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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Aus den Thüringer Nanövertcigen.

Kaiser auch nicht!" Da fuhr der kaiserliche Wagen vorbei, und alles schwenkte
die Hüte und rief Hurrah. "Sie da, alter Freund, fragte ich in strengem Tone
unser Bäuerlein, haben Sie Hurrah gerufen?" -- "Jawohl." -- "Das ist Ihr
Glück!" Hierauf folgte eine längere patriotische Pauke, zu welcher der Kreis
der übrigen das Echo machte.

Die größte Zahl der Manöverbesucher besteht aus der neugierigen Menge,
welche sich freut, wenn es glitzert und knallt. Für sie ist die Parade der
Hanpttag. Dazu löst man einen Platz, den man später nicht finden kann, früh¬
stückt sehr nnsführlich, sieht ans der Entfernung mehr oder weniger nichts,
schluckt Staub und kommt in einem schauderhaften Zustande wieder nach Hause.

Bei der diesjährigen Parade auf dem Janushügel waren die Kriegervereiue
der Umgegend, gegen 6000 Mann, aufgestellt. Der Kaiser hat das ganze riesige
Viereck abgeritten und mit vielen der Leute gesprochen. Einer der schönsten
Züge in dem Charakter unsers Kaisers ist seine unverlöschliche Dankbarkeit. Es
that ihm wohl, die Leute zu begrüßen, die 1870 mit ihm in Frankreich ge¬
standen hatten, und denen er ja die Erfolge jenes Jahres auch verdankte. Ob
diese Leute jedoch in der Gestalt von Kriegervereinen eines so hohen kaiserlichen
Wohlwollens würdig sind, möchte billig bezweifelt werden. Das Land hält von
den Kriegervereinen nicht allzuviel, es weiß, was sie eigentlich sind. Übrigens
sahen sie mit ihren hohen, schäbigen Cylindern nicht gerade elegant aus, noch
weniger am Nachmittag, wo schon manche unter ihnen des Guten zu viel ge¬
than hatten.

Der gewesene Füsilier oder Musketier geht schon mit etwas mehr Ver¬
ständnis "aufs Manöver." Er weiß, was Patrouille, Gros und Korpsartillerie
ist, er begiebt sich nach der Rendezvonsstellung und interpellirt die jünger" Kame¬
raden in Sache" der Schnapssrage. Der Reserveleutnant, sei es in Zivil, sei
es in Uniform, fühlt sich halb im Dienst und sucht die "Kinne'aber" von: "Re'neue"
oder die Einquartierung des letzten Tages auf -- freilich meist mit wenig Er¬
folg. Die Herren Rittergutsbesitzer und Amtleute sind mit ihren wohlgefüllten
Kutschkästen integrirende Bestandteile des strategischen Gedankens n"d Pflegen
beim Biwack mit großer Freudigkeit begrüßt zu werden.

Manöverbesucher von spezifischem Charakter sind auch die Schulmeister und
Pastoren. Letztere sind der Mehrzahl nach große Militärfreunde, was aus der
Anziehungskraft der Gegensätze erklärt werden mag. Sie pflegen auch große
Strategen zu sein, betrachten die Sache ziemlich phantasiereich im Sinne oft-
gelcscner Schlachtenmalereien und wittern überall Umgehungen, Kniffe, Hinter¬
listen und Krisen. Es kann ihnen begegnen, daß sie, einer vorgefaßte" Meinung
folgend, vom Gange der Dinge weit abkommen -- aber sie haben doch immer
alles ausgezeichnet gesehen. Die Schulmeister sind große Terraink"ndige, was
nicht Wunder nimmt, wenn man sich erinnert, daß ja die Schule Heimatskunde
treibt. Da steht eine Gruppe von ihnen vor Lnnstedt. Ein Offizier kommt,


Aus den Thüringer Nanövertcigen.

Kaiser auch nicht!" Da fuhr der kaiserliche Wagen vorbei, und alles schwenkte
die Hüte und rief Hurrah. „Sie da, alter Freund, fragte ich in strengem Tone
unser Bäuerlein, haben Sie Hurrah gerufen?" — „Jawohl." — „Das ist Ihr
Glück!" Hierauf folgte eine längere patriotische Pauke, zu welcher der Kreis
der übrigen das Echo machte.

Die größte Zahl der Manöverbesucher besteht aus der neugierigen Menge,
welche sich freut, wenn es glitzert und knallt. Für sie ist die Parade der
Hanpttag. Dazu löst man einen Platz, den man später nicht finden kann, früh¬
stückt sehr nnsführlich, sieht ans der Entfernung mehr oder weniger nichts,
schluckt Staub und kommt in einem schauderhaften Zustande wieder nach Hause.

Bei der diesjährigen Parade auf dem Janushügel waren die Kriegervereiue
der Umgegend, gegen 6000 Mann, aufgestellt. Der Kaiser hat das ganze riesige
Viereck abgeritten und mit vielen der Leute gesprochen. Einer der schönsten
Züge in dem Charakter unsers Kaisers ist seine unverlöschliche Dankbarkeit. Es
that ihm wohl, die Leute zu begrüßen, die 1870 mit ihm in Frankreich ge¬
standen hatten, und denen er ja die Erfolge jenes Jahres auch verdankte. Ob
diese Leute jedoch in der Gestalt von Kriegervereinen eines so hohen kaiserlichen
Wohlwollens würdig sind, möchte billig bezweifelt werden. Das Land hält von
den Kriegervereinen nicht allzuviel, es weiß, was sie eigentlich sind. Übrigens
sahen sie mit ihren hohen, schäbigen Cylindern nicht gerade elegant aus, noch
weniger am Nachmittag, wo schon manche unter ihnen des Guten zu viel ge¬
than hatten.

Der gewesene Füsilier oder Musketier geht schon mit etwas mehr Ver¬
ständnis „aufs Manöver." Er weiß, was Patrouille, Gros und Korpsartillerie
ist, er begiebt sich nach der Rendezvonsstellung und interpellirt die jünger» Kame¬
raden in Sache» der Schnapssrage. Der Reserveleutnant, sei es in Zivil, sei
es in Uniform, fühlt sich halb im Dienst und sucht die „Kinne'aber" von: „Re'neue"
oder die Einquartierung des letzten Tages auf — freilich meist mit wenig Er¬
folg. Die Herren Rittergutsbesitzer und Amtleute sind mit ihren wohlgefüllten
Kutschkästen integrirende Bestandteile des strategischen Gedankens n»d Pflegen
beim Biwack mit großer Freudigkeit begrüßt zu werden.

Manöverbesucher von spezifischem Charakter sind auch die Schulmeister und
Pastoren. Letztere sind der Mehrzahl nach große Militärfreunde, was aus der
Anziehungskraft der Gegensätze erklärt werden mag. Sie pflegen auch große
Strategen zu sein, betrachten die Sache ziemlich phantasiereich im Sinne oft-
gelcscner Schlachtenmalereien und wittern überall Umgehungen, Kniffe, Hinter¬
listen und Krisen. Es kann ihnen begegnen, daß sie, einer vorgefaßte» Meinung
folgend, vom Gange der Dinge weit abkommen — aber sie haben doch immer
alles ausgezeichnet gesehen. Die Schulmeister sind große Terraink»ndige, was
nicht Wunder nimmt, wenn man sich erinnert, daß ja die Schule Heimatskunde
treibt. Da steht eine Gruppe von ihnen vor Lnnstedt. Ein Offizier kommt,


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[0229] Aus den Thüringer Nanövertcigen. Kaiser auch nicht!" Da fuhr der kaiserliche Wagen vorbei, und alles schwenkte die Hüte und rief Hurrah. „Sie da, alter Freund, fragte ich in strengem Tone unser Bäuerlein, haben Sie Hurrah gerufen?" — „Jawohl." — „Das ist Ihr Glück!" Hierauf folgte eine längere patriotische Pauke, zu welcher der Kreis der übrigen das Echo machte. Die größte Zahl der Manöverbesucher besteht aus der neugierigen Menge, welche sich freut, wenn es glitzert und knallt. Für sie ist die Parade der Hanpttag. Dazu löst man einen Platz, den man später nicht finden kann, früh¬ stückt sehr nnsführlich, sieht ans der Entfernung mehr oder weniger nichts, schluckt Staub und kommt in einem schauderhaften Zustande wieder nach Hause. Bei der diesjährigen Parade auf dem Janushügel waren die Kriegervereiue der Umgegend, gegen 6000 Mann, aufgestellt. Der Kaiser hat das ganze riesige Viereck abgeritten und mit vielen der Leute gesprochen. Einer der schönsten Züge in dem Charakter unsers Kaisers ist seine unverlöschliche Dankbarkeit. Es that ihm wohl, die Leute zu begrüßen, die 1870 mit ihm in Frankreich ge¬ standen hatten, und denen er ja die Erfolge jenes Jahres auch verdankte. Ob diese Leute jedoch in der Gestalt von Kriegervereinen eines so hohen kaiserlichen Wohlwollens würdig sind, möchte billig bezweifelt werden. Das Land hält von den Kriegervereinen nicht allzuviel, es weiß, was sie eigentlich sind. Übrigens sahen sie mit ihren hohen, schäbigen Cylindern nicht gerade elegant aus, noch weniger am Nachmittag, wo schon manche unter ihnen des Guten zu viel ge¬ than hatten. Der gewesene Füsilier oder Musketier geht schon mit etwas mehr Ver¬ ständnis „aufs Manöver." Er weiß, was Patrouille, Gros und Korpsartillerie ist, er begiebt sich nach der Rendezvonsstellung und interpellirt die jünger» Kame¬ raden in Sache» der Schnapssrage. Der Reserveleutnant, sei es in Zivil, sei es in Uniform, fühlt sich halb im Dienst und sucht die „Kinne'aber" von: „Re'neue" oder die Einquartierung des letzten Tages auf — freilich meist mit wenig Er¬ folg. Die Herren Rittergutsbesitzer und Amtleute sind mit ihren wohlgefüllten Kutschkästen integrirende Bestandteile des strategischen Gedankens n»d Pflegen beim Biwack mit großer Freudigkeit begrüßt zu werden. Manöverbesucher von spezifischem Charakter sind auch die Schulmeister und Pastoren. Letztere sind der Mehrzahl nach große Militärfreunde, was aus der Anziehungskraft der Gegensätze erklärt werden mag. Sie pflegen auch große Strategen zu sein, betrachten die Sache ziemlich phantasiereich im Sinne oft- gelcscner Schlachtenmalereien und wittern überall Umgehungen, Kniffe, Hinter¬ listen und Krisen. Es kann ihnen begegnen, daß sie, einer vorgefaßte» Meinung folgend, vom Gange der Dinge weit abkommen — aber sie haben doch immer alles ausgezeichnet gesehen. Die Schulmeister sind große Terraink»ndige, was nicht Wunder nimmt, wenn man sich erinnert, daß ja die Schule Heimatskunde treibt. Da steht eine Gruppe von ihnen vor Lnnstedt. Ein Offizier kommt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/229>, abgerufen am 12.06.2024.