Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Grafen von Altenschwerbt.

Adlernase und die funkelnden Augen wie die prächtigen Farben vor sich, als
würde dieses Bild ihr für immer ins Gedächtnis gebrannt, und sie wußte
von der ersten Sekunde an, daß dies eine Feindin sei. Es erfolgte ein eif¬
riges Händeschütteln und ein Austausch von Höflichkeiten zwischen der Gräfin
und dem Baron, wobei der frühern Jahrhunderte gedacht wurde, in denen die
Sextus und die Altenschwerdt befreundet gewesen, und dann stand Dorothea
vor der Gräfin und fühlte sich alsbald an der Hand gezogen und von zärtlichen
Armen umschlossen. Ein leichter Kuß hauchte auf ihre Stirn. Es war der
Gräfin Sibylle ein Bedürfnis, den lieblichen Sproß des in ihrer Familie so
oft genannten alten, stolzen Geschlechts beim ersten Anblick zu umarmen. Als¬
dann stellte sie ihren Sohn vor. Dorothea mußte sich gestehen: so unheimlich
ihr die Gräfin war -- ihr Sohn machte den Eindruck eines Edelmannes.
Seine Verbeugung war ehrfurchtsvoll, verbindlich und verriet die Gewohnheit
der guten Gesellschaft, sein Blick war ausdrucksvoll und angenehm, seine Worte
waren ruhig und gewählt.

Baron Sextus bot jetzt der Gräfin den Arm, um sie zu der behaglichen
Ecke der Halle zu führen, wo der Kaffee aufgetragen war. Sie nahm den
Arm mit einem süßen Lächeln, das wie Sonnenschein auf das braunrote, runz¬
lige Soldatengesicht fallen sollte, und ging gemessenen Schrittes an seiner Seite
dahin. Die Schleppe ihres prachtvollen schwarzen Seidenkleides, das von oben
bis unten mit schwarzen Spitzen besetzt war, zog lang hinter ihr her, sodaß
Dietrich und Dorothea, die dem ältern Paare folgten, sich in der Entfernung
mehrerer Schritte halten mußten.

Dorothea konnte auch am Kaffeetisch nicht unterlassen, während sie sich
mit dem jungen Grafen unterhielt, ihre ruhig prüfenden Blicke nach der Gräfin
hinüberzusenden, die auf der andern Seite des Tisches saß und völlig von der
Unterhaltung mit dem Baron in Anspruch genommen zu sein schien. Sie ver¬
stand es sich zu kleiden, das mußte Dorothea zugestehen. Sie trug ein schwarzes
Spitzentuch auf dem Kopfe, das mit Diamantnadelu an dem schwarzen Haar
festgesteckt war, und die Art der Faltung dieses Tuches, welches ihr vorzüglich
stand, war so eigentümlich und so kunstvoll, wie Dorothea dergleichen noch nie¬
mals gesehen hatte. Welch ein Funkeln dieser schwarzen Augen, ein Funkeln,
das mit dem der Diamanten wetteiferte! War hier auch Kunst möglich, wie
bei dem Weiß und Rot des Gesichtes, über dessen Echtheit sich Dorotheens
Scharfblick nicht täuschen konnte? Der feine Duft eines Parfüms von Atkinson,
frischgemähten Heu ähnlich, zog von den Gewändern dieser Weltdame herüber
und ließ Dorothea denken, daß sie nie wieder mit ganz reiner Empfindung an
einer Wiese werde vorübergehen können, auf welcher Heuhaufen lägen.

Aber die angenehme Wirkung hatte der Besuch auf Dorothea, daß sie im
Gespräch mit Dietrich und in Beobachtung der Gräfin völlig das Gefühl der
Beklemmung verlor, welches sie vorher gepeinigt hatte. Sie fühlte sich erregt,


Die Grafen von Altenschwerbt.

Adlernase und die funkelnden Augen wie die prächtigen Farben vor sich, als
würde dieses Bild ihr für immer ins Gedächtnis gebrannt, und sie wußte
von der ersten Sekunde an, daß dies eine Feindin sei. Es erfolgte ein eif¬
riges Händeschütteln und ein Austausch von Höflichkeiten zwischen der Gräfin
und dem Baron, wobei der frühern Jahrhunderte gedacht wurde, in denen die
Sextus und die Altenschwerdt befreundet gewesen, und dann stand Dorothea
vor der Gräfin und fühlte sich alsbald an der Hand gezogen und von zärtlichen
Armen umschlossen. Ein leichter Kuß hauchte auf ihre Stirn. Es war der
Gräfin Sibylle ein Bedürfnis, den lieblichen Sproß des in ihrer Familie so
oft genannten alten, stolzen Geschlechts beim ersten Anblick zu umarmen. Als¬
dann stellte sie ihren Sohn vor. Dorothea mußte sich gestehen: so unheimlich
ihr die Gräfin war — ihr Sohn machte den Eindruck eines Edelmannes.
Seine Verbeugung war ehrfurchtsvoll, verbindlich und verriet die Gewohnheit
der guten Gesellschaft, sein Blick war ausdrucksvoll und angenehm, seine Worte
waren ruhig und gewählt.

Baron Sextus bot jetzt der Gräfin den Arm, um sie zu der behaglichen
Ecke der Halle zu führen, wo der Kaffee aufgetragen war. Sie nahm den
Arm mit einem süßen Lächeln, das wie Sonnenschein auf das braunrote, runz¬
lige Soldatengesicht fallen sollte, und ging gemessenen Schrittes an seiner Seite
dahin. Die Schleppe ihres prachtvollen schwarzen Seidenkleides, das von oben
bis unten mit schwarzen Spitzen besetzt war, zog lang hinter ihr her, sodaß
Dietrich und Dorothea, die dem ältern Paare folgten, sich in der Entfernung
mehrerer Schritte halten mußten.

Dorothea konnte auch am Kaffeetisch nicht unterlassen, während sie sich
mit dem jungen Grafen unterhielt, ihre ruhig prüfenden Blicke nach der Gräfin
hinüberzusenden, die auf der andern Seite des Tisches saß und völlig von der
Unterhaltung mit dem Baron in Anspruch genommen zu sein schien. Sie ver¬
stand es sich zu kleiden, das mußte Dorothea zugestehen. Sie trug ein schwarzes
Spitzentuch auf dem Kopfe, das mit Diamantnadelu an dem schwarzen Haar
festgesteckt war, und die Art der Faltung dieses Tuches, welches ihr vorzüglich
stand, war so eigentümlich und so kunstvoll, wie Dorothea dergleichen noch nie¬
mals gesehen hatte. Welch ein Funkeln dieser schwarzen Augen, ein Funkeln,
das mit dem der Diamanten wetteiferte! War hier auch Kunst möglich, wie
bei dem Weiß und Rot des Gesichtes, über dessen Echtheit sich Dorotheens
Scharfblick nicht täuschen konnte? Der feine Duft eines Parfüms von Atkinson,
frischgemähten Heu ähnlich, zog von den Gewändern dieser Weltdame herüber
und ließ Dorothea denken, daß sie nie wieder mit ganz reiner Empfindung an
einer Wiese werde vorübergehen können, auf welcher Heuhaufen lägen.

Aber die angenehme Wirkung hatte der Besuch auf Dorothea, daß sie im
Gespräch mit Dietrich und in Beobachtung der Gräfin völlig das Gefühl der
Beklemmung verlor, welches sie vorher gepeinigt hatte. Sie fühlte sich erregt,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0715" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152740"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altenschwerbt.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2758" prev="#ID_2757"> Adlernase und die funkelnden Augen wie die prächtigen Farben vor sich, als<lb/>
würde dieses Bild ihr für immer ins Gedächtnis gebrannt, und sie wußte<lb/>
von der ersten Sekunde an, daß dies eine Feindin sei. Es erfolgte ein eif¬<lb/>
riges Händeschütteln und ein Austausch von Höflichkeiten zwischen der Gräfin<lb/>
und dem Baron, wobei der frühern Jahrhunderte gedacht wurde, in denen die<lb/>
Sextus und die Altenschwerdt befreundet gewesen, und dann stand Dorothea<lb/>
vor der Gräfin und fühlte sich alsbald an der Hand gezogen und von zärtlichen<lb/>
Armen umschlossen. Ein leichter Kuß hauchte auf ihre Stirn. Es war der<lb/>
Gräfin Sibylle ein Bedürfnis, den lieblichen Sproß des in ihrer Familie so<lb/>
oft genannten alten, stolzen Geschlechts beim ersten Anblick zu umarmen. Als¬<lb/>
dann stellte sie ihren Sohn vor. Dorothea mußte sich gestehen: so unheimlich<lb/>
ihr die Gräfin war &#x2014; ihr Sohn machte den Eindruck eines Edelmannes.<lb/>
Seine Verbeugung war ehrfurchtsvoll, verbindlich und verriet die Gewohnheit<lb/>
der guten Gesellschaft, sein Blick war ausdrucksvoll und angenehm, seine Worte<lb/>
waren ruhig und gewählt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2759"> Baron Sextus bot jetzt der Gräfin den Arm, um sie zu der behaglichen<lb/>
Ecke der Halle zu führen, wo der Kaffee aufgetragen war. Sie nahm den<lb/>
Arm mit einem süßen Lächeln, das wie Sonnenschein auf das braunrote, runz¬<lb/>
lige Soldatengesicht fallen sollte, und ging gemessenen Schrittes an seiner Seite<lb/>
dahin. Die Schleppe ihres prachtvollen schwarzen Seidenkleides, das von oben<lb/>
bis unten mit schwarzen Spitzen besetzt war, zog lang hinter ihr her, sodaß<lb/>
Dietrich und Dorothea, die dem ältern Paare folgten, sich in der Entfernung<lb/>
mehrerer Schritte halten mußten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2760"> Dorothea konnte auch am Kaffeetisch nicht unterlassen, während sie sich<lb/>
mit dem jungen Grafen unterhielt, ihre ruhig prüfenden Blicke nach der Gräfin<lb/>
hinüberzusenden, die auf der andern Seite des Tisches saß und völlig von der<lb/>
Unterhaltung mit dem Baron in Anspruch genommen zu sein schien. Sie ver¬<lb/>
stand es sich zu kleiden, das mußte Dorothea zugestehen. Sie trug ein schwarzes<lb/>
Spitzentuch auf dem Kopfe, das mit Diamantnadelu an dem schwarzen Haar<lb/>
festgesteckt war, und die Art der Faltung dieses Tuches, welches ihr vorzüglich<lb/>
stand, war so eigentümlich und so kunstvoll, wie Dorothea dergleichen noch nie¬<lb/>
mals gesehen hatte. Welch ein Funkeln dieser schwarzen Augen, ein Funkeln,<lb/>
das mit dem der Diamanten wetteiferte! War hier auch Kunst möglich, wie<lb/>
bei dem Weiß und Rot des Gesichtes, über dessen Echtheit sich Dorotheens<lb/>
Scharfblick nicht täuschen konnte? Der feine Duft eines Parfüms von Atkinson,<lb/>
frischgemähten Heu ähnlich, zog von den Gewändern dieser Weltdame herüber<lb/>
und ließ Dorothea denken, daß sie nie wieder mit ganz reiner Empfindung an<lb/>
einer Wiese werde vorübergehen können, auf welcher Heuhaufen lägen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2761" next="#ID_2762"> Aber die angenehme Wirkung hatte der Besuch auf Dorothea, daß sie im<lb/>
Gespräch mit Dietrich und in Beobachtung der Gräfin völlig das Gefühl der<lb/>
Beklemmung verlor, welches sie vorher gepeinigt hatte. Sie fühlte sich erregt,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0715] Die Grafen von Altenschwerbt. Adlernase und die funkelnden Augen wie die prächtigen Farben vor sich, als würde dieses Bild ihr für immer ins Gedächtnis gebrannt, und sie wußte von der ersten Sekunde an, daß dies eine Feindin sei. Es erfolgte ein eif¬ riges Händeschütteln und ein Austausch von Höflichkeiten zwischen der Gräfin und dem Baron, wobei der frühern Jahrhunderte gedacht wurde, in denen die Sextus und die Altenschwerdt befreundet gewesen, und dann stand Dorothea vor der Gräfin und fühlte sich alsbald an der Hand gezogen und von zärtlichen Armen umschlossen. Ein leichter Kuß hauchte auf ihre Stirn. Es war der Gräfin Sibylle ein Bedürfnis, den lieblichen Sproß des in ihrer Familie so oft genannten alten, stolzen Geschlechts beim ersten Anblick zu umarmen. Als¬ dann stellte sie ihren Sohn vor. Dorothea mußte sich gestehen: so unheimlich ihr die Gräfin war — ihr Sohn machte den Eindruck eines Edelmannes. Seine Verbeugung war ehrfurchtsvoll, verbindlich und verriet die Gewohnheit der guten Gesellschaft, sein Blick war ausdrucksvoll und angenehm, seine Worte waren ruhig und gewählt. Baron Sextus bot jetzt der Gräfin den Arm, um sie zu der behaglichen Ecke der Halle zu führen, wo der Kaffee aufgetragen war. Sie nahm den Arm mit einem süßen Lächeln, das wie Sonnenschein auf das braunrote, runz¬ lige Soldatengesicht fallen sollte, und ging gemessenen Schrittes an seiner Seite dahin. Die Schleppe ihres prachtvollen schwarzen Seidenkleides, das von oben bis unten mit schwarzen Spitzen besetzt war, zog lang hinter ihr her, sodaß Dietrich und Dorothea, die dem ältern Paare folgten, sich in der Entfernung mehrerer Schritte halten mußten. Dorothea konnte auch am Kaffeetisch nicht unterlassen, während sie sich mit dem jungen Grafen unterhielt, ihre ruhig prüfenden Blicke nach der Gräfin hinüberzusenden, die auf der andern Seite des Tisches saß und völlig von der Unterhaltung mit dem Baron in Anspruch genommen zu sein schien. Sie ver¬ stand es sich zu kleiden, das mußte Dorothea zugestehen. Sie trug ein schwarzes Spitzentuch auf dem Kopfe, das mit Diamantnadelu an dem schwarzen Haar festgesteckt war, und die Art der Faltung dieses Tuches, welches ihr vorzüglich stand, war so eigentümlich und so kunstvoll, wie Dorothea dergleichen noch nie¬ mals gesehen hatte. Welch ein Funkeln dieser schwarzen Augen, ein Funkeln, das mit dem der Diamanten wetteiferte! War hier auch Kunst möglich, wie bei dem Weiß und Rot des Gesichtes, über dessen Echtheit sich Dorotheens Scharfblick nicht täuschen konnte? Der feine Duft eines Parfüms von Atkinson, frischgemähten Heu ähnlich, zog von den Gewändern dieser Weltdame herüber und ließ Dorothea denken, daß sie nie wieder mit ganz reiner Empfindung an einer Wiese werde vorübergehen können, auf welcher Heuhaufen lägen. Aber die angenehme Wirkung hatte der Besuch auf Dorothea, daß sie im Gespräch mit Dietrich und in Beobachtung der Gräfin völlig das Gefühl der Beklemmung verlor, welches sie vorher gepeinigt hatte. Sie fühlte sich erregt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/715
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/715>, abgerufen am 26.05.2024.