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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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geraume Zeit in Anspruch nehmen kann. Die Verhandlungen mit der Ver¬
sicherungsgesellschaft ziehen sich oft monatelang hin; man versucht alles, um
nicht zu einem Prozeß schreiten zu müssen. Auch noch bei dem Versuch der
Klaganstellu"g kann der Versicherte unerwarteten Schwierigkeiten begegnen. So
tonnen die sechs Monate im Handumdrehen abgelaufen sein, und dann wird
gegen ihn der Einwand erhoben: Dein Anspruch ist durch Zeitablauf erloschen.

Eine weitere Gefahr für den Versicherten ist in den W 7 und 8 der "Be¬
dingungen" verborgen. Dieselben bestimmen: "Die Versicherung soll nicht zu
einem Gewinn führen.... Haben die versicherten Gegenstände einen geringern Wert
als die darauf versicherte Summe, so wird der Schaden nur nach Verhältnis
jenes geringern Wertes vergütet.... Die Versicherung selbst begründet weder eiuen
Beweis noch eine Vermutung für das Vorhandensein und den Wert der ver¬
sicherten Gegenstände zur Zeit des Brandes." Die Versicherung soll nicht zu
einem, Gewinn führen. Das ist gewiß wieder ein sehr richtiger Satz, der bei
der Feuerversicherung umsomehr zu beachten ist, als jede Überversicherung die
Versuchung zur Brandstiftung in sich trägt. Wir können uns nicht verhehlen, daß
ein Teil unsrer Brände dem Streben, die Versicherungssumme zu gewinnen, seine
Entstehung verdankt. Deshalb sollten sowohl Verhinderer als Polizeibehörden
streng darauf achten, daß keine Überversicherungen eingegangen werden.
Auch kann man aus diesem Gesichtspunkte für gerechtfertigt halten, wenn selbst
nach entstandenen Brande dem ans die Versicherungssumme belangten Ver¬
hinderer die Einrede gestattet wird, daß diese Summe ans einer Überversicherung
beruhe und daß er mir den wirklichen Wert zu ersetzen habe. Diese gerechtfertigten
Gesichtspunkte sind aber benutzt, um einen für den Versicherten höchst gefähr¬
lichen Grundsatz in die "Bedingungen" hineinzutragen.

Die bei Eingehung der Versicherung bestimmte Versicherungssumme hat
nicht allein den Zweck, daß darnach der Verhinderer die zu erhebende Prämie
bcmesse, sondern auch den Zweck, dem Versicherten selbst eine Grundlage zu
gewähren bezüglich dessen, was er als Schadenersatz beanspruchen kann. Be¬
kanntlich sind alle Wertschätzungeu sehr schwierig, selbst dann, wenn die Sachen
"och vorhanden sind. Sind diese aber nicht mehr da, so ist ein Beweis ihres
Wertes oft garnicht zu erbringen. Der Entschädigungsanspruch des Versicherten
verliert daher jeden festen Halt, wenn man den Grundsatz aufstellt: die Ver¬
sicherung (d. h. die festgestellte Versicherungssumme) begründet keine Ver¬
mutung für den Wert des untergegangenen Gegenstandes; dieser Wert muß
vielmehr immer noch besonders bewiesen werden. Das ist aber der Sinn des
Schlußsatzes in Z 8. Darin liegt wieder eine arge Übertreibung des an sich
berechtigten Gedankens, daß Überversicherungen zu bekämpfen seien. Das Interesse
des Versicherten bleibt nur gewahrt, wenn die Versicherungssumme so lange als
für den Wert maßgebend gilt, als nicht der Verhinderer eine Überversicherung
beweist. Und dieses Interesse muß, trotz aller Bedenken gegen jede Überver-


geraume Zeit in Anspruch nehmen kann. Die Verhandlungen mit der Ver¬
sicherungsgesellschaft ziehen sich oft monatelang hin; man versucht alles, um
nicht zu einem Prozeß schreiten zu müssen. Auch noch bei dem Versuch der
Klaganstellu»g kann der Versicherte unerwarteten Schwierigkeiten begegnen. So
tonnen die sechs Monate im Handumdrehen abgelaufen sein, und dann wird
gegen ihn der Einwand erhoben: Dein Anspruch ist durch Zeitablauf erloschen.

Eine weitere Gefahr für den Versicherten ist in den W 7 und 8 der „Be¬
dingungen" verborgen. Dieselben bestimmen: „Die Versicherung soll nicht zu
einem Gewinn führen.... Haben die versicherten Gegenstände einen geringern Wert
als die darauf versicherte Summe, so wird der Schaden nur nach Verhältnis
jenes geringern Wertes vergütet.... Die Versicherung selbst begründet weder eiuen
Beweis noch eine Vermutung für das Vorhandensein und den Wert der ver¬
sicherten Gegenstände zur Zeit des Brandes." Die Versicherung soll nicht zu
einem, Gewinn führen. Das ist gewiß wieder ein sehr richtiger Satz, der bei
der Feuerversicherung umsomehr zu beachten ist, als jede Überversicherung die
Versuchung zur Brandstiftung in sich trägt. Wir können uns nicht verhehlen, daß
ein Teil unsrer Brände dem Streben, die Versicherungssumme zu gewinnen, seine
Entstehung verdankt. Deshalb sollten sowohl Verhinderer als Polizeibehörden
streng darauf achten, daß keine Überversicherungen eingegangen werden.
Auch kann man aus diesem Gesichtspunkte für gerechtfertigt halten, wenn selbst
nach entstandenen Brande dem ans die Versicherungssumme belangten Ver¬
hinderer die Einrede gestattet wird, daß diese Summe ans einer Überversicherung
beruhe und daß er mir den wirklichen Wert zu ersetzen habe. Diese gerechtfertigten
Gesichtspunkte sind aber benutzt, um einen für den Versicherten höchst gefähr¬
lichen Grundsatz in die „Bedingungen" hineinzutragen.

Die bei Eingehung der Versicherung bestimmte Versicherungssumme hat
nicht allein den Zweck, daß darnach der Verhinderer die zu erhebende Prämie
bcmesse, sondern auch den Zweck, dem Versicherten selbst eine Grundlage zu
gewähren bezüglich dessen, was er als Schadenersatz beanspruchen kann. Be¬
kanntlich sind alle Wertschätzungeu sehr schwierig, selbst dann, wenn die Sachen
»och vorhanden sind. Sind diese aber nicht mehr da, so ist ein Beweis ihres
Wertes oft garnicht zu erbringen. Der Entschädigungsanspruch des Versicherten
verliert daher jeden festen Halt, wenn man den Grundsatz aufstellt: die Ver¬
sicherung (d. h. die festgestellte Versicherungssumme) begründet keine Ver¬
mutung für den Wert des untergegangenen Gegenstandes; dieser Wert muß
vielmehr immer noch besonders bewiesen werden. Das ist aber der Sinn des
Schlußsatzes in Z 8. Darin liegt wieder eine arge Übertreibung des an sich
berechtigten Gedankens, daß Überversicherungen zu bekämpfen seien. Das Interesse
des Versicherten bleibt nur gewahrt, wenn die Versicherungssumme so lange als
für den Wert maßgebend gilt, als nicht der Verhinderer eine Überversicherung
beweist. Und dieses Interesse muß, trotz aller Bedenken gegen jede Überver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/656>, abgerufen am 16.06.2024.