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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Der Lisztnnfug in lVcimm-.

mit unbegreiflicher Milde gehandhabt wird -- grundsätzlich bei offenen Fenstern
Pianoforte und schmettern den ahnungslosen Wandrer mit einem Hagelwetter
von Sonaten und Etüden zu Boden. Ein Entrinnen ist unmöglich; versucht
man es, so gerät man regelmäßig aus der Scylla der einen Straße in die
Charybdis der andern. Wer sich schützen wollte, müßte immer ein halbes
Pfund Baumwolle mit herumschleppen. Dann ist aber auch die äußere Er¬
scheinung dieser musikalischen Abderiten wie geschaffen dazu, um in einigermaßen
empfindlichen Naturen Übelkeitsgcfühle hervorzurufen: kein Liszticiner ohne lang
hcrabwallendes Haar, gespensterhafte Blässe (oft künstlich durch das Essen von
Kaffeebohnen erzeugt) und mehr oder minder anmaßendes Auftreten. Welche
Abgötterei aber treiben sie mit ihrem Herrn und Meister! Einmal haben sie
ihm zum Geburtstage einen Stuhl geschenkt, dessen Polster ganz ans Blumen
bestand! Wurden die duftenden Kinder der Flora auch zerquetscht, so starben
sie doch eines seligen Todes! Außer sich vor Wonne sind die Geister, wenn
Liszt Gesellschaftstag hat (Gg.sche Plaudereien beschäftigen sich gern mit solchen
historische" Ereignissen). Jedes Wort des "Einzigen" gilt dann als Orakel,
und die Damen zanken sich um Liszts -- Taschentücher!

Aber mit dieser privaten Vergötterung ist die tolle Sippschaft nicht zu¬
frieden. Nein, in jeder Saison beglücken sie Weimar mit mehreren musikalischen
Aufführungen, in welchen man ausschließlich mit Lisztschen Werken gefüttert
wird. Liszt ist selbstverständlich stets anwesend und hat seinen Ehrenplatz in
der vordersten Reihe auf einem lorbergeschmückten (!) Sessel. Der Pianist
-- meist ein Slave oder Jude -- rasauut auf dem Flügel umher und wirft
den Zuhörern ein betäubendes Notengemeugsel an den Kopf: regelmäßig werden
ein Paar Saiten dabei zerdroschen. Natürlich wird geklatscht, daß die Hand¬
schuhnähte platzen. Man kann jedem Fremden nur dringend empfehlen, daß
er in Weimar nicht blindlings in ein Konzert hineintappe; er untersuche
vorher genau das Programm und fliehe, wenn es nur Lisztsche Kompositionen
aufweist.

Meine Feder ist zu schwach, um den Lisztunfug in seinem ganzen Umfange
zu schildern; aber schon das bisherige wird zeigen, was für ein Geist in
"Jlmathcn" gewisse Kreise beseelt. Dem Unfug ließe sich nur dadurch steuern,
daß Liszt sich selbst einmal etwa auf ein Jahr aus Weimar verbannte. Ein
Verlust für Weimar wäre das nicht; denn den Russen und Juden, die
mit dem Altmeister natürlich verschwinden würden, brauchte man keine Thräne
nachzuweinen. Die Orchesterschnle würde unter der trefflichen Leitung ihres
jetzige" Direktors wohl ebenso blühen und gedeihen wie bisher. Vor allen
Dingen aber würde die Klavierpest "icht mehr so schlimme Verheerungen an¬
richten: die entsetzlichen Wimmerhölzer würden nicht länger mit ihrem Gestöhn
alle Häuser in Folterkammern verwandeln. Ruhe und Vernunft würden wieder
Weimars musikalisches Leben beherrsche".




Der Lisztnnfug in lVcimm-.

mit unbegreiflicher Milde gehandhabt wird — grundsätzlich bei offenen Fenstern
Pianoforte und schmettern den ahnungslosen Wandrer mit einem Hagelwetter
von Sonaten und Etüden zu Boden. Ein Entrinnen ist unmöglich; versucht
man es, so gerät man regelmäßig aus der Scylla der einen Straße in die
Charybdis der andern. Wer sich schützen wollte, müßte immer ein halbes
Pfund Baumwolle mit herumschleppen. Dann ist aber auch die äußere Er¬
scheinung dieser musikalischen Abderiten wie geschaffen dazu, um in einigermaßen
empfindlichen Naturen Übelkeitsgcfühle hervorzurufen: kein Liszticiner ohne lang
hcrabwallendes Haar, gespensterhafte Blässe (oft künstlich durch das Essen von
Kaffeebohnen erzeugt) und mehr oder minder anmaßendes Auftreten. Welche
Abgötterei aber treiben sie mit ihrem Herrn und Meister! Einmal haben sie
ihm zum Geburtstage einen Stuhl geschenkt, dessen Polster ganz ans Blumen
bestand! Wurden die duftenden Kinder der Flora auch zerquetscht, so starben
sie doch eines seligen Todes! Außer sich vor Wonne sind die Geister, wenn
Liszt Gesellschaftstag hat (Gg.sche Plaudereien beschäftigen sich gern mit solchen
historische» Ereignissen). Jedes Wort des „Einzigen" gilt dann als Orakel,
und die Damen zanken sich um Liszts — Taschentücher!

Aber mit dieser privaten Vergötterung ist die tolle Sippschaft nicht zu¬
frieden. Nein, in jeder Saison beglücken sie Weimar mit mehreren musikalischen
Aufführungen, in welchen man ausschließlich mit Lisztschen Werken gefüttert
wird. Liszt ist selbstverständlich stets anwesend und hat seinen Ehrenplatz in
der vordersten Reihe auf einem lorbergeschmückten (!) Sessel. Der Pianist
— meist ein Slave oder Jude — rasauut auf dem Flügel umher und wirft
den Zuhörern ein betäubendes Notengemeugsel an den Kopf: regelmäßig werden
ein Paar Saiten dabei zerdroschen. Natürlich wird geklatscht, daß die Hand¬
schuhnähte platzen. Man kann jedem Fremden nur dringend empfehlen, daß
er in Weimar nicht blindlings in ein Konzert hineintappe; er untersuche
vorher genau das Programm und fliehe, wenn es nur Lisztsche Kompositionen
aufweist.

Meine Feder ist zu schwach, um den Lisztunfug in seinem ganzen Umfange
zu schildern; aber schon das bisherige wird zeigen, was für ein Geist in
„Jlmathcn" gewisse Kreise beseelt. Dem Unfug ließe sich nur dadurch steuern,
daß Liszt sich selbst einmal etwa auf ein Jahr aus Weimar verbannte. Ein
Verlust für Weimar wäre das nicht; denn den Russen und Juden, die
mit dem Altmeister natürlich verschwinden würden, brauchte man keine Thräne
nachzuweinen. Die Orchesterschnle würde unter der trefflichen Leitung ihres
jetzige» Direktors wohl ebenso blühen und gedeihen wie bisher. Vor allen
Dingen aber würde die Klavierpest »icht mehr so schlimme Verheerungen an¬
richten: die entsetzlichen Wimmerhölzer würden nicht länger mit ihrem Gestöhn
alle Häuser in Folterkammern verwandeln. Ruhe und Vernunft würden wieder
Weimars musikalisches Leben beherrsche».




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[0103] Der Lisztnnfug in lVcimm-. mit unbegreiflicher Milde gehandhabt wird — grundsätzlich bei offenen Fenstern Pianoforte und schmettern den ahnungslosen Wandrer mit einem Hagelwetter von Sonaten und Etüden zu Boden. Ein Entrinnen ist unmöglich; versucht man es, so gerät man regelmäßig aus der Scylla der einen Straße in die Charybdis der andern. Wer sich schützen wollte, müßte immer ein halbes Pfund Baumwolle mit herumschleppen. Dann ist aber auch die äußere Er¬ scheinung dieser musikalischen Abderiten wie geschaffen dazu, um in einigermaßen empfindlichen Naturen Übelkeitsgcfühle hervorzurufen: kein Liszticiner ohne lang hcrabwallendes Haar, gespensterhafte Blässe (oft künstlich durch das Essen von Kaffeebohnen erzeugt) und mehr oder minder anmaßendes Auftreten. Welche Abgötterei aber treiben sie mit ihrem Herrn und Meister! Einmal haben sie ihm zum Geburtstage einen Stuhl geschenkt, dessen Polster ganz ans Blumen bestand! Wurden die duftenden Kinder der Flora auch zerquetscht, so starben sie doch eines seligen Todes! Außer sich vor Wonne sind die Geister, wenn Liszt Gesellschaftstag hat (Gg.sche Plaudereien beschäftigen sich gern mit solchen historische» Ereignissen). Jedes Wort des „Einzigen" gilt dann als Orakel, und die Damen zanken sich um Liszts — Taschentücher! Aber mit dieser privaten Vergötterung ist die tolle Sippschaft nicht zu¬ frieden. Nein, in jeder Saison beglücken sie Weimar mit mehreren musikalischen Aufführungen, in welchen man ausschließlich mit Lisztschen Werken gefüttert wird. Liszt ist selbstverständlich stets anwesend und hat seinen Ehrenplatz in der vordersten Reihe auf einem lorbergeschmückten (!) Sessel. Der Pianist — meist ein Slave oder Jude — rasauut auf dem Flügel umher und wirft den Zuhörern ein betäubendes Notengemeugsel an den Kopf: regelmäßig werden ein Paar Saiten dabei zerdroschen. Natürlich wird geklatscht, daß die Hand¬ schuhnähte platzen. Man kann jedem Fremden nur dringend empfehlen, daß er in Weimar nicht blindlings in ein Konzert hineintappe; er untersuche vorher genau das Programm und fliehe, wenn es nur Lisztsche Kompositionen aufweist. Meine Feder ist zu schwach, um den Lisztunfug in seinem ganzen Umfange zu schildern; aber schon das bisherige wird zeigen, was für ein Geist in „Jlmathcn" gewisse Kreise beseelt. Dem Unfug ließe sich nur dadurch steuern, daß Liszt sich selbst einmal etwa auf ein Jahr aus Weimar verbannte. Ein Verlust für Weimar wäre das nicht; denn den Russen und Juden, die mit dem Altmeister natürlich verschwinden würden, brauchte man keine Thräne nachzuweinen. Die Orchesterschnle würde unter der trefflichen Leitung ihres jetzige» Direktors wohl ebenso blühen und gedeihen wie bisher. Vor allen Dingen aber würde die Klavierpest »icht mehr so schlimme Verheerungen an¬ richten: die entsetzlichen Wimmerhölzer würden nicht länger mit ihrem Gestöhn alle Häuser in Folterkammern verwandeln. Ruhe und Vernunft würden wieder Weimars musikalisches Leben beherrsche».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/103>, abgerufen am 16.06.2024.