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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das neue Aktiengesetz.

der Kommission an, dagegen gab es offne Kämpfe bei den Deutsch-Freisinnigen
und versteckte im Zentrum. In der deutsch-freisinnigen Partei trat bei dieser
Gelegenheit sehr offen der Zwiespalt zutage, wie er schon bei Gelegenheit des
Sozialistengesetzes sich gezeigt hatte, nur in einem größern, wenn auch nicht so
sehr nach außen fühlbaren Umfange. Der Abgeordnete Richter war ein Gegner
der Vorlage, deren Zustandekommen auch für ihn ganz unerwartet kam. Da
der Agitations- und Diätenfonds der Fortschrittspartei seinen Hauptzufluß aus
Börsenkreisen bezieht, so konnte Eugen Richter nicht einem Gesetz die Zustim¬
mung geben, welches von der Börse verabscheut wurde. Außerdem wurde ihm
durch die Annahme der Vorlage ein sehr wirksames Agitationsmittel entwunden,
denn er Hütte mit seinem Troß natürlich gegen den Reichskanzler losdonuern
können, welcher auch "durch diese Vorlage seine Feindseligkeit gegen Handel und
Industrie gezeigt hatte." Er verlangte deshalb in der Fraktion Ablehnung; aber
hier stieß er auf sehr energischen Widerspruch, indem namentlich die frühern
sezessionistischen Elemente sich von seiner Kampfesweise lossagten und die Brauch¬
barkeit der Vorlage behaupteten. Es soll zu sehr heftigen Szenen gekommen
sein, Austritte hervorragender Mitglieder aus der Fraktion und Mandatsnieder¬
legungen standen in Frage, und der große Agitator mußte klein beigeben und
sich darein fügen, daß jedes Fraktionsmitglied nach seiner Überzeugung stimmen
durfte. Die Klugheit hätte es nun geboten, daß Richter sich in dieser Frage
zurückgezogen hätte, allein so leicht wird auch vou einem Fortschrittlcr der
Thron nicht verlassen. Richter stellte in der zweiten Lesung verschiedne, zum
Teil so schlecht redigirte und auf mangelndem Verständnis beruhende Anträge,
daß es den Anschein hat, als wollte er damit auf die Probe stellen, ob seine
Anhänger wirklich den Mut hätten, ihn vor aller Welt offen zu verlassen.
Dieses Unerwartete geschah aber; für einen Antrag traten außer ihm nur drei,
sage drei Mitglieder seiner Fraktion ein, andre Anträge wurden offen von den
Abgeordneten Meyer (Halle) und Kochhann bekämpft. Kurzum, die Beratung
des Aktiengesetzes war gleichzeitig el" Fiasko für den Fortschrittsführer, und es
fehlt uicht an Stimmen, welche diesem Symptom eine sehr weittragende Be¬
deutung geben. Hätte die Regierung statt eines Geschäftsstenergesetzes ein le¬
diglich auf die Besteuerung der Börse abzielendes eingebracht, so wäre vielleicht
schon in dieser Session die Alleinherrschaft des Tyrannen Richter gebrochen ge¬
wesen; ob sie auch in die nächste Session hineinragen wird, hängt freilich von den
Wahlen ab. Viel gewandter benahm sich das Zentrum. Auch hier gab es zwei
Parteien; der einen, an deren Spitze Peter Reichensperger und Franckenstein
standen, waren die Bestimmungen der Regierungsvorlage zum Teil noch zu
milde. Zu dieser Anschauung bekannten sich namentlich die rheinischen und
schlesischen Mitglieder der Fraktion, in deren Gedächtnis der sogenannte Kölner
Klüngel und die schlesischen Montankrache offenbar noch stark hafteten. Auch
Majunke hatte als Redakteur der "Germania" die Verwüstungen von Moral und


Das neue Aktiengesetz.

der Kommission an, dagegen gab es offne Kämpfe bei den Deutsch-Freisinnigen
und versteckte im Zentrum. In der deutsch-freisinnigen Partei trat bei dieser
Gelegenheit sehr offen der Zwiespalt zutage, wie er schon bei Gelegenheit des
Sozialistengesetzes sich gezeigt hatte, nur in einem größern, wenn auch nicht so
sehr nach außen fühlbaren Umfange. Der Abgeordnete Richter war ein Gegner
der Vorlage, deren Zustandekommen auch für ihn ganz unerwartet kam. Da
der Agitations- und Diätenfonds der Fortschrittspartei seinen Hauptzufluß aus
Börsenkreisen bezieht, so konnte Eugen Richter nicht einem Gesetz die Zustim¬
mung geben, welches von der Börse verabscheut wurde. Außerdem wurde ihm
durch die Annahme der Vorlage ein sehr wirksames Agitationsmittel entwunden,
denn er Hütte mit seinem Troß natürlich gegen den Reichskanzler losdonuern
können, welcher auch „durch diese Vorlage seine Feindseligkeit gegen Handel und
Industrie gezeigt hatte." Er verlangte deshalb in der Fraktion Ablehnung; aber
hier stieß er auf sehr energischen Widerspruch, indem namentlich die frühern
sezessionistischen Elemente sich von seiner Kampfesweise lossagten und die Brauch¬
barkeit der Vorlage behaupteten. Es soll zu sehr heftigen Szenen gekommen
sein, Austritte hervorragender Mitglieder aus der Fraktion und Mandatsnieder¬
legungen standen in Frage, und der große Agitator mußte klein beigeben und
sich darein fügen, daß jedes Fraktionsmitglied nach seiner Überzeugung stimmen
durfte. Die Klugheit hätte es nun geboten, daß Richter sich in dieser Frage
zurückgezogen hätte, allein so leicht wird auch vou einem Fortschrittlcr der
Thron nicht verlassen. Richter stellte in der zweiten Lesung verschiedne, zum
Teil so schlecht redigirte und auf mangelndem Verständnis beruhende Anträge,
daß es den Anschein hat, als wollte er damit auf die Probe stellen, ob seine
Anhänger wirklich den Mut hätten, ihn vor aller Welt offen zu verlassen.
Dieses Unerwartete geschah aber; für einen Antrag traten außer ihm nur drei,
sage drei Mitglieder seiner Fraktion ein, andre Anträge wurden offen von den
Abgeordneten Meyer (Halle) und Kochhann bekämpft. Kurzum, die Beratung
des Aktiengesetzes war gleichzeitig el» Fiasko für den Fortschrittsführer, und es
fehlt uicht an Stimmen, welche diesem Symptom eine sehr weittragende Be¬
deutung geben. Hätte die Regierung statt eines Geschäftsstenergesetzes ein le¬
diglich auf die Besteuerung der Börse abzielendes eingebracht, so wäre vielleicht
schon in dieser Session die Alleinherrschaft des Tyrannen Richter gebrochen ge¬
wesen; ob sie auch in die nächste Session hineinragen wird, hängt freilich von den
Wahlen ab. Viel gewandter benahm sich das Zentrum. Auch hier gab es zwei
Parteien; der einen, an deren Spitze Peter Reichensperger und Franckenstein
standen, waren die Bestimmungen der Regierungsvorlage zum Teil noch zu
milde. Zu dieser Anschauung bekannten sich namentlich die rheinischen und
schlesischen Mitglieder der Fraktion, in deren Gedächtnis der sogenannte Kölner
Klüngel und die schlesischen Montankrache offenbar noch stark hafteten. Auch
Majunke hatte als Redakteur der „Germania" die Verwüstungen von Moral und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/117>, abgerufen am 15.06.2024.