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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Unsre Feuerversicherungsgesellschaften.

Sicherung, durchschlagen. Dem Versicherten aber, auch wenn eine Versicherungs¬
summe vereinbart ist, den Beweis abverlangen, daß diese Summe auch wirklich
dem Wert entsprochen habe, wird in vielen Fällen darauf hinauslaufen, den
Versicherten rechtlos zu stellen.

Wir könnten noch manche andern Punkte aus den "Bedingungen" anführen,
welche geeignet sind, zu einer Beeinträchtigung der Versicherten zu führen. Wir
wollen uns aber nicht auf verwickelter" Darlegungen einlassen. Das vorstehende
wird genügen, zu zeigen, wie sehr die Feuerversicherungsgesellschaften ihre autono-
mistische Stellung benutzt haben, um die Versicherungsverträge zu ihren Gunsten
zu gestalten. Zieht man alle Bestimmungen in ihrer Verbindung in Betracht,
so wird man in der That denjenigen, welcher nach einem Brandunglücke, das
ihn betroffen hat, von sich sagen kann, daß er einen rechtlich tadellosen An¬
spruch auf Entschädigung erworben habe, glücklich preisen können.

Nun glauben wir, wie schon oben bemerkt, sehr gern, daß die Gesellschaften
in vielen Fällen es geflissentlich vermeiden werden, die gedachten Vorschriften
ihrer "Bedingungen" in voller Schroffheit zur Anwendung zu bringen. Daß
aber doch diese Vorschriften nicht ganz unschuldig dastehen, beweist die That¬
sache, daß sehr viele Prozesse geführt werden, in welchen jene Vorschriften die
Hauptrolle spielen. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur die Ent¬
scheidungen des Neichsoberhandelsgerichts durchzugehen. Fast alle oben berührten
Fragen und noch manche ähnliche kommen dort zur Erörterung.*) Die Gerichte
sind zwar öfters bemüht, die Härte der Versicherungsbedingungen im Wege der
Auslegung zu mildern. Aber häufig genug fühlen sie sich, wenn auch mit
sichtlichem Widerstreben, an den Buchstaben des einmal abgeschlossenen Ver¬
trags gebunden.

Man kann vollkommen anerkennen, daß die deutschen Versicherungsgesell¬
schaften, welche ja für ihre Thätigkeit ein so großes Gebiet sich erobert, im großen
und ganzen eine wohlthätige Wirksamkeit geübt haben. Daß aber auch manche
Mißstände auf diesem Gebiet vorhanden sind, dürfte kaum zu bezweifeln sein.
Und der mitunter gehörte Trost, daß "die gesunde Natur sich selbst helfe" und
daß "das Publikum seine eignen Bedürfnisse am besten kenne," gehört erfahrungs¬
mäßig zu den Täuschungen.

Ähnliche Mißstände wie bei der Feuerversicherung kommen übrigens auch
bei ander" Gesellschaften, namentlich denen für Lebensversicherung, vor.
Hier tritt noch hinzu, daß die Versicherung auf Verbindlichkeiten gerichtet ist,



*) Wer die Sache weiter verfolgen will, möge nachsehen: Entscheidungen des Neichs¬
oberhandelsgerichts Bd. I, Ur. 45; Bd. 2, Ur. 43, 87, 88; Bd. 4, Ur. 14; Bd. S, Ur. 27,
SS; Bd. 6. Ur. 9S; Bd. 8, Ur. 91, 100; Bd. 11, Ur. 4S, 91; Bd. 14, Ur. 129; Bd. Is,
Ur. 16; Bd. 20, Ur. 47; Bd. 23, Ur. 31; auch Entscheidungen des Reichsgerichts Bd. 2,
Ur. 32.
Grenzboten II. 1883. 32
Unsre Feuerversicherungsgesellschaften.

Sicherung, durchschlagen. Dem Versicherten aber, auch wenn eine Versicherungs¬
summe vereinbart ist, den Beweis abverlangen, daß diese Summe auch wirklich
dem Wert entsprochen habe, wird in vielen Fällen darauf hinauslaufen, den
Versicherten rechtlos zu stellen.

Wir könnten noch manche andern Punkte aus den „Bedingungen" anführen,
welche geeignet sind, zu einer Beeinträchtigung der Versicherten zu führen. Wir
wollen uns aber nicht auf verwickelter« Darlegungen einlassen. Das vorstehende
wird genügen, zu zeigen, wie sehr die Feuerversicherungsgesellschaften ihre autono-
mistische Stellung benutzt haben, um die Versicherungsverträge zu ihren Gunsten
zu gestalten. Zieht man alle Bestimmungen in ihrer Verbindung in Betracht,
so wird man in der That denjenigen, welcher nach einem Brandunglücke, das
ihn betroffen hat, von sich sagen kann, daß er einen rechtlich tadellosen An¬
spruch auf Entschädigung erworben habe, glücklich preisen können.

Nun glauben wir, wie schon oben bemerkt, sehr gern, daß die Gesellschaften
in vielen Fällen es geflissentlich vermeiden werden, die gedachten Vorschriften
ihrer „Bedingungen" in voller Schroffheit zur Anwendung zu bringen. Daß
aber doch diese Vorschriften nicht ganz unschuldig dastehen, beweist die That¬
sache, daß sehr viele Prozesse geführt werden, in welchen jene Vorschriften die
Hauptrolle spielen. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur die Ent¬
scheidungen des Neichsoberhandelsgerichts durchzugehen. Fast alle oben berührten
Fragen und noch manche ähnliche kommen dort zur Erörterung.*) Die Gerichte
sind zwar öfters bemüht, die Härte der Versicherungsbedingungen im Wege der
Auslegung zu mildern. Aber häufig genug fühlen sie sich, wenn auch mit
sichtlichem Widerstreben, an den Buchstaben des einmal abgeschlossenen Ver¬
trags gebunden.

Man kann vollkommen anerkennen, daß die deutschen Versicherungsgesell¬
schaften, welche ja für ihre Thätigkeit ein so großes Gebiet sich erobert, im großen
und ganzen eine wohlthätige Wirksamkeit geübt haben. Daß aber auch manche
Mißstände auf diesem Gebiet vorhanden sind, dürfte kaum zu bezweifeln sein.
Und der mitunter gehörte Trost, daß „die gesunde Natur sich selbst helfe" und
daß „das Publikum seine eignen Bedürfnisse am besten kenne," gehört erfahrungs¬
mäßig zu den Täuschungen.

Ähnliche Mißstände wie bei der Feuerversicherung kommen übrigens auch
bei ander» Gesellschaften, namentlich denen für Lebensversicherung, vor.
Hier tritt noch hinzu, daß die Versicherung auf Verbindlichkeiten gerichtet ist,



*) Wer die Sache weiter verfolgen will, möge nachsehen: Entscheidungen des Neichs¬
oberhandelsgerichts Bd. I, Ur. 45; Bd. 2, Ur. 43, 87, 88; Bd. 4, Ur. 14; Bd. S, Ur. 27,
SS; Bd. 6. Ur. 9S; Bd. 8, Ur. 91, 100; Bd. 11, Ur. 4S, 91; Bd. 14, Ur. 129; Bd. Is,
Ur. 16; Bd. 20, Ur. 47; Bd. 23, Ur. 31; auch Entscheidungen des Reichsgerichts Bd. 2,
Ur. 32.
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[0657] Unsre Feuerversicherungsgesellschaften. Sicherung, durchschlagen. Dem Versicherten aber, auch wenn eine Versicherungs¬ summe vereinbart ist, den Beweis abverlangen, daß diese Summe auch wirklich dem Wert entsprochen habe, wird in vielen Fällen darauf hinauslaufen, den Versicherten rechtlos zu stellen. Wir könnten noch manche andern Punkte aus den „Bedingungen" anführen, welche geeignet sind, zu einer Beeinträchtigung der Versicherten zu führen. Wir wollen uns aber nicht auf verwickelter« Darlegungen einlassen. Das vorstehende wird genügen, zu zeigen, wie sehr die Feuerversicherungsgesellschaften ihre autono- mistische Stellung benutzt haben, um die Versicherungsverträge zu ihren Gunsten zu gestalten. Zieht man alle Bestimmungen in ihrer Verbindung in Betracht, so wird man in der That denjenigen, welcher nach einem Brandunglücke, das ihn betroffen hat, von sich sagen kann, daß er einen rechtlich tadellosen An¬ spruch auf Entschädigung erworben habe, glücklich preisen können. Nun glauben wir, wie schon oben bemerkt, sehr gern, daß die Gesellschaften in vielen Fällen es geflissentlich vermeiden werden, die gedachten Vorschriften ihrer „Bedingungen" in voller Schroffheit zur Anwendung zu bringen. Daß aber doch diese Vorschriften nicht ganz unschuldig dastehen, beweist die That¬ sache, daß sehr viele Prozesse geführt werden, in welchen jene Vorschriften die Hauptrolle spielen. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur die Ent¬ scheidungen des Neichsoberhandelsgerichts durchzugehen. Fast alle oben berührten Fragen und noch manche ähnliche kommen dort zur Erörterung.*) Die Gerichte sind zwar öfters bemüht, die Härte der Versicherungsbedingungen im Wege der Auslegung zu mildern. Aber häufig genug fühlen sie sich, wenn auch mit sichtlichem Widerstreben, an den Buchstaben des einmal abgeschlossenen Ver¬ trags gebunden. Man kann vollkommen anerkennen, daß die deutschen Versicherungsgesell¬ schaften, welche ja für ihre Thätigkeit ein so großes Gebiet sich erobert, im großen und ganzen eine wohlthätige Wirksamkeit geübt haben. Daß aber auch manche Mißstände auf diesem Gebiet vorhanden sind, dürfte kaum zu bezweifeln sein. Und der mitunter gehörte Trost, daß „die gesunde Natur sich selbst helfe" und daß „das Publikum seine eignen Bedürfnisse am besten kenne," gehört erfahrungs¬ mäßig zu den Täuschungen. Ähnliche Mißstände wie bei der Feuerversicherung kommen übrigens auch bei ander» Gesellschaften, namentlich denen für Lebensversicherung, vor. Hier tritt noch hinzu, daß die Versicherung auf Verbindlichkeiten gerichtet ist, *) Wer die Sache weiter verfolgen will, möge nachsehen: Entscheidungen des Neichs¬ oberhandelsgerichts Bd. I, Ur. 45; Bd. 2, Ur. 43, 87, 88; Bd. 4, Ur. 14; Bd. S, Ur. 27, SS; Bd. 6. Ur. 9S; Bd. 8, Ur. 91, 100; Bd. 11, Ur. 4S, 91; Bd. 14, Ur. 129; Bd. Is, Ur. 16; Bd. 20, Ur. 47; Bd. 23, Ur. 31; auch Entscheidungen des Reichsgerichts Bd. 2, Ur. 32. Grenzboten II. 1883. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/657>, abgerufen am 24.05.2024.