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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das neue Aktiengesetz.

presse alles verschweigt, was nicht in den Partcikram paßt. Sie ist liberaler-
seits mit dem Vorwurf stets bei der Hand, daß das Volk von Pfaffen und
Junkern in Dummheit erhalten werde; daß sie aber selbst nicht nur die Un¬
kenntnis im Parteiinteresse fördert, sondern auch die Wahrheit unterdrückt oder
entstellt, davon ist selbstverständlich niemals die Rede.

Es bleibt noch übrig, den Inhalt der Kommissionsbeschlüsse selbst zu er¬
örtern. Es soll dies nur kurz geschehen, um die Leser dieser Zeitschrift uicht
mit allzuviel juristischem Detail zu behelligen. Überdies ist ja in diesen Blättern,
gleich uach dem Erscheinen des Entwurfs, eine genaue Besprechung desselben
erfolgt. Das System der Regierungsvorlage ist in jeder Beziehung unverändert
geblieben, auch die grundlegenden Prinzipien haben keine Anfechtung erfahren.
Die Kommission hat den Mindestbetrag der Aktie gleichmäßig auf 1000 Mark
sür Inhaber- und Namcnsaktien herabgesetzt und die Inhaberaktien anch für
die Kommanditgesellschaften auf Aktien zugelassen -- Neuerungen, deren Tragweite
nicht erheblich ist. Der allzuhohe Nominalbetrag ist kein sicheres Mittel, um
die unerfahrenen Leute vou Aktienspeknlationen fernzuhalten, da die Natenbankiers
Lockmittel genug haben, um Anteile von großen Aktien uuter das Volk zu bringen.
Die Zulassung der Inhaberaktien bei Kommanditgesellschaften ist ebenfalls uicht
gefährlich, da sich die Namensaktien von diesen nur noch in untergeordneten
Punkten unterscheiden. Gestrichen hat der Reichstag den Satz des Entwurfs,
daß die in Anspruch genommenen Mitglieder des Vorstandes und Aufsichts¬
rates die Anwendung der Sorgfalt selbst beweisen müssen. Dieser Satz ist
formell der künstlich bearbeiteten öffentlichen Meinung zum Opfer gefallen, da¬
gegen ist durch die Streichung an dem Entwurf selbst nichts geändert worden,
denn jener Satz ist nur ein Ausdruck des bestehenden Rechts, und es macht
nichts aus, ob derselbe besonders hervorgehoben oder mit Stillschweigen über¬
gangen wird. Der Reichstag ist sogar in einigen Punkten noch strenger als
die Vorlage gewesen, indem er nämlich die Emission von Aktien unter dem
Nennwerte auch bei Erhöhungen des Grundkapitals ausschloß und damit der
Agiotage ein ergiebiges Feld entzog, indem er ferner die Möglichkeit beseitigte,
den Reservefonds anders als zur Deckung von Verlusten am Grundkapital zu
verwenden, und dadurch der Verteilung fiktiver Dividenden einen Riegel vor¬
schob. Endlich hat der Reichstag auch noch den Versuch gemacht, das sogenannte
Strohmännerunwcsen, welches in dein Verleihen von Aktien behufs Abstimmung
in der Generalversammlung besteht, durch einen Strafparagraphen für die Zu¬
knifft auszuschließen. Ob dieser Versuch Erfolg haben wird, läßt sich im voraus
nicht bestimmen. Dagegen hat der Reichstag in einer Hinsicht den Entwurf
erheblich abgeschwächt, indem er die von ihm aufgestellten Minoritätsrechte im
ganzen unschädlich machte. Diese Rechte stehen prinzipiell im Widerspruch mit
dem Wesen der Aktiengesellschaft, wo naturgemäß die Kapitalsherrschast in ihrer
Mehrheit entscheiden soll. Aber diese Herrschaft ist -- wie leider so oft --


Das neue Aktiengesetz.

presse alles verschweigt, was nicht in den Partcikram paßt. Sie ist liberaler-
seits mit dem Vorwurf stets bei der Hand, daß das Volk von Pfaffen und
Junkern in Dummheit erhalten werde; daß sie aber selbst nicht nur die Un¬
kenntnis im Parteiinteresse fördert, sondern auch die Wahrheit unterdrückt oder
entstellt, davon ist selbstverständlich niemals die Rede.

Es bleibt noch übrig, den Inhalt der Kommissionsbeschlüsse selbst zu er¬
örtern. Es soll dies nur kurz geschehen, um die Leser dieser Zeitschrift uicht
mit allzuviel juristischem Detail zu behelligen. Überdies ist ja in diesen Blättern,
gleich uach dem Erscheinen des Entwurfs, eine genaue Besprechung desselben
erfolgt. Das System der Regierungsvorlage ist in jeder Beziehung unverändert
geblieben, auch die grundlegenden Prinzipien haben keine Anfechtung erfahren.
Die Kommission hat den Mindestbetrag der Aktie gleichmäßig auf 1000 Mark
sür Inhaber- und Namcnsaktien herabgesetzt und die Inhaberaktien anch für
die Kommanditgesellschaften auf Aktien zugelassen — Neuerungen, deren Tragweite
nicht erheblich ist. Der allzuhohe Nominalbetrag ist kein sicheres Mittel, um
die unerfahrenen Leute vou Aktienspeknlationen fernzuhalten, da die Natenbankiers
Lockmittel genug haben, um Anteile von großen Aktien uuter das Volk zu bringen.
Die Zulassung der Inhaberaktien bei Kommanditgesellschaften ist ebenfalls uicht
gefährlich, da sich die Namensaktien von diesen nur noch in untergeordneten
Punkten unterscheiden. Gestrichen hat der Reichstag den Satz des Entwurfs,
daß die in Anspruch genommenen Mitglieder des Vorstandes und Aufsichts¬
rates die Anwendung der Sorgfalt selbst beweisen müssen. Dieser Satz ist
formell der künstlich bearbeiteten öffentlichen Meinung zum Opfer gefallen, da¬
gegen ist durch die Streichung an dem Entwurf selbst nichts geändert worden,
denn jener Satz ist nur ein Ausdruck des bestehenden Rechts, und es macht
nichts aus, ob derselbe besonders hervorgehoben oder mit Stillschweigen über¬
gangen wird. Der Reichstag ist sogar in einigen Punkten noch strenger als
die Vorlage gewesen, indem er nämlich die Emission von Aktien unter dem
Nennwerte auch bei Erhöhungen des Grundkapitals ausschloß und damit der
Agiotage ein ergiebiges Feld entzog, indem er ferner die Möglichkeit beseitigte,
den Reservefonds anders als zur Deckung von Verlusten am Grundkapital zu
verwenden, und dadurch der Verteilung fiktiver Dividenden einen Riegel vor¬
schob. Endlich hat der Reichstag auch noch den Versuch gemacht, das sogenannte
Strohmännerunwcsen, welches in dein Verleihen von Aktien behufs Abstimmung
in der Generalversammlung besteht, durch einen Strafparagraphen für die Zu¬
knifft auszuschließen. Ob dieser Versuch Erfolg haben wird, läßt sich im voraus
nicht bestimmen. Dagegen hat der Reichstag in einer Hinsicht den Entwurf
erheblich abgeschwächt, indem er die von ihm aufgestellten Minoritätsrechte im
ganzen unschädlich machte. Diese Rechte stehen prinzipiell im Widerspruch mit
dem Wesen der Aktiengesellschaft, wo naturgemäß die Kapitalsherrschast in ihrer
Mehrheit entscheiden soll. Aber diese Herrschaft ist — wie leider so oft —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/119>, abgerufen am 15.06.2024.