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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von.Rimim.

verwilderten und entsittlichten Roms, hier, wo sich die flaminische und aemilische
Straße kreuzten, wo der siegreiche Triumphatvr vor einem kleinen Wasser Halt
machen mußte, um nicht der Freiheit seines Vaterlandes gefährlich zu werden-
empfaud er eine Scheu vor der Majestät der Gesetze, deren Bruch auch Cäsar
nicht ungerächt vollziehen sollte. Und von den historischen Betrachtungen, von
den Erinnerungen an seine Jugend kehrten seine Gedanken zu seinem eignen
Schicksale zurück, und er wünschte in seinem Innern, daß auch für ihn die Über¬
schreitung des Rubico eine Wendung bedeuten möge.

Oswald blieb mehrere Tage in dein Aquila d'Oro, dem primitiven Gasthof
von Nimm, um sich zunächst einigermaßen mit der Stadt des gewaltthätigen
Sigismondv Malatesta bekannt zu machen, ehe er sich über einen demnächstigen
längern Aufenthalt entscheiden wollte. Obwohl er eben aus den großen Zentren
der Renaissance kam, so war ihm doch Rimini bald sympathisch geworden. Die
Stadt selbst war mit ihren Vorstädten aus den malerischen Mauern heraus¬
gewachsen, auf denen einst Jsotta, die heldenhafte Geliebte des Malatesta, die
Stadt gegen dessen Feinde verteidigt hatte. Diese Mauern boten noch überall
malerische Veduten, besonders von der alten Brücke des Tiberius, welcher die
innere Stadt von der Vorstadt San Giuliano trennte. Mächtige Paläste er¬
innerten noch an die Zeiten des Feudalismus, lebendige Straßen mit modernen
Namen an das neue Königreich Italien. Der Tempel des Malatesta, ein
Kunstwerk der Frührenaissance, eine kleine Galerie guter Gemälde boten Os¬
wald auch Gelegenheit zu neuen Studien. Endlich konnte er sowohl See wie
Berge genießen. Erstere war nur zwanzig Minuten von der Stadt entfernt,
und nach Westen erhoben sich nur wenige Kilometer weit die Höhenzüge des
Appennins und die Hügel, welche zu der alten Republik San Marino hinauf¬
führten. Oswald fühlte sich durch Stadt und Umgebung angezogen, und glaubte
es hier so lange aushalten zu können, um in besserer Gesundheit nach Rom
übersiedeln zu dürfen. Er wollte sich in aller Muße eine Wohnung mieten
und auch wieder ernsthafter und ruhiger arbeiten. Bei seinen Streifereien kam
er immer wieder zur Ponte del Tiberio und in die Vorstadt San Giuliano, wo
in der diesem Heiligen geweihten Kirche ein Bild des Paolo Veronese, welches
die Marter des heiligen Julianus darstellte, von Anfang an seine Aufmerksam¬
keit erregt hatte. An der Seite dieser von außen recht unscheinbaren und durch
die verzopfte Restauration im vorigen Jahrhundert unschön gewordenen Kirche
steht ein mächtiger Ziegelbau, dessen Säulenhof auch jetzt noch den Palazzo
eines alten Geschlechts verriet, während im übrigen das Haus verfallen und
verlassen schien. An der Thür hing ein vergilbter Zettel, welcher Wohl schon
seit unvordenklicher Zeit, aber vergebens den Vorübergehenden meldete, daß im
Oberstock möblirte Zimmer zu vermieten waren. Oswald fand sich nicht be¬
sonders angelockt, diese Zimmer auch nur zu besichtigen, aber es zog ihn doch
immer wieder in jene Gegend, einmal wegen des Bildes in San Giuliano, und


Francesca von.Rimim.

verwilderten und entsittlichten Roms, hier, wo sich die flaminische und aemilische
Straße kreuzten, wo der siegreiche Triumphatvr vor einem kleinen Wasser Halt
machen mußte, um nicht der Freiheit seines Vaterlandes gefährlich zu werden-
empfaud er eine Scheu vor der Majestät der Gesetze, deren Bruch auch Cäsar
nicht ungerächt vollziehen sollte. Und von den historischen Betrachtungen, von
den Erinnerungen an seine Jugend kehrten seine Gedanken zu seinem eignen
Schicksale zurück, und er wünschte in seinem Innern, daß auch für ihn die Über¬
schreitung des Rubico eine Wendung bedeuten möge.

Oswald blieb mehrere Tage in dein Aquila d'Oro, dem primitiven Gasthof
von Nimm, um sich zunächst einigermaßen mit der Stadt des gewaltthätigen
Sigismondv Malatesta bekannt zu machen, ehe er sich über einen demnächstigen
längern Aufenthalt entscheiden wollte. Obwohl er eben aus den großen Zentren
der Renaissance kam, so war ihm doch Rimini bald sympathisch geworden. Die
Stadt selbst war mit ihren Vorstädten aus den malerischen Mauern heraus¬
gewachsen, auf denen einst Jsotta, die heldenhafte Geliebte des Malatesta, die
Stadt gegen dessen Feinde verteidigt hatte. Diese Mauern boten noch überall
malerische Veduten, besonders von der alten Brücke des Tiberius, welcher die
innere Stadt von der Vorstadt San Giuliano trennte. Mächtige Paläste er¬
innerten noch an die Zeiten des Feudalismus, lebendige Straßen mit modernen
Namen an das neue Königreich Italien. Der Tempel des Malatesta, ein
Kunstwerk der Frührenaissance, eine kleine Galerie guter Gemälde boten Os¬
wald auch Gelegenheit zu neuen Studien. Endlich konnte er sowohl See wie
Berge genießen. Erstere war nur zwanzig Minuten von der Stadt entfernt,
und nach Westen erhoben sich nur wenige Kilometer weit die Höhenzüge des
Appennins und die Hügel, welche zu der alten Republik San Marino hinauf¬
führten. Oswald fühlte sich durch Stadt und Umgebung angezogen, und glaubte
es hier so lange aushalten zu können, um in besserer Gesundheit nach Rom
übersiedeln zu dürfen. Er wollte sich in aller Muße eine Wohnung mieten
und auch wieder ernsthafter und ruhiger arbeiten. Bei seinen Streifereien kam
er immer wieder zur Ponte del Tiberio und in die Vorstadt San Giuliano, wo
in der diesem Heiligen geweihten Kirche ein Bild des Paolo Veronese, welches
die Marter des heiligen Julianus darstellte, von Anfang an seine Aufmerksam¬
keit erregt hatte. An der Seite dieser von außen recht unscheinbaren und durch
die verzopfte Restauration im vorigen Jahrhundert unschön gewordenen Kirche
steht ein mächtiger Ziegelbau, dessen Säulenhof auch jetzt noch den Palazzo
eines alten Geschlechts verriet, während im übrigen das Haus verfallen und
verlassen schien. An der Thür hing ein vergilbter Zettel, welcher Wohl schon
seit unvordenklicher Zeit, aber vergebens den Vorübergehenden meldete, daß im
Oberstock möblirte Zimmer zu vermieten waren. Oswald fand sich nicht be¬
sonders angelockt, diese Zimmer auch nur zu besichtigen, aber es zog ihn doch
immer wieder in jene Gegend, einmal wegen des Bildes in San Giuliano, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/380>, abgerufen am 20.05.2024.