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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Lin Franzose über Rußland und die Russen.

mit solcher Rücksichtslosigkeit und Vergewaltigung geübt worden, daß uach dem
Krach ein allgemeiner Ruf ertönte, wonach jeder Aktionär die Rechte eines
offenen Gesellschafters haben sollte. Der Entwurf hat die Minoritäten in sehr
mäßigem Umfange ermächtigt, selbständige Rechte auszuüben, aber selbst in diesem
Maße erlangte" die Borschläge nicht die Zustimmung des Reichstages. Es
überwog zu sehr die Befürchtung eines Mißbrauchs derselbe", und deshalb wurden
sie uoch weiter eingeschränkt. Es wird sich fragen, ob hier der Reichstag uicht
des Guten zuviel gethan habe; dem kleinen Aktionär ist die Möglichkeit ent¬
zogen oder wenigstens über Gebühr erschwert, gegen vergewaltigende Mehrheiten
aufzutreten, dem großen Bankhanse dagegen dürfte es nicht allzu unbequem
werden, gegen ein Konkurreuznuternehmcn einen Gewaltstreich ans Grund der
Minoritätsrechte auszuführen. Hiergegen wird aber wohl der Satz schützen:
Was du nicht willst, daß man dir thu, das füg' auch keinem andern zu. Es
giebt eine Solidarität der Interessen, die auch stillschweigend geübt wird.

Abgesehen von diesem immerhin streitigen Punkte ist die Vorlage der Re¬
gierung in ihrem ganzen Charakter und in ihren wesentlichen Bestimmungen
auch nach den Änderungen des Reichstages unverfälscht dieselbe geblieben, und
die Vertreter sämtlicher Parteien haben erklärt, daß sie den so gestalteten Ent¬
wurf als eine" höchst geeigneten Abschluß der Akticnreform betrachten, daß der¬
selbe in keiner Weise geeignet sei, den Handel zu schädigen, daß er vielmehr in
sehr sachgemäßer Art die verschiednen Interessen vereinige. So endete nach
wenigen Monaten in harmonischen Akkorden ein Spiel, das mit den mißtönendsten
Dissonanzen begonnen wurde. An diesem Beispiel mag der deutsche Bürger er¬
kennen, welchen Wert die in der Presse vertretene "öffentliche Meinung" dar¬
stellt. Dltlioils est, LÄtiiÄM non soribsrö.




Gin Franzose über Rußland und die Russen.

cis jetzige Nußland ist in Sitten und Gesetzen, als Nation und
als Staat betrachtet, uicht mehr so einfach und einheitlich wie
das Rußland Alexanders des Ersten und seines nächsten Nach¬
folgers, es ist durch Alexanders des Zweiten Reformen erheblich
verändert worden und noch jetzt in tiefgehender Umbildung be¬
griffen. Die bisherigen Schilderungen des weitgedehnten Reiches und seiner
Bewohner erforderten deshalb eine Berichtigung und Ergänzung, die uns jetzt
durch einen französischen Schriftsteller gegeben werden soll und zum Teil bereits


Lin Franzose über Rußland und die Russen.

mit solcher Rücksichtslosigkeit und Vergewaltigung geübt worden, daß uach dem
Krach ein allgemeiner Ruf ertönte, wonach jeder Aktionär die Rechte eines
offenen Gesellschafters haben sollte. Der Entwurf hat die Minoritäten in sehr
mäßigem Umfange ermächtigt, selbständige Rechte auszuüben, aber selbst in diesem
Maße erlangte» die Borschläge nicht die Zustimmung des Reichstages. Es
überwog zu sehr die Befürchtung eines Mißbrauchs derselbe», und deshalb wurden
sie uoch weiter eingeschränkt. Es wird sich fragen, ob hier der Reichstag uicht
des Guten zuviel gethan habe; dem kleinen Aktionär ist die Möglichkeit ent¬
zogen oder wenigstens über Gebühr erschwert, gegen vergewaltigende Mehrheiten
aufzutreten, dem großen Bankhanse dagegen dürfte es nicht allzu unbequem
werden, gegen ein Konkurreuznuternehmcn einen Gewaltstreich ans Grund der
Minoritätsrechte auszuführen. Hiergegen wird aber wohl der Satz schützen:
Was du nicht willst, daß man dir thu, das füg' auch keinem andern zu. Es
giebt eine Solidarität der Interessen, die auch stillschweigend geübt wird.

Abgesehen von diesem immerhin streitigen Punkte ist die Vorlage der Re¬
gierung in ihrem ganzen Charakter und in ihren wesentlichen Bestimmungen
auch nach den Änderungen des Reichstages unverfälscht dieselbe geblieben, und
die Vertreter sämtlicher Parteien haben erklärt, daß sie den so gestalteten Ent¬
wurf als eine» höchst geeigneten Abschluß der Akticnreform betrachten, daß der¬
selbe in keiner Weise geeignet sei, den Handel zu schädigen, daß er vielmehr in
sehr sachgemäßer Art die verschiednen Interessen vereinige. So endete nach
wenigen Monaten in harmonischen Akkorden ein Spiel, das mit den mißtönendsten
Dissonanzen begonnen wurde. An diesem Beispiel mag der deutsche Bürger er¬
kennen, welchen Wert die in der Presse vertretene „öffentliche Meinung" dar¬
stellt. Dltlioils est, LÄtiiÄM non soribsrö.




Gin Franzose über Rußland und die Russen.

cis jetzige Nußland ist in Sitten und Gesetzen, als Nation und
als Staat betrachtet, uicht mehr so einfach und einheitlich wie
das Rußland Alexanders des Ersten und seines nächsten Nach¬
folgers, es ist durch Alexanders des Zweiten Reformen erheblich
verändert worden und noch jetzt in tiefgehender Umbildung be¬
griffen. Die bisherigen Schilderungen des weitgedehnten Reiches und seiner
Bewohner erforderten deshalb eine Berichtigung und Ergänzung, die uns jetzt
durch einen französischen Schriftsteller gegeben werden soll und zum Teil bereits


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/120>, abgerufen am 15.06.2024.