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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das ni'no Aktwngesetz,

liebes Lob erhielt, und daß sich die Mitglieder mit den Negiernngsvertretern zu
einem brüderlichen Liebesmahl vereinigten.

Dieser mit der Exposition in vollem Widerspruch stehende Abschluß des
zweiten Aktes wirkte überraschend und fand natürlich den Beifall derjenigen nicht,
denen an dem Wohlbehagen der Börse mehr gelegen ist als an der Wohlfahrt
des deutschen Volkes. Als diese Börsenpartisane daher zu ihrem Schmerze
merkten, daß sich die Aussichten für ein Zustandekommen des Gesetzes mehrten,
begann man die Kampfesweise zu ändern. Die Nationalzcituug ließ den In¬
halt des Entwurfs beiseite, warnte aber vor Überhastung und mahnte, nicht
denselben Fehler zu begehen, der bei der Novelle von 1870 durch die eilige
Beratung begangen worden sei. Diese neue Art, die Arbeiten der Regierung
und Kommission in Mißkredit zu bringen, tönte nunmehr aus allen Börsenecken
und -enden. Das Feldgeschrei wurde: "Nur nicht überhasten!" Die Kühnheit
dieses Warnerrufs war ebenso groß wie die Grundlosigkeit des Vorwurfs. Die
Novelle von 1870 war in der That ein Werk nur weniger Wochen, der vor¬
liegende Entwurf dagegen das Ergebnis einer Arbeit von mehreren Jahren.
Die Novelle von 1870 war dem Reichstage vorgelegt und im großen und
ganzen ohne Mithilfe einer Kommission beraten, der vorliegende Entwurf war,
nachdem er durch die Destillation der verschiednen Reichsämter und preußischen
Ministerien gegangen und eine Vorberatung durch eine Sachverständigenkommission
erfahren hatte, im September veröffentlicht worden. Es waren über denselben
eine Reihe eingehender Kritiken erschienen, welche bereits in dem Schoße des
Bundesrath Berücksichtigung gefunden hatten, die gesamte Presse hatte Auszüge
und Besprechungen gebracht, der Landwirtschaftsrat, sämtliche Handelskammern,
verschiedne freie Vereinigungen hatten sich gutachtlich geäußert, und als der
Entwarf an den Reichstag gelangte, waren bereits alle Streitpunkte in der
öffentlichen Meinung bis zum Überdruß erörtert und geklärt. Die Kommission
des Reichstages selbst hatte in 22 Sitzungen drei Lesungen vorgenommen und
fast ebensoviel Arbeit ans diese Vorlage verwendet, wie auf die nicht minder
wichtige und erheblich umfangreichere der Kvukursordnung, die in 27 Sitzungen
erledigt wurde. Jede dieser Sitzungen hat fast regelmäßig mehrere Stunden ge¬
dauert, und ihnen folgte eine Reihe ebensolanger Sitzungen der besonders gewählten
Redaktionskommission. In der That, es gehört eine harte Stirn, wie sich eine
solche lediglich in dem Verkehr des Jvbbertnms ausbildet, dazu, um noch von
einer Überhastung zu sprechen. Daß aber ein solches Gesetz wegen seiner
großen technische!? Schwierigkeiten sich nicht zu einer genauen Durchbcratnng
des Details im Plenum eignete, mußte jeder, der sich nicht völlig preisgegeben
sehen wollte, zugestehen.

Mit diesem Schluß der Kommissionsberatnng erfolgte ein Szenenwechsel,
indem nunmehr der Kampfplatz in die Fraktionen gelegt wurde. Die beiden
konservativen Gruppen und die Nationalliberalen nahmen einmütig die Beschlüsse


Das ni'no Aktwngesetz,

liebes Lob erhielt, und daß sich die Mitglieder mit den Negiernngsvertretern zu
einem brüderlichen Liebesmahl vereinigten.

Dieser mit der Exposition in vollem Widerspruch stehende Abschluß des
zweiten Aktes wirkte überraschend und fand natürlich den Beifall derjenigen nicht,
denen an dem Wohlbehagen der Börse mehr gelegen ist als an der Wohlfahrt
des deutschen Volkes. Als diese Börsenpartisane daher zu ihrem Schmerze
merkten, daß sich die Aussichten für ein Zustandekommen des Gesetzes mehrten,
begann man die Kampfesweise zu ändern. Die Nationalzcituug ließ den In¬
halt des Entwurfs beiseite, warnte aber vor Überhastung und mahnte, nicht
denselben Fehler zu begehen, der bei der Novelle von 1870 durch die eilige
Beratung begangen worden sei. Diese neue Art, die Arbeiten der Regierung
und Kommission in Mißkredit zu bringen, tönte nunmehr aus allen Börsenecken
und -enden. Das Feldgeschrei wurde: „Nur nicht überhasten!" Die Kühnheit
dieses Warnerrufs war ebenso groß wie die Grundlosigkeit des Vorwurfs. Die
Novelle von 1870 war in der That ein Werk nur weniger Wochen, der vor¬
liegende Entwurf dagegen das Ergebnis einer Arbeit von mehreren Jahren.
Die Novelle von 1870 war dem Reichstage vorgelegt und im großen und
ganzen ohne Mithilfe einer Kommission beraten, der vorliegende Entwurf war,
nachdem er durch die Destillation der verschiednen Reichsämter und preußischen
Ministerien gegangen und eine Vorberatung durch eine Sachverständigenkommission
erfahren hatte, im September veröffentlicht worden. Es waren über denselben
eine Reihe eingehender Kritiken erschienen, welche bereits in dem Schoße des
Bundesrath Berücksichtigung gefunden hatten, die gesamte Presse hatte Auszüge
und Besprechungen gebracht, der Landwirtschaftsrat, sämtliche Handelskammern,
verschiedne freie Vereinigungen hatten sich gutachtlich geäußert, und als der
Entwarf an den Reichstag gelangte, waren bereits alle Streitpunkte in der
öffentlichen Meinung bis zum Überdruß erörtert und geklärt. Die Kommission
des Reichstages selbst hatte in 22 Sitzungen drei Lesungen vorgenommen und
fast ebensoviel Arbeit ans diese Vorlage verwendet, wie auf die nicht minder
wichtige und erheblich umfangreichere der Kvukursordnung, die in 27 Sitzungen
erledigt wurde. Jede dieser Sitzungen hat fast regelmäßig mehrere Stunden ge¬
dauert, und ihnen folgte eine Reihe ebensolanger Sitzungen der besonders gewählten
Redaktionskommission. In der That, es gehört eine harte Stirn, wie sich eine
solche lediglich in dem Verkehr des Jvbbertnms ausbildet, dazu, um noch von
einer Überhastung zu sprechen. Daß aber ein solches Gesetz wegen seiner
großen technische!? Schwierigkeiten sich nicht zu einer genauen Durchbcratnng
des Details im Plenum eignete, mußte jeder, der sich nicht völlig preisgegeben
sehen wollte, zugestehen.

Mit diesem Schluß der Kommissionsberatnng erfolgte ein Szenenwechsel,
indem nunmehr der Kampfplatz in die Fraktionen gelegt wurde. Die beiden
konservativen Gruppen und die Nationalliberalen nahmen einmütig die Beschlüsse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/116>, abgerufen am 16.06.2024.