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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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vom alten und neuen Griechenland.

sei es in imwrg, oder im Gegenwerte des Taxpreises. Ob der eine für die
Bestellung eines Morgens zehn Drachmen, ob der andre hundert Drachmen
für die gleiche Fläche an Arbeitskraft und Meliorations- (Berieselungs-) Kosten
aufgewendet hat, ob jenem das Land fünffache Frucht bringt und diesem zehn¬
fache, das ist ganz gleichgiltig; jeder giebt vom Scheffel Korn den zehnten
Teil ab. Wer möchte unter solchen Umständen daran gehen, neue Flächen
der Kultur zu erschließen, Bäume und Gestrüpp zu roder, Steine zu lesen,
Terrassen zu häufen gegen die Sturzbäche der Herbstregen, Quellen zu suchen
und dem neuen Boden zuzuführen, alles mühevolle Arbeiten, von deren kümmer¬
lichem Erstlingsertragc der Steuererheber in gleichem Maße seinen Zehnten ein¬
streichen wird wie von dem fruchtbaren, in einem Vormittage bestellten Saatfelde
des Nachbars. Und dazu kommt noch die unheilvolle orientalische Beamten¬
wirtschaft im Zusammenhange mit dem parlamentarischen System des jungen
Königreichs. Der Jspmktor weiß sich als ein Glied des Beamtenpersonals,
das von der jeweils am Ruder befindlichen Partei abhängig ist und bei der
nächsten Ministerkrisis an die Luft gesetzt werden kann. Er hat daher keinen
andern Gedanken, als die kurze Zeit seiner Amtsdauer dazu zu benutzen, mög¬
lichst viel für sich zusammenzuraffen. So fließt denn die vom Schweiße des
kleinen Bauern aufgebrachte Steuersumme keineswegs ungeschmälert in den
Staatssäckel, und was schlimmer ist, das, was glücklich hineingelange ist, kommt
keineswegs auch nur zum größern Teil dem allgemeinen zu Gute, sondern die
am Ruder befindliche Partei verwendet einen großen Bruchteil, um die politischen
Parteigenossen zu befriedigen und sich eine künftige Wiederwahl zu sichern.
Erst wenn dieser Beamtenwirtschaft ein Ende gemacht werden könnte und an¬
statt des jetzigen Steuersystems die Selbsteinschätzung der Gemeinden wieder
eingeführt würde, wie sie unter türkischer Herrschaft zum Segen des Landes
bestanden hat, erst dann könnte die Landeskultur einen größern Aufschwung
nehmen.

Dieses unselige Ackergesetz bildet ein würdiges Seitenstück zu jenem andern
Gesetz, welches im Jahre 18^4 über die Altertümer des Landes erlassen wurde
und welches, gut gemeint, von den übelsten Folgen für das Land und noch
mehr für die Wissenschaft gewesen ist. Mit Trauer gedachten die Hellenen nach
der Befreiung von der Fremdherrschaft, daß das britische Museum mit den
Parthenonskulpturen, die Glyptothek mit den Aegineten, der Louvre mit der
Aphrodite von Melos sich geschmückt hatte; das sollte anders, der Beraubung
des vaterländischen Bodens, der Verschleppung der Kunstwerke ins Ausland
sollte ein Ende gemacht werden. Um dies zu erreichen, wurde nicht nur der
Verkauf vou Altertümern an Fremde und schon der Versuch dazu mit starken
Strafen belegt, sondern es wurden auch über die Ausgrabungen von Kunst¬
werken die schärfsten Bestimmungen getroffen. Niemand darf nach Altertümern
graben ohne besondre Erlaubnis der Regierung, welche dieselben durch einen


vom alten und neuen Griechenland.

sei es in imwrg, oder im Gegenwerte des Taxpreises. Ob der eine für die
Bestellung eines Morgens zehn Drachmen, ob der andre hundert Drachmen
für die gleiche Fläche an Arbeitskraft und Meliorations- (Berieselungs-) Kosten
aufgewendet hat, ob jenem das Land fünffache Frucht bringt und diesem zehn¬
fache, das ist ganz gleichgiltig; jeder giebt vom Scheffel Korn den zehnten
Teil ab. Wer möchte unter solchen Umständen daran gehen, neue Flächen
der Kultur zu erschließen, Bäume und Gestrüpp zu roder, Steine zu lesen,
Terrassen zu häufen gegen die Sturzbäche der Herbstregen, Quellen zu suchen
und dem neuen Boden zuzuführen, alles mühevolle Arbeiten, von deren kümmer¬
lichem Erstlingsertragc der Steuererheber in gleichem Maße seinen Zehnten ein¬
streichen wird wie von dem fruchtbaren, in einem Vormittage bestellten Saatfelde
des Nachbars. Und dazu kommt noch die unheilvolle orientalische Beamten¬
wirtschaft im Zusammenhange mit dem parlamentarischen System des jungen
Königreichs. Der Jspmktor weiß sich als ein Glied des Beamtenpersonals,
das von der jeweils am Ruder befindlichen Partei abhängig ist und bei der
nächsten Ministerkrisis an die Luft gesetzt werden kann. Er hat daher keinen
andern Gedanken, als die kurze Zeit seiner Amtsdauer dazu zu benutzen, mög¬
lichst viel für sich zusammenzuraffen. So fließt denn die vom Schweiße des
kleinen Bauern aufgebrachte Steuersumme keineswegs ungeschmälert in den
Staatssäckel, und was schlimmer ist, das, was glücklich hineingelange ist, kommt
keineswegs auch nur zum größern Teil dem allgemeinen zu Gute, sondern die
am Ruder befindliche Partei verwendet einen großen Bruchteil, um die politischen
Parteigenossen zu befriedigen und sich eine künftige Wiederwahl zu sichern.
Erst wenn dieser Beamtenwirtschaft ein Ende gemacht werden könnte und an¬
statt des jetzigen Steuersystems die Selbsteinschätzung der Gemeinden wieder
eingeführt würde, wie sie unter türkischer Herrschaft zum Segen des Landes
bestanden hat, erst dann könnte die Landeskultur einen größern Aufschwung
nehmen.

Dieses unselige Ackergesetz bildet ein würdiges Seitenstück zu jenem andern
Gesetz, welches im Jahre 18^4 über die Altertümer des Landes erlassen wurde
und welches, gut gemeint, von den übelsten Folgen für das Land und noch
mehr für die Wissenschaft gewesen ist. Mit Trauer gedachten die Hellenen nach
der Befreiung von der Fremdherrschaft, daß das britische Museum mit den
Parthenonskulpturen, die Glyptothek mit den Aegineten, der Louvre mit der
Aphrodite von Melos sich geschmückt hatte; das sollte anders, der Beraubung
des vaterländischen Bodens, der Verschleppung der Kunstwerke ins Ausland
sollte ein Ende gemacht werden. Um dies zu erreichen, wurde nicht nur der
Verkauf vou Altertümern an Fremde und schon der Versuch dazu mit starken
Strafen belegt, sondern es wurden auch über die Ausgrabungen von Kunst¬
werken die schärfsten Bestimmungen getroffen. Niemand darf nach Altertümern
graben ohne besondre Erlaubnis der Regierung, welche dieselben durch einen


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[0558] vom alten und neuen Griechenland. sei es in imwrg, oder im Gegenwerte des Taxpreises. Ob der eine für die Bestellung eines Morgens zehn Drachmen, ob der andre hundert Drachmen für die gleiche Fläche an Arbeitskraft und Meliorations- (Berieselungs-) Kosten aufgewendet hat, ob jenem das Land fünffache Frucht bringt und diesem zehn¬ fache, das ist ganz gleichgiltig; jeder giebt vom Scheffel Korn den zehnten Teil ab. Wer möchte unter solchen Umständen daran gehen, neue Flächen der Kultur zu erschließen, Bäume und Gestrüpp zu roder, Steine zu lesen, Terrassen zu häufen gegen die Sturzbäche der Herbstregen, Quellen zu suchen und dem neuen Boden zuzuführen, alles mühevolle Arbeiten, von deren kümmer¬ lichem Erstlingsertragc der Steuererheber in gleichem Maße seinen Zehnten ein¬ streichen wird wie von dem fruchtbaren, in einem Vormittage bestellten Saatfelde des Nachbars. Und dazu kommt noch die unheilvolle orientalische Beamten¬ wirtschaft im Zusammenhange mit dem parlamentarischen System des jungen Königreichs. Der Jspmktor weiß sich als ein Glied des Beamtenpersonals, das von der jeweils am Ruder befindlichen Partei abhängig ist und bei der nächsten Ministerkrisis an die Luft gesetzt werden kann. Er hat daher keinen andern Gedanken, als die kurze Zeit seiner Amtsdauer dazu zu benutzen, mög¬ lichst viel für sich zusammenzuraffen. So fließt denn die vom Schweiße des kleinen Bauern aufgebrachte Steuersumme keineswegs ungeschmälert in den Staatssäckel, und was schlimmer ist, das, was glücklich hineingelange ist, kommt keineswegs auch nur zum größern Teil dem allgemeinen zu Gute, sondern die am Ruder befindliche Partei verwendet einen großen Bruchteil, um die politischen Parteigenossen zu befriedigen und sich eine künftige Wiederwahl zu sichern. Erst wenn dieser Beamtenwirtschaft ein Ende gemacht werden könnte und an¬ statt des jetzigen Steuersystems die Selbsteinschätzung der Gemeinden wieder eingeführt würde, wie sie unter türkischer Herrschaft zum Segen des Landes bestanden hat, erst dann könnte die Landeskultur einen größern Aufschwung nehmen. Dieses unselige Ackergesetz bildet ein würdiges Seitenstück zu jenem andern Gesetz, welches im Jahre 18^4 über die Altertümer des Landes erlassen wurde und welches, gut gemeint, von den übelsten Folgen für das Land und noch mehr für die Wissenschaft gewesen ist. Mit Trauer gedachten die Hellenen nach der Befreiung von der Fremdherrschaft, daß das britische Museum mit den Parthenonskulpturen, die Glyptothek mit den Aegineten, der Louvre mit der Aphrodite von Melos sich geschmückt hatte; das sollte anders, der Beraubung des vaterländischen Bodens, der Verschleppung der Kunstwerke ins Ausland sollte ein Ende gemacht werden. Um dies zu erreichen, wurde nicht nur der Verkauf vou Altertümern an Fremde und schon der Versuch dazu mit starken Strafen belegt, sondern es wurden auch über die Ausgrabungen von Kunst¬ werken die schärfsten Bestimmungen getroffen. Niemand darf nach Altertümern graben ohne besondre Erlaubnis der Regierung, welche dieselben durch einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/558>, abgerufen am 17.06.2024.