ihre Männer und Väter warten lassen.

Dorothea war so wenig verwöhnt durch väterliche Liebe, daß selbst dieses
in seiner Form etwas rauhe Kompliment wie Sonnenschein auf ihr Gemüt ge¬
fallen wäre, hätten nicht die Umstände gerade jetzt die Aufmerksamkeit des
Barons ihrem argwöhnisch gewordenen Sinn etwas verdächtiges gehabt. Es war
ihr selbst unbegreiflich, wie sie dazu kommen könne, Argwohn zu hegen. Das
lag sonst nicht in ihrer Natur. Aber sie konnte sich nicht enthalten, den un¬
greifbaren Stimmen zu lauschen, die leise in ihrem Herzen ertönten.

Die Gräfin Altenschwerdt trat ein, der Baron eilte ihr entgegen. Indem
sie in der großen Thür erschien, deren beide Flügel der wohlgeschulte Diener
aufgerissen hatte, fiel das volle Licht aus dem gegenüberliegenden hohen Fenster
auf ihre Gestalt, und sie erschien ans dem dunkeln Hintergrunde wie ein Ge¬
mälde, das Bildnis einer stolzen und gebieterischen Fürstin. Dorothea blickte
ihr voll ins Gesicht, und es schien ihr, als gewonnen die unbestimmten Be¬
fürchtungen in ihrem Herzen greifbare Gestalt. Sie konnte den Blick nicht ab¬
wenden von dieser Frau. Sie sah die schön geschwungenen Augenbrauen, die


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[0714] Die Grafen von Altenschwcrdt. Ein reizender Mensch! sagte Millicent, durch ihr Glas blickend. Er hat dunkle Augen und einen entzückenden kleinen Schnurrbart, aber er macht ein melancholisches Gesicht und lehnt sich zurück, als ob er müde von der Spazier¬ fahrt wäre. Die Mutter sieht so aus, daß ich nicht bei ihr Kaffee trinken möchte, wenn ich wüßte, sie haßte mich. Ich denke mir, Katharina von Medici hat solch eine Nase gehabt Dorothea schüttelte den Kopf und ging, ohne auf Milliceuts dienstbeflissene Versuche einer Verschönerung ihrer Frisur einzugehen, hinunter in die Halle, wo nach Anordnung ihres Vaters die Gäste empfangen werden sollten. Sie fand ihn bereits dort, da man ihm die Einfahrt des Wagens gemeldet hatte. Er ging auf und ab in dem weiten Raume, der die Schritte haltend wieder¬ tönen ließ, wo nicht etwa der Fuß auf die Teppiche und Felle der einzelnen Ruheplätze getreten hatte, und es kam Dorothea so vor, als ließe sich eine Art von Feierlichkeit in seinem Wesen bemerken. Er zog den linken Fuß noch etwas nach und setzte ihn behutsam hin, doch war dies das einzige Zeichen des letzten Gichtanfalls, denn seine Haltung war stramm und seine Gesichtsfarbe frisch. Er blieb stehen, als er Dorothea kommen sah, und warf einen prüfenden Blick unter den grauen, trotzigen Brauen hervor auf ihre Erscheinung, gleich als halte er vor der Front seiner Schwadron und beobachte deren Paradestellung. Ein Lächeln überflog seine verwitterten Züge, als er die Schönheit seiner Tochter auch bei der strengsten Beurteilung anerkennen mußte, und er sagte mit freundlichem Tone: Das ist recht, mein Kind, daß du immer hübsch pünktlich bist. Wirst du wohl von mir geerbt haben. Es ist im allgemeinen eine Eigen¬ tümlichkeit des Weibervolkes, daß sie allemal in dem Augenblick, wo sie am Platze sein sollen, zehntausend verdammte Nebendinge treiben, Kinkerlitzchen suchen und ihre Männer und Väter warten lassen. Dorothea war so wenig verwöhnt durch väterliche Liebe, daß selbst dieses in seiner Form etwas rauhe Kompliment wie Sonnenschein auf ihr Gemüt ge¬ fallen wäre, hätten nicht die Umstände gerade jetzt die Aufmerksamkeit des Barons ihrem argwöhnisch gewordenen Sinn etwas verdächtiges gehabt. Es war ihr selbst unbegreiflich, wie sie dazu kommen könne, Argwohn zu hegen. Das lag sonst nicht in ihrer Natur. Aber sie konnte sich nicht enthalten, den un¬ greifbaren Stimmen zu lauschen, die leise in ihrem Herzen ertönten. Die Gräfin Altenschwerdt trat ein, der Baron eilte ihr entgegen. Indem sie in der großen Thür erschien, deren beide Flügel der wohlgeschulte Diener aufgerissen hatte, fiel das volle Licht aus dem gegenüberliegenden hohen Fenster auf ihre Gestalt, und sie erschien ans dem dunkeln Hintergrunde wie ein Ge¬ mälde, das Bildnis einer stolzen und gebieterischen Fürstin. Dorothea blickte ihr voll ins Gesicht, und es schien ihr, als gewonnen die unbestimmten Be¬ fürchtungen in ihrem Herzen greifbare Gestalt. Sie konnte den Blick nicht ab¬ wenden von dieser Frau. Sie sah die schön geschwungenen Augenbrauen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/714>, abgerufen am 17.06.2024.