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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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vom alten "ut neuen Griechenland.

Kommissar beaufsichtigen läßt. Findet ein Eigentümer auf seinem Boden ein
Kunstwerk, so hat er es binnen drei Tagen der Regierung anzuzeigen, welche
für die Hälfte des Fundes das Eigentumsrecht beansprucht. Nimmt der Finder
das Angebot nicht an, das ihm die Regierung oder die archäologische Gesell¬
schaft macht, und verkauft er seinen Fund an einen dritten, so muß er eine
Steuer von fünfzig Prozent des Verkaufspreises an die Kasse der öffentlichen
Museen entrichten. Das sind drakonische Bestimmungen, welche das Übel
mit der Wurzel auszureißen scheinen und welche thatsächlich das Gegen¬
teil bewirken. Um der lästigen Kontrole der Regierung zu entgehen und
in möglichst gewinnbringender Verwertung der Funde nicht behindert zu sein,
werden dieselben der Regierung möglichst verheimlicht, offiziell beaufsichtigte
Grabungen sind höchst selten, dafür wird das Geschäft insgeheim umso schwung¬
hafter betrieben. Welche Folgen daraus entspringen, wie die Altertümer unter
der Hand in Masse verkauft und ausgeführt werden, ja wie eine Menge Kunst¬
werke, um sie leichter verbergen und ausführen zu können, absichtlich verstümmelt
und zerschlagen werden, wie endlich der wissenschaftliche Wert der Funde durch
das Verheimlichungssystem fast ganz in Frage gestellt wird, das hat Salomon
Reinach unlängst in einem geharnischten Berichte in der Il.son6 ach vsux incmäes
ausgeführt, die öffentliche Meinung der gebildeten Völker in beredter Weise auf
einen wahren Schandfleck im heutigen Griechenland hinweisend. Die bittere
Sprache des Franzosen ist sichtlich verschürft durch den Umstand, daß das An¬
suchen der französischen Regierung, Ausgrabungen in Delphi zu veranstalten,
von feiten Griechenlands zurückgewiesen wurde. Allein die Thatsachen sind nicht
in Abrede zu stellen, sie werden von jedem Kenner des heutigen Hellas bestätigt,
in Athen hat jeder Fremde Gelegenheit, sich unschwer von der Art und Weise
zu überzeugen, wie man auch ohne die eigentlichen Händler in den Besitz von
Kunstwerken, z. B. von Terracotten aus Tanagra, gelangen kann, die alle
-- freilich unter den Augen der Regierung -- dem Lande hinterzogen sind.
Auf die Regierung und ihre Beamten füllt dabei das übelste Licht. Davon
nicht zu reden, wie schlecht die maßlos zersplitterten Sammlungen verwaltet,
eingerichtet, überwacht sind. Daß die Funde von Olympia so lange in durch¬
aus ungenügenden Räumen, in engen, feuchten Holzschuppen zusammengedrängt
ausharren müssen, ist oft beklagt worden; durch Herrn Reinach aber erfahren
wir, daß es im Januar 1883 durch die Löcher der Bedachung auf den Hermes
des Praxiteles geregnet hat, und daß an der Oberfläche der feinen Gliedmaßen
wie an der Bemalung bereits die Spuren solcher Mißhandlung sich zu zeigen
beginnen. Mehr braucht nicht gesagt zu werden. Das sind Dinge, die zum
Himmel schreien. Die Hellenen legen in ihrem vaterländischen Stolze unge¬
meinen Wert auf die lobenden Stimmen, die sie im Abendlande über sich ver¬
nehmen. Wenn sie nur eben so geneigt wären, durch gerechten Tadel sich das
Gewissen schärfen zu lassen und im Gedächtnis zu behalten, "daß Griechenland


vom alten »ut neuen Griechenland.

Kommissar beaufsichtigen läßt. Findet ein Eigentümer auf seinem Boden ein
Kunstwerk, so hat er es binnen drei Tagen der Regierung anzuzeigen, welche
für die Hälfte des Fundes das Eigentumsrecht beansprucht. Nimmt der Finder
das Angebot nicht an, das ihm die Regierung oder die archäologische Gesell¬
schaft macht, und verkauft er seinen Fund an einen dritten, so muß er eine
Steuer von fünfzig Prozent des Verkaufspreises an die Kasse der öffentlichen
Museen entrichten. Das sind drakonische Bestimmungen, welche das Übel
mit der Wurzel auszureißen scheinen und welche thatsächlich das Gegen¬
teil bewirken. Um der lästigen Kontrole der Regierung zu entgehen und
in möglichst gewinnbringender Verwertung der Funde nicht behindert zu sein,
werden dieselben der Regierung möglichst verheimlicht, offiziell beaufsichtigte
Grabungen sind höchst selten, dafür wird das Geschäft insgeheim umso schwung¬
hafter betrieben. Welche Folgen daraus entspringen, wie die Altertümer unter
der Hand in Masse verkauft und ausgeführt werden, ja wie eine Menge Kunst¬
werke, um sie leichter verbergen und ausführen zu können, absichtlich verstümmelt
und zerschlagen werden, wie endlich der wissenschaftliche Wert der Funde durch
das Verheimlichungssystem fast ganz in Frage gestellt wird, das hat Salomon
Reinach unlängst in einem geharnischten Berichte in der Il.son6 ach vsux incmäes
ausgeführt, die öffentliche Meinung der gebildeten Völker in beredter Weise auf
einen wahren Schandfleck im heutigen Griechenland hinweisend. Die bittere
Sprache des Franzosen ist sichtlich verschürft durch den Umstand, daß das An¬
suchen der französischen Regierung, Ausgrabungen in Delphi zu veranstalten,
von feiten Griechenlands zurückgewiesen wurde. Allein die Thatsachen sind nicht
in Abrede zu stellen, sie werden von jedem Kenner des heutigen Hellas bestätigt,
in Athen hat jeder Fremde Gelegenheit, sich unschwer von der Art und Weise
zu überzeugen, wie man auch ohne die eigentlichen Händler in den Besitz von
Kunstwerken, z. B. von Terracotten aus Tanagra, gelangen kann, die alle
— freilich unter den Augen der Regierung — dem Lande hinterzogen sind.
Auf die Regierung und ihre Beamten füllt dabei das übelste Licht. Davon
nicht zu reden, wie schlecht die maßlos zersplitterten Sammlungen verwaltet,
eingerichtet, überwacht sind. Daß die Funde von Olympia so lange in durch¬
aus ungenügenden Räumen, in engen, feuchten Holzschuppen zusammengedrängt
ausharren müssen, ist oft beklagt worden; durch Herrn Reinach aber erfahren
wir, daß es im Januar 1883 durch die Löcher der Bedachung auf den Hermes
des Praxiteles geregnet hat, und daß an der Oberfläche der feinen Gliedmaßen
wie an der Bemalung bereits die Spuren solcher Mißhandlung sich zu zeigen
beginnen. Mehr braucht nicht gesagt zu werden. Das sind Dinge, die zum
Himmel schreien. Die Hellenen legen in ihrem vaterländischen Stolze unge¬
meinen Wert auf die lobenden Stimmen, die sie im Abendlande über sich ver¬
nehmen. Wenn sie nur eben so geneigt wären, durch gerechten Tadel sich das
Gewissen schärfen zu lassen und im Gedächtnis zu behalten, „daß Griechenland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/559>, abgerufen am 25.05.2024.