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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Johannes Brahms.

Lsstnovsn. Das letztere, welches mit der verschwenderischen Kühnheit eines
Berlioz instrumentirt ist, nennt kein geringerer als der Ritter von Seyfried
"die rührendste Rauie auf den Verlust des unsterblichen Sängers, gleich genial
erfunden als ausgeführt." (Neue Zeitschrift für Musik, 4. Bd.) Marxsen war
mit Kalkbrenner einer der ersten, welche Klavierstücke für die linke Hand allein
veröffentlichten. In den beiden Heften dieser Gattung, welche uns bekannt sind,
findet sich manche durch Anlage und Form wirksame Nummer, besonders eine
Rhapsodie. Ursprünglich zur Theologie bestimmt, war Marxsen erst in seinem
achtzehnten Lebensjahre zur Musik übergegangen. Jahrelang war er von da
ab den zwei Meilen langen Weg zwischen Nienstädten und Hamburg hin und
her gewandert, um bei Clasing, dem Vater der norddeutschen Musikfeste, Stunden
zu nehmen. Es sind dies nur wenige Züge aus dem Leben und Schaffen des
trefflichen Künstlers -- sie reichen aber hin, um uns eine selbständige, hoch¬
angelegte Natur erkennen zu lassen. Ersichtlich spricht aus ihr die Energie
und eine erfreuliche Lust am frischen Wagen. Marxsen besaß die außergewöhn¬
lichen Eigenschaften von Geist und Charakter, die tiefere Bildung und den
eignen genialen Zug, welche sich der Tüchtigkeit im Fache hinzugesellen müssen,
wenn ein Lehrer ein Genie erziehen soll.

Nachdem die Schulzeit bei Marxsen beendet war, hat Brahms seine
Kompositionstechnik noch wesentlich ergänzt und erweitert, aber mehrere charak¬
teristische Linien seines künstlerischen Wesens sind bereits in der Lehre gezogen
und befestigt worden. Das schließen wir aus seinen ersten Kompositionen. An
des Künstlers Richtung zum Hohen und Idealen ist Marxsen nicht ohne
Verdienst. Er ließ, wie berichtet wird, seinen Schüler in Bach und Beethoven
eindringen, deren Werke damals noch keineswegs einen obligaten Teil in den
Studienplänen junger Musiker bildeten. Brahms hat der fortdauernden dank¬
baren Gesinnung gegen seinen alten Lehrer noch kürzlich öffentlichen Ausdruck
gegeben, indem er demselben eins seiner größten und schönsten Werke widmete:
das zweite Klavierkonzert.

Zuerst wurde Brahms als Pianist bekannt; schon in seinein vierzehnten
Lebensjahre gab er in Hamburg ein eignes Konzert. Als er im Jahre 1853
seine erste Kunstreise unternahm -- in Gesellschaft des ungarischen Violin¬
virtuosen Remenyi,*) der zu jener Zeit als politischer Flüchtling interessirte --,
wurde die Aufmerksamkeit auch auf den Komponisten gelenkt. Seine unge¬
wöhnlichen Fähigkeiten erwarben dem jungen Brahms rasch das Interesse und
die Freundschaft angesehener Musiker. Es wurde ein Bestich bei Robert Schumann
in Düsseldorf veranlaßt, und bald darauf erschien in der Neuen Zeitschrift
für Musik ein Aufsatz des angesehenen Meisters, welcher den jungen, bisher noch



*) Remenyi ist derselbe, welchem F. Liszt in seinem Buche "Die Zigeuner" einen be¬
sondern Abschnitt zuerteilt hat.
Johannes Brahms.

Lsstnovsn. Das letztere, welches mit der verschwenderischen Kühnheit eines
Berlioz instrumentirt ist, nennt kein geringerer als der Ritter von Seyfried
„die rührendste Rauie auf den Verlust des unsterblichen Sängers, gleich genial
erfunden als ausgeführt." (Neue Zeitschrift für Musik, 4. Bd.) Marxsen war
mit Kalkbrenner einer der ersten, welche Klavierstücke für die linke Hand allein
veröffentlichten. In den beiden Heften dieser Gattung, welche uns bekannt sind,
findet sich manche durch Anlage und Form wirksame Nummer, besonders eine
Rhapsodie. Ursprünglich zur Theologie bestimmt, war Marxsen erst in seinem
achtzehnten Lebensjahre zur Musik übergegangen. Jahrelang war er von da
ab den zwei Meilen langen Weg zwischen Nienstädten und Hamburg hin und
her gewandert, um bei Clasing, dem Vater der norddeutschen Musikfeste, Stunden
zu nehmen. Es sind dies nur wenige Züge aus dem Leben und Schaffen des
trefflichen Künstlers — sie reichen aber hin, um uns eine selbständige, hoch¬
angelegte Natur erkennen zu lassen. Ersichtlich spricht aus ihr die Energie
und eine erfreuliche Lust am frischen Wagen. Marxsen besaß die außergewöhn¬
lichen Eigenschaften von Geist und Charakter, die tiefere Bildung und den
eignen genialen Zug, welche sich der Tüchtigkeit im Fache hinzugesellen müssen,
wenn ein Lehrer ein Genie erziehen soll.

Nachdem die Schulzeit bei Marxsen beendet war, hat Brahms seine
Kompositionstechnik noch wesentlich ergänzt und erweitert, aber mehrere charak¬
teristische Linien seines künstlerischen Wesens sind bereits in der Lehre gezogen
und befestigt worden. Das schließen wir aus seinen ersten Kompositionen. An
des Künstlers Richtung zum Hohen und Idealen ist Marxsen nicht ohne
Verdienst. Er ließ, wie berichtet wird, seinen Schüler in Bach und Beethoven
eindringen, deren Werke damals noch keineswegs einen obligaten Teil in den
Studienplänen junger Musiker bildeten. Brahms hat der fortdauernden dank¬
baren Gesinnung gegen seinen alten Lehrer noch kürzlich öffentlichen Ausdruck
gegeben, indem er demselben eins seiner größten und schönsten Werke widmete:
das zweite Klavierkonzert.

Zuerst wurde Brahms als Pianist bekannt; schon in seinein vierzehnten
Lebensjahre gab er in Hamburg ein eignes Konzert. Als er im Jahre 1853
seine erste Kunstreise unternahm — in Gesellschaft des ungarischen Violin¬
virtuosen Remenyi,*) der zu jener Zeit als politischer Flüchtling interessirte —,
wurde die Aufmerksamkeit auch auf den Komponisten gelenkt. Seine unge¬
wöhnlichen Fähigkeiten erwarben dem jungen Brahms rasch das Interesse und
die Freundschaft angesehener Musiker. Es wurde ein Bestich bei Robert Schumann
in Düsseldorf veranlaßt, und bald darauf erschien in der Neuen Zeitschrift
für Musik ein Aufsatz des angesehenen Meisters, welcher den jungen, bisher noch



*) Remenyi ist derselbe, welchem F. Liszt in seinem Buche „Die Zigeuner" einen be¬
sondern Abschnitt zuerteilt hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/132>, abgerufen am 15.06.2024.