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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

sodann weil er nicht mit Unrecht schloß, daß aus dem Oberstock jenes Hauses
eine herrliche Aussicht über die Mauern, das Meer und die Berge sein müßte.
Da er mit dem Custvde der Kirche wegen seines eingehenden Studiums des
Martiriv, das er zu kopiren beschloß, Freundschaft geschlossen hatte, und der
alte Mann öfters, während er malte, mit ihm plauderte, so erkundigte er sich
eines Tages auch nach den Zimmern des Nachbarhauses.

Es ist ein stilles Haus, Signore, und hat noch niemals Mieter aufge¬
nommen; es wird nur von Don Baldassare und seiner Nichte oder Tochter be¬
wohnt, und die halten sich ganz abgeschlossen von der Welt.

Diese Andeutung war genügend, um Oswald zu weitern Forschungen nach
den Bewohnern des einsamen Hauses zu veranlassen. Er hatte bei Tisch im
Albergo einen alten Bewohner Riminis kennen gelernt, welcher als Stadtarchivar
nicht bloß mit der vergangenen Geschichte seiner Vaterstadt vertraut war, son¬
dern auch genau die Schicksale der gegenwärtigen Bewohner zu erzählen wußte.
Vor der Cena machte der alte Signor Rebeechini stets einen Spaziergang in
der Richtung nach San Marino, und auf diesem war er immer gesprächig und
aufgeräumt, sodaß Oswald ihn auch eines Tages über das Haus bei San Giu-
liano ausfragte.

Das ist eine traurige Geschichte, Signor Oswaldv, die nur wenige hier
wissen, denn der Marchese ist zu stolz, um auch nur einem seinen Kummer aus¬
zuschütten. Wenn ich etwas mehr weiß, so rührt es daher, daß wir einstens
Waffenbrüder gewesen sind. Ja ja, Signor Oswaldo, seht mich nicht so ver¬
wundert an, in meiner Jugend bin ich auch ein stattlicher Bursch gewesen und
habe für die linken uim <z lidsrg, gekämpft und den Papcilini und Tedeschi
manchen Schabernack gespielt. Doch davon erzähle ich Euch ein andermal.
Der Palazzo bei San Giuliano -- ich habe ihn noch gekannt, da man ihn so
nennen durfte, während er jetzt doch nur wie eine verfallene Ruine ausschaut --
gehörte mit vielen Gütern hier in den Legationen der Familie der Serradisetti,
welche so alt ist wie Rimini. Denn in den Urkunden unsers Archives kommen
Träger dieses Namens schon in einer Zeit vor, wo man überhaupt erst die
Geschichte der mittelalterlichen Stadt kennen lernt. Ja einer der Serradisetti
hat sogar dem Sigismondo Malatesta, dessen Tempio Ihr so sehr und mit
Recht bewundert, die Signoria über diese Stadt streitig gemacht, ist aber von
seinem glücklicheren Gegner besiegt, gesangen genommen und getötet worden.
Nun damals ist mit dem Besiegten diese erlauchte Familie nicht vertilgt worden;
sie blühte weiter fort, und unter der Herrschaft der Venetianer und der Kirche
ist aus ihr manches Haupt dieser Stadt hervorgegangen. Denn wenn die
Serradisetti gleich gehorsam der Obrigkeit und treue Söhne der Kirche waren,
so erniedrigten sie sich doch nie, auch die Fehler der Herrschenden gutzuheißen,
sie standen vielmehr auf der Seite der Unterdrückten, und wer von der Hab¬
sucht oder von andern unlautern Begierden des Kardinallegaten zu leiden hatte,


Francesca von Rimini.

sodann weil er nicht mit Unrecht schloß, daß aus dem Oberstock jenes Hauses
eine herrliche Aussicht über die Mauern, das Meer und die Berge sein müßte.
Da er mit dem Custvde der Kirche wegen seines eingehenden Studiums des
Martiriv, das er zu kopiren beschloß, Freundschaft geschlossen hatte, und der
alte Mann öfters, während er malte, mit ihm plauderte, so erkundigte er sich
eines Tages auch nach den Zimmern des Nachbarhauses.

Es ist ein stilles Haus, Signore, und hat noch niemals Mieter aufge¬
nommen; es wird nur von Don Baldassare und seiner Nichte oder Tochter be¬
wohnt, und die halten sich ganz abgeschlossen von der Welt.

Diese Andeutung war genügend, um Oswald zu weitern Forschungen nach
den Bewohnern des einsamen Hauses zu veranlassen. Er hatte bei Tisch im
Albergo einen alten Bewohner Riminis kennen gelernt, welcher als Stadtarchivar
nicht bloß mit der vergangenen Geschichte seiner Vaterstadt vertraut war, son¬
dern auch genau die Schicksale der gegenwärtigen Bewohner zu erzählen wußte.
Vor der Cena machte der alte Signor Rebeechini stets einen Spaziergang in
der Richtung nach San Marino, und auf diesem war er immer gesprächig und
aufgeräumt, sodaß Oswald ihn auch eines Tages über das Haus bei San Giu-
liano ausfragte.

Das ist eine traurige Geschichte, Signor Oswaldv, die nur wenige hier
wissen, denn der Marchese ist zu stolz, um auch nur einem seinen Kummer aus¬
zuschütten. Wenn ich etwas mehr weiß, so rührt es daher, daß wir einstens
Waffenbrüder gewesen sind. Ja ja, Signor Oswaldo, seht mich nicht so ver¬
wundert an, in meiner Jugend bin ich auch ein stattlicher Bursch gewesen und
habe für die linken uim <z lidsrg, gekämpft und den Papcilini und Tedeschi
manchen Schabernack gespielt. Doch davon erzähle ich Euch ein andermal.
Der Palazzo bei San Giuliano — ich habe ihn noch gekannt, da man ihn so
nennen durfte, während er jetzt doch nur wie eine verfallene Ruine ausschaut —
gehörte mit vielen Gütern hier in den Legationen der Familie der Serradisetti,
welche so alt ist wie Rimini. Denn in den Urkunden unsers Archives kommen
Träger dieses Namens schon in einer Zeit vor, wo man überhaupt erst die
Geschichte der mittelalterlichen Stadt kennen lernt. Ja einer der Serradisetti
hat sogar dem Sigismondo Malatesta, dessen Tempio Ihr so sehr und mit
Recht bewundert, die Signoria über diese Stadt streitig gemacht, ist aber von
seinem glücklicheren Gegner besiegt, gesangen genommen und getötet worden.
Nun damals ist mit dem Besiegten diese erlauchte Familie nicht vertilgt worden;
sie blühte weiter fort, und unter der Herrschaft der Venetianer und der Kirche
ist aus ihr manches Haupt dieser Stadt hervorgegangen. Denn wenn die
Serradisetti gleich gehorsam der Obrigkeit und treue Söhne der Kirche waren,
so erniedrigten sie sich doch nie, auch die Fehler der Herrschenden gutzuheißen,
sie standen vielmehr auf der Seite der Unterdrückten, und wer von der Hab¬
sucht oder von andern unlautern Begierden des Kardinallegaten zu leiden hatte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/381>, abgerufen am 13.06.2024.