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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Fnrstenversammlnngen des September.

land, England und Frankreich zu, fügen aber bei, daß das Übereinkommen
zwischen dem englischen Premier und dem Zaren auf völlig friedlichen Grund¬
lagen ruht." Die letzten Sätze dieses Räsonnements enthalten ungefähr soviel
Mißdeutungen der Sachlage als Behauptungen. Die Balkankonföderation soll
das österreichisch-deutsche Bündnis aufwiegen? Das letztere soll den Frieden be¬
drohen? Dieser soll durch eine Allianz zwischen Frankreich, England und Rußland
gesichert werden? Eine Widerlegung solcher Absurditäten ist wohl überflüssig.
Nichts aber ist so absurd, daß es darin nicht überboten werden könnte, und so
schließt ein deutsches Blatt von der Nachricht eines Wiener Korrespondenten,
nach welcher der Kaiser Alexander Herrn Gladstone nach Kopenhagen eingeladen
hätte, auf dessen Absicht dabei folgendermaßen: "Dasjenige, was dem Kaiser
Alexander ganz besonders am Herzen liegen muß, ist, daß er endlich Ruhe vor
nihilistischen Anschlägen empfindet. Bekanntlich hat England durch die irischen
Anarchisten, eine den Nihilisten geistesverwandte Gesellschaft, gleichfalls viel zu
leiden gehabt, die Dynamitattentate in London, Liverpool, Birmingham, Glasgow
u. s. w. haben der englischen Regierung viel zu thun gegeben, aber ihre Bemühungen
sind nicht fruchtlos geblieben, und seit der Verurteilung der Angeklagten in
England und Irland hat man von Dynamitverschwörungen dort nichts mehr
gehört.. . wie der Leidende einen Arzt konsultirt, der bereits glückliche Kuren
bei Leidensgenossen aufzuweisen hat, so könnte Alexander III. wohl die Lust
verspürt haben, einmal den englischen Premierminister über die Kuren zu hören,
welche er gegen die Fenier gebraucht hat." Wir fragen: Kann man wohl abge¬
schmacktere Vermutungen auf den journalistischen Markt bringen?

Aber auch die französischen Deutungen der Gladstoneschen Reise sind in
hohem Grade unwahrscheinlich, ja geradezu Unmöglichkeiten. Als bekannt ist
anzunehmen, daß der Leiter der englischen Regierung kein Freund Deutschlands
und der Vismarckschen Politik ist. Deshalb aber zu glauben, daß er angesichts
der französischen Kolonialpolitik sich mit Frankreich und angesichts der sich
widerstreitenden Interessen Rußlands und Englands am Bosporus, in Ar¬
menien und Mittelasien sich mit Rußland verbünden könne, ist Aberglaube.
Dazu kommt aber noch ein drittes. Auch nüchternere Zeitungskritiker als die,
welche in jener Tour nach Kopenhagen den Zweck einer russisch-englischen Allianz
oder gar einer solchen, bei der Frankreich der dritte im Bunde wäre, wittern,
lassen sich die Überzeugung nicht nehmen, daß jener Abstecher nach der dänischen
Hauptstadt gewisse geheime politische Verhandlungen im Auge gehabt haben
müsse. Sie verraten damit aber nur ihre Unkenntnis der Stellung eines eng¬
lischen Ministers und der englischen parlamentarischen Gewohnheiten. Die bloße
Idee einer Erörterung politischer Angelegenheiten mit einem fremden Souverän
in einer fremden Stadt würde bei einem aktiven englischen Staatsmanne das
letzte sein, was ihm in den Sinn kommen könnte, ja eine Einladung dazu würde
ihm geradezu als Skandal erscheinen. Es bleibt also wirklich nichts übrig, als


Die Fnrstenversammlnngen des September.

land, England und Frankreich zu, fügen aber bei, daß das Übereinkommen
zwischen dem englischen Premier und dem Zaren auf völlig friedlichen Grund¬
lagen ruht." Die letzten Sätze dieses Räsonnements enthalten ungefähr soviel
Mißdeutungen der Sachlage als Behauptungen. Die Balkankonföderation soll
das österreichisch-deutsche Bündnis aufwiegen? Das letztere soll den Frieden be¬
drohen? Dieser soll durch eine Allianz zwischen Frankreich, England und Rußland
gesichert werden? Eine Widerlegung solcher Absurditäten ist wohl überflüssig.
Nichts aber ist so absurd, daß es darin nicht überboten werden könnte, und so
schließt ein deutsches Blatt von der Nachricht eines Wiener Korrespondenten,
nach welcher der Kaiser Alexander Herrn Gladstone nach Kopenhagen eingeladen
hätte, auf dessen Absicht dabei folgendermaßen: „Dasjenige, was dem Kaiser
Alexander ganz besonders am Herzen liegen muß, ist, daß er endlich Ruhe vor
nihilistischen Anschlägen empfindet. Bekanntlich hat England durch die irischen
Anarchisten, eine den Nihilisten geistesverwandte Gesellschaft, gleichfalls viel zu
leiden gehabt, die Dynamitattentate in London, Liverpool, Birmingham, Glasgow
u. s. w. haben der englischen Regierung viel zu thun gegeben, aber ihre Bemühungen
sind nicht fruchtlos geblieben, und seit der Verurteilung der Angeklagten in
England und Irland hat man von Dynamitverschwörungen dort nichts mehr
gehört.. . wie der Leidende einen Arzt konsultirt, der bereits glückliche Kuren
bei Leidensgenossen aufzuweisen hat, so könnte Alexander III. wohl die Lust
verspürt haben, einmal den englischen Premierminister über die Kuren zu hören,
welche er gegen die Fenier gebraucht hat." Wir fragen: Kann man wohl abge¬
schmacktere Vermutungen auf den journalistischen Markt bringen?

Aber auch die französischen Deutungen der Gladstoneschen Reise sind in
hohem Grade unwahrscheinlich, ja geradezu Unmöglichkeiten. Als bekannt ist
anzunehmen, daß der Leiter der englischen Regierung kein Freund Deutschlands
und der Vismarckschen Politik ist. Deshalb aber zu glauben, daß er angesichts
der französischen Kolonialpolitik sich mit Frankreich und angesichts der sich
widerstreitenden Interessen Rußlands und Englands am Bosporus, in Ar¬
menien und Mittelasien sich mit Rußland verbünden könne, ist Aberglaube.
Dazu kommt aber noch ein drittes. Auch nüchternere Zeitungskritiker als die,
welche in jener Tour nach Kopenhagen den Zweck einer russisch-englischen Allianz
oder gar einer solchen, bei der Frankreich der dritte im Bunde wäre, wittern,
lassen sich die Überzeugung nicht nehmen, daß jener Abstecher nach der dänischen
Hauptstadt gewisse geheime politische Verhandlungen im Auge gehabt haben
müsse. Sie verraten damit aber nur ihre Unkenntnis der Stellung eines eng¬
lischen Ministers und der englischen parlamentarischen Gewohnheiten. Die bloße
Idee einer Erörterung politischer Angelegenheiten mit einem fremden Souverän
in einer fremden Stadt würde bei einem aktiven englischen Staatsmanne das
letzte sein, was ihm in den Sinn kommen könnte, ja eine Einladung dazu würde
ihm geradezu als Skandal erscheinen. Es bleibt also wirklich nichts übrig, als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/15>, abgerufen am 20.05.2024.