Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Literatur.

sammenschmiede, welche einen andern liebt, eher will ich -- ich weiß nicht
was thun.

Gräfin Sibylle trat einen Schritt zurück, zog ihr Taschentuch hervor, preßte
es an die Augen und wankte nach dem Sopha. Dort ließ sie sich niedersinken,
verhüllte ihr Gesicht und blieb schweigend liegen.

Dietrich sah dies eine Weile mit an, stand dann auf und ging seinerseits
auf und nieder im Zimmer, indem er den Schnurrbart drehte und seine Füße
betrachtete.

Ich begreife dich nicht, Mama, sagte er. Du bist eine so vernünftige, eine
so geistreiche Frau. Aber alle Welt scheint den Verstand und die Moral nur
im Munde zu führen und in ihren Handlungen thöricht und unmoralisch zu
sein. Man kann die schönsten Sentenzen alle Tage von allen Leuten hören,
aber niemals sieht man, daß die Weisheit Gestalt bekommt und sich im Leben
zeigt. Ich wollte wetten: wenn man dich fragte, welches die erste Bedingung
einer glücklichen Ehe wäre, so würdest du antworten, es wäre die gegenseitige
Neigung, gestützt auf Übereinstimmung von Charakter und Temperament. Das
würdest du sicher antworten, und es würde dir garnicht einfallen, zu behaupten,
es käme nur auf das Vermögen an, alles andre wäre gleichgiltig. Und wenn
jemand behaupten wollte, eine glückliche Ehe wäre möglich, wenn die Frau eine"
andern liebte und der Mann dazu noch durch Charakter und Temperament der
Frau ganz fremd gegenüber stünde, so würdest du ihm erwiedern, diese Be¬
hauptung wäre der Gipfelpunkt der Frivolität. Du kannst es nicht leugne",
daß du so sprechen würdest. Und trotzdem, nun es sich um dich selbst und um
deinen einzigen Sohn handelt, stellst du in der Wirklichkeit, wo nicht Konver¬
sation gemacht wird, sondern die That spricht -- da stellst du die Sache auf
den Kopf und verlangst von mir, daß ich etwas thue, was nach aller Welt
Meinung und auch nach deiner eignen frivol und unmoralisch und thöricht ist. Es
ist eine widerwärtige Heuchelei in der Welt, und man verliert wirklich alle Lust,
in ihr zu Verkehren. Ich begreife die Lebensart des alten Generals. Er ist
der einzige Vernünftige. Ich selbst hätte auch die größte Neigung, so zu leben
wie er, und zurückgezogen an einem schönen, einsamen Punkte mich nur mit
dem Anblick der Natur und dem Studium der Geistesheroen zu beschäftigen.

(Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart auf den bisherigen Grundlagen. Von
Dr. Aug. Will), Heffter. 7. Ausgabe. Bearbeitet von Dr. F. Heinrich Geffcken, Professor
in Straßburg. Berlin, H. W. Müller, 1382.
I,s äroiti illtisrns-lion",! Ah 1'Luroxs. ^V. Lstttsr. 4dM° gMign er-Myatsg
ÄNKwontes ot xmnotvs, ZZerlm, R, Nüllsr. ?aris, ^. Lotillon Ä (Ao,, 1833.

Das Völkerrecht begegnet immer noch Widersachern, die an seine Existenz
nicht glauben wollen, während es in Wahrheit täglich unter den Nationen im


Literatur.

sammenschmiede, welche einen andern liebt, eher will ich — ich weiß nicht
was thun.

Gräfin Sibylle trat einen Schritt zurück, zog ihr Taschentuch hervor, preßte
es an die Augen und wankte nach dem Sopha. Dort ließ sie sich niedersinken,
verhüllte ihr Gesicht und blieb schweigend liegen.

Dietrich sah dies eine Weile mit an, stand dann auf und ging seinerseits
auf und nieder im Zimmer, indem er den Schnurrbart drehte und seine Füße
betrachtete.

Ich begreife dich nicht, Mama, sagte er. Du bist eine so vernünftige, eine
so geistreiche Frau. Aber alle Welt scheint den Verstand und die Moral nur
im Munde zu führen und in ihren Handlungen thöricht und unmoralisch zu
sein. Man kann die schönsten Sentenzen alle Tage von allen Leuten hören,
aber niemals sieht man, daß die Weisheit Gestalt bekommt und sich im Leben
zeigt. Ich wollte wetten: wenn man dich fragte, welches die erste Bedingung
einer glücklichen Ehe wäre, so würdest du antworten, es wäre die gegenseitige
Neigung, gestützt auf Übereinstimmung von Charakter und Temperament. Das
würdest du sicher antworten, und es würde dir garnicht einfallen, zu behaupten,
es käme nur auf das Vermögen an, alles andre wäre gleichgiltig. Und wenn
jemand behaupten wollte, eine glückliche Ehe wäre möglich, wenn die Frau eine»
andern liebte und der Mann dazu noch durch Charakter und Temperament der
Frau ganz fremd gegenüber stünde, so würdest du ihm erwiedern, diese Be¬
hauptung wäre der Gipfelpunkt der Frivolität. Du kannst es nicht leugne»,
daß du so sprechen würdest. Und trotzdem, nun es sich um dich selbst und um
deinen einzigen Sohn handelt, stellst du in der Wirklichkeit, wo nicht Konver¬
sation gemacht wird, sondern die That spricht — da stellst du die Sache auf
den Kopf und verlangst von mir, daß ich etwas thue, was nach aller Welt
Meinung und auch nach deiner eignen frivol und unmoralisch und thöricht ist. Es
ist eine widerwärtige Heuchelei in der Welt, und man verliert wirklich alle Lust,
in ihr zu Verkehren. Ich begreife die Lebensart des alten Generals. Er ist
der einzige Vernünftige. Ich selbst hätte auch die größte Neigung, so zu leben
wie er, und zurückgezogen an einem schönen, einsamen Punkte mich nur mit
dem Anblick der Natur und dem Studium der Geistesheroen zu beschäftigen.

(Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart auf den bisherigen Grundlagen. Von
Dr. Aug. Will), Heffter. 7. Ausgabe. Bearbeitet von Dr. F. Heinrich Geffcken, Professor
in Straßburg. Berlin, H. W. Müller, 1382.
I,s äroiti illtisrns-lion»,! Ah 1'Luroxs. ^V. Lstttsr. 4dM° gMign er-Myatsg
ÄNKwontes ot xmnotvs, ZZerlm, R, Nüllsr. ?aris, ^. Lotillon Ä (Ao,, 1833.

Das Völkerrecht begegnet immer noch Widersachern, die an seine Existenz
nicht glauben wollen, während es in Wahrheit täglich unter den Nationen im


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0326" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153075"/>
          <fw type="header" place="top"> Literatur.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1315" prev="#ID_1314"> sammenschmiede, welche einen andern liebt, eher will ich &#x2014; ich weiß nicht<lb/>
was thun.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1316"> Gräfin Sibylle trat einen Schritt zurück, zog ihr Taschentuch hervor, preßte<lb/>
es an die Augen und wankte nach dem Sopha. Dort ließ sie sich niedersinken,<lb/>
verhüllte ihr Gesicht und blieb schweigend liegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1317"> Dietrich sah dies eine Weile mit an, stand dann auf und ging seinerseits<lb/>
auf und nieder im Zimmer, indem er den Schnurrbart drehte und seine Füße<lb/>
betrachtete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1318"> Ich begreife dich nicht, Mama, sagte er. Du bist eine so vernünftige, eine<lb/>
so geistreiche Frau. Aber alle Welt scheint den Verstand und die Moral nur<lb/>
im Munde zu führen und in ihren Handlungen thöricht und unmoralisch zu<lb/>
sein. Man kann die schönsten Sentenzen alle Tage von allen Leuten hören,<lb/>
aber niemals sieht man, daß die Weisheit Gestalt bekommt und sich im Leben<lb/>
zeigt. Ich wollte wetten: wenn man dich fragte, welches die erste Bedingung<lb/>
einer glücklichen Ehe wäre, so würdest du antworten, es wäre die gegenseitige<lb/>
Neigung, gestützt auf Übereinstimmung von Charakter und Temperament. Das<lb/>
würdest du sicher antworten, und es würde dir garnicht einfallen, zu behaupten,<lb/>
es käme nur auf das Vermögen an, alles andre wäre gleichgiltig. Und wenn<lb/>
jemand behaupten wollte, eine glückliche Ehe wäre möglich, wenn die Frau eine»<lb/>
andern liebte und der Mann dazu noch durch Charakter und Temperament der<lb/>
Frau ganz fremd gegenüber stünde, so würdest du ihm erwiedern, diese Be¬<lb/>
hauptung wäre der Gipfelpunkt der Frivolität. Du kannst es nicht leugne»,<lb/>
daß du so sprechen würdest. Und trotzdem, nun es sich um dich selbst und um<lb/>
deinen einzigen Sohn handelt, stellst du in der Wirklichkeit, wo nicht Konver¬<lb/>
sation gemacht wird, sondern die That spricht &#x2014; da stellst du die Sache auf<lb/>
den Kopf und verlangst von mir, daß ich etwas thue, was nach aller Welt<lb/>
Meinung und auch nach deiner eignen frivol und unmoralisch und thöricht ist. Es<lb/>
ist eine widerwärtige Heuchelei in der Welt, und man verliert wirklich alle Lust,<lb/>
in ihr zu Verkehren. Ich begreife die Lebensart des alten Generals. Er ist<lb/>
der einzige Vernünftige. Ich selbst hätte auch die größte Neigung, so zu leben<lb/>
wie er, und zurückgezogen an einem schönen, einsamen Punkte mich nur mit<lb/>
dem Anblick der Natur und dem Studium der Geistesheroen zu beschäftigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1319"> (Fortsetzung folgt.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Literatur.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head>
              <list>
                <item> Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart auf den bisherigen Grundlagen. Von<lb/>
Dr. Aug. Will), Heffter. 7. Ausgabe. Bearbeitet von Dr. F. Heinrich Geffcken, Professor<lb/>
in Straßburg.  Berlin, H. W. Müller, 1382.</item>
                <item> I,s äroiti illtisrns-lion»,! Ah 1'Luroxs. ^V. Lstttsr.  4dM° gMign er-Myatsg<lb/>
ÄNKwontes ot xmnotvs,  ZZerlm, R,   Nüllsr.  ?aris, ^. Lotillon Ä (Ao,, 1833.</item>
              </list>
            </head><lb/>
            <p xml:id="ID_1320" next="#ID_1321"> Das Völkerrecht begegnet immer noch Widersachern, die an seine Existenz<lb/>
nicht glauben wollen, während es in Wahrheit täglich unter den Nationen im</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0326] Literatur. sammenschmiede, welche einen andern liebt, eher will ich — ich weiß nicht was thun. Gräfin Sibylle trat einen Schritt zurück, zog ihr Taschentuch hervor, preßte es an die Augen und wankte nach dem Sopha. Dort ließ sie sich niedersinken, verhüllte ihr Gesicht und blieb schweigend liegen. Dietrich sah dies eine Weile mit an, stand dann auf und ging seinerseits auf und nieder im Zimmer, indem er den Schnurrbart drehte und seine Füße betrachtete. Ich begreife dich nicht, Mama, sagte er. Du bist eine so vernünftige, eine so geistreiche Frau. Aber alle Welt scheint den Verstand und die Moral nur im Munde zu führen und in ihren Handlungen thöricht und unmoralisch zu sein. Man kann die schönsten Sentenzen alle Tage von allen Leuten hören, aber niemals sieht man, daß die Weisheit Gestalt bekommt und sich im Leben zeigt. Ich wollte wetten: wenn man dich fragte, welches die erste Bedingung einer glücklichen Ehe wäre, so würdest du antworten, es wäre die gegenseitige Neigung, gestützt auf Übereinstimmung von Charakter und Temperament. Das würdest du sicher antworten, und es würde dir garnicht einfallen, zu behaupten, es käme nur auf das Vermögen an, alles andre wäre gleichgiltig. Und wenn jemand behaupten wollte, eine glückliche Ehe wäre möglich, wenn die Frau eine» andern liebte und der Mann dazu noch durch Charakter und Temperament der Frau ganz fremd gegenüber stünde, so würdest du ihm erwiedern, diese Be¬ hauptung wäre der Gipfelpunkt der Frivolität. Du kannst es nicht leugne», daß du so sprechen würdest. Und trotzdem, nun es sich um dich selbst und um deinen einzigen Sohn handelt, stellst du in der Wirklichkeit, wo nicht Konver¬ sation gemacht wird, sondern die That spricht — da stellst du die Sache auf den Kopf und verlangst von mir, daß ich etwas thue, was nach aller Welt Meinung und auch nach deiner eignen frivol und unmoralisch und thöricht ist. Es ist eine widerwärtige Heuchelei in der Welt, und man verliert wirklich alle Lust, in ihr zu Verkehren. Ich begreife die Lebensart des alten Generals. Er ist der einzige Vernünftige. Ich selbst hätte auch die größte Neigung, so zu leben wie er, und zurückgezogen an einem schönen, einsamen Punkte mich nur mit dem Anblick der Natur und dem Studium der Geistesheroen zu beschäftigen. (Fortsetzung folgt.) Literatur. Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart auf den bisherigen Grundlagen. Von Dr. Aug. Will), Heffter. 7. Ausgabe. Bearbeitet von Dr. F. Heinrich Geffcken, Professor in Straßburg. Berlin, H. W. Müller, 1382. I,s äroiti illtisrns-lion»,! Ah 1'Luroxs. ^V. Lstttsr. 4dM° gMign er-Myatsg ÄNKwontes ot xmnotvs, ZZerlm, R, Nüllsr. ?aris, ^. Lotillon Ä (Ao,, 1833. Das Völkerrecht begegnet immer noch Widersachern, die an seine Existenz nicht glauben wollen, während es in Wahrheit täglich unter den Nationen im

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/326
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/326>, abgerufen am 10.06.2024.