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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Ans den Thüringer lNanövertcigen,

gimenter, ja selbst Divisionen mit einander verwechselt werden. Die Zeitungen
klagen über Raummangel -- natürlich, denn sie schleppen eine Menge Ballast
mit sich, für den von hundert Lesern kaun: einer Interesse hat. Sie mögen
nur fachmännische Details den Spezialblättem überlassen und prinzipiell nur
nnter dem Gesichtspunkte des allgemeinen Interesses schreiben.

Ich beabsichtige in nachstehendem keineswegs einen Mustermanöverbericht
zu geben -- es muß das Fachleuten überlassen bleiben. Ich gebe einige sub¬
jektive Eindrücke wieder und nehme für mich kein Verdienst weiter in Anspruch,
als daß ich getreulich Staub und Regen mit unsern Truppen geteilt habe.

Es ist aber auch garnicht das Militär allein, welches bei solchen Gelegen¬
heiten zu interessanten Beobachtungen Anlaß giebt, sondern nicht minder auch
das Publikum.

Bei Gelegenheit der Anwesenheit unsers Kaisers hat es an Ovationen nicht
gefehlt. Alle Welt wollte den greisen königlichen Helden sehen und begrüßen,
alle Welt war von seiner herzgewinnenden Freundlichkeit entzückt. schöpften
und Schulzen, Magistrate und Stadtverordnete beeiferten sich, die Orte, welche
der Kaiser Passiren sollte, zu schmücken und konstatirten mit Genugthuung, daß
der betreffende Ort das Menschenmögliche gethan habe. Ja es fand sich bei den
kleinern eine gewisse Schadenfreude, wen" den größern die Freude verdorben
wurde, wie es leider Halle ergangen ist; ich hörte wiederholt die Äußerung:
"Es ist nur gut, daß der Kaiser nicht in Halle gewesen ist." -- "Warum?" --
"El, da stehen wir doch mit unsrer Ausschmückung um soviel größer da." Nun
zweifle ich nicht daran, daß jene Äußerungen der Sympathie aufrichtig gewesen
sind, muß aber, indem ich Orte und Personen einigermaßen kenne, mich wundern
und fragen: Wie paßt das zusammen? Heute jubeln und morgen fortschrittlich
wählen, heute die deutsche Einheit und den Schöpfer derselben hoch preisen und
morgen alles mögliche thun, sich selbst die Freude zu verderben und das Werk
zu verkümmern? Es muß wohl in unsrer querköpfigen deutschen Art liegen;
wenigstens haben wir Deutschen es von jeher so gemacht. Es wird bei Be¬
urteilung großer Mäuner und Thaten der deutschen Vergangenheit nur zu
wenig in Rechnung gezogen, wieviele Reibungen und Widerstände auch sie im
eignen Lande zu überwinden hatten, wieviel engherzigen Geiz, wieviel Spieß-
bürgerei, wieviel Querelen, Bedenken und Gravamina. Das sind Arbeiten, die
man beim fertigen Resultate nicht mehr wahrnimmt, deren Überwindung aber
keinen geringen Teil des Verdienstes bedeutet.

Es ist aber auch das anzuerkennen, daß dem Deutschen, wenn er erst warm
wird, sein gutes Herz mit seinem thörichten Kopfe durchgeht. Auf der Chaussee
vor Roßbach stand ich bei einem Trupp Bauern, welche auf die Vorüberfahrt
des Kaisers warteten. Man war gespannt und erzählte sich große Dinge. Ein
Bciuerlein, einer von den Hellen ("mir sein helle!"), machte abfällige Bemer¬
kungen und meinte: "Wozu soviel Spektakel? Mehr wie ein Mensch ist der


Ans den Thüringer lNanövertcigen,

gimenter, ja selbst Divisionen mit einander verwechselt werden. Die Zeitungen
klagen über Raummangel — natürlich, denn sie schleppen eine Menge Ballast
mit sich, für den von hundert Lesern kaun: einer Interesse hat. Sie mögen
nur fachmännische Details den Spezialblättem überlassen und prinzipiell nur
nnter dem Gesichtspunkte des allgemeinen Interesses schreiben.

Ich beabsichtige in nachstehendem keineswegs einen Mustermanöverbericht
zu geben — es muß das Fachleuten überlassen bleiben. Ich gebe einige sub¬
jektive Eindrücke wieder und nehme für mich kein Verdienst weiter in Anspruch,
als daß ich getreulich Staub und Regen mit unsern Truppen geteilt habe.

Es ist aber auch garnicht das Militär allein, welches bei solchen Gelegen¬
heiten zu interessanten Beobachtungen Anlaß giebt, sondern nicht minder auch
das Publikum.

Bei Gelegenheit der Anwesenheit unsers Kaisers hat es an Ovationen nicht
gefehlt. Alle Welt wollte den greisen königlichen Helden sehen und begrüßen,
alle Welt war von seiner herzgewinnenden Freundlichkeit entzückt. schöpften
und Schulzen, Magistrate und Stadtverordnete beeiferten sich, die Orte, welche
der Kaiser Passiren sollte, zu schmücken und konstatirten mit Genugthuung, daß
der betreffende Ort das Menschenmögliche gethan habe. Ja es fand sich bei den
kleinern eine gewisse Schadenfreude, wen» den größern die Freude verdorben
wurde, wie es leider Halle ergangen ist; ich hörte wiederholt die Äußerung:
„Es ist nur gut, daß der Kaiser nicht in Halle gewesen ist." — „Warum?" —
„El, da stehen wir doch mit unsrer Ausschmückung um soviel größer da." Nun
zweifle ich nicht daran, daß jene Äußerungen der Sympathie aufrichtig gewesen
sind, muß aber, indem ich Orte und Personen einigermaßen kenne, mich wundern
und fragen: Wie paßt das zusammen? Heute jubeln und morgen fortschrittlich
wählen, heute die deutsche Einheit und den Schöpfer derselben hoch preisen und
morgen alles mögliche thun, sich selbst die Freude zu verderben und das Werk
zu verkümmern? Es muß wohl in unsrer querköpfigen deutschen Art liegen;
wenigstens haben wir Deutschen es von jeher so gemacht. Es wird bei Be¬
urteilung großer Mäuner und Thaten der deutschen Vergangenheit nur zu
wenig in Rechnung gezogen, wieviele Reibungen und Widerstände auch sie im
eignen Lande zu überwinden hatten, wieviel engherzigen Geiz, wieviel Spieß-
bürgerei, wieviel Querelen, Bedenken und Gravamina. Das sind Arbeiten, die
man beim fertigen Resultate nicht mehr wahrnimmt, deren Überwindung aber
keinen geringen Teil des Verdienstes bedeutet.

Es ist aber auch das anzuerkennen, daß dem Deutschen, wenn er erst warm
wird, sein gutes Herz mit seinem thörichten Kopfe durchgeht. Auf der Chaussee
vor Roßbach stand ich bei einem Trupp Bauern, welche auf die Vorüberfahrt
des Kaisers warteten. Man war gespannt und erzählte sich große Dinge. Ein
Bciuerlein, einer von den Hellen („mir sein helle!"), machte abfällige Bemer¬
kungen und meinte: „Wozu soviel Spektakel? Mehr wie ein Mensch ist der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/228>, abgerufen am 20.05.2024.