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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Herrn von Hartmanns neueste philosophische Etappe.

tipoden" Schopenhauer, "den christlichen Theismus für eine zu überwindende
und ideell bereits überwundene Position erklärt," Wozu also vorher der große
Spektakel mit dem "Unbewußten"? Jener Theismus, in dem sich Namen-
christen, Juden und Mohamedaner die Hand reichen: "Wir glauben all an einen
Gott," jener Theismus, den man Deismus zu schreiben Pflegte, war schon längst
da, den brauchte uns kein Philosoph des neunzehnten Jahrhunderts erst an¬
zupreisen, den kennen wir sattsam aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahr¬
hundert.

Zuletzt kommt Hartmann noch auf seinen Pessimismus zu sprechen, auf
das Stück, womit er im Anfange ganz besonders paradirte. Mit welchem Eifer
pries doch sein Amanuensis A. Taubert in seiner 1873 veröffentlichten Streit¬
schrift diesen "Pessimismus" an und schlug los auf seine "Gegner," während
er selbst komisch genug bekennen mußte, die von ihm als "Gegner" zur Bank
gehauenen seien größtenteils gar keine wirklichen Gegner des Pessimismus; sie
bekamen ihre Schläge nur, weil sie Herrn von Hartmann nicht in seinen Sack hinein¬
laufen wollten. Jetzt wird unserm Philosophen das Paradestück dieses "Ismus"
zur Last, weil man damit sein "ganzes System verurteilen und verwerfen zu
können glaubt." Das ist freilich recht verdrießlich. Welche Phrasen helfen nun
über diese Klippe hinweg? Er erklärt, der Pessimismus sei bei ihm nur die
"letzte induktive Spitze." So schreibt er wörtlich: "Bei mir wird er ^der meta¬
physische Pessimismus^ aus dem empirischen Pessimismus in Verbindung mit
dem metaphysischen Monismus induktiv erschlossen," während Schopenhauer ihn
aus seinem Grundprinzip des blinden Willens deduzire. "Dieser Unterschied ist
von größter Bedeutung," denn das Deduzirte muß man in Kauf nehmen, aber
auf ein induktives System "kann jeder hernach eine andre Spitze nach seinem
Belieben daraufsetzen."

Man traut seinen Augen nicht, wenn man dergleichen liest, aber freilich
das Belieben war ja von jeher die Mutter dieser Art des Philosophirens;
warum sollen die zu gewinnenden Schüler nicht darin dem Meister nachfolgen?
Deduktionen, die der Urheber für schlagend hält, erweisen sich in der That nur zu
oft als fehlerhaft. Wer aus hingestellten "Jsmussen" deduziren zu können glaubt,
der ist zu bedauern; über allen Zweifel erhabene Deduktionen giebt es eigent¬
lich nur in den mathematischen Beweisen und in den Naturwissenschaften, soweit
sie mathematische Basis haben, weil da von festen, auf Anschauung sich grün¬
denden Begriffen ausgegangen werden kann. Wenn alles seit Menschengedenken
deduzirte, d. h. zu deduziren versuchte, wahr sein müßte, angenommen werden
müßte, wo sollten wir bleiben können? Schopenhauer insbesondre hat nichts
deduzirt, sondern nur als Misanthrop keck in die Welt hinein phantasirt. Aber
was wirklich induzirt ist, was durch sichere Thatsachen der Erfahrung, durch
wiederholte Experimente ausgewiesen und so erschlossen ist (z. B. die Kugelgestalt
der Weltkörper, die Umdrehung der Planeten um die Sonne, die chemischen


Herrn von Hartmanns neueste philosophische Etappe.

tipoden" Schopenhauer, „den christlichen Theismus für eine zu überwindende
und ideell bereits überwundene Position erklärt," Wozu also vorher der große
Spektakel mit dem „Unbewußten"? Jener Theismus, in dem sich Namen-
christen, Juden und Mohamedaner die Hand reichen: „Wir glauben all an einen
Gott," jener Theismus, den man Deismus zu schreiben Pflegte, war schon längst
da, den brauchte uns kein Philosoph des neunzehnten Jahrhunderts erst an¬
zupreisen, den kennen wir sattsam aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahr¬
hundert.

Zuletzt kommt Hartmann noch auf seinen Pessimismus zu sprechen, auf
das Stück, womit er im Anfange ganz besonders paradirte. Mit welchem Eifer
pries doch sein Amanuensis A. Taubert in seiner 1873 veröffentlichten Streit¬
schrift diesen „Pessimismus" an und schlug los auf seine „Gegner," während
er selbst komisch genug bekennen mußte, die von ihm als „Gegner" zur Bank
gehauenen seien größtenteils gar keine wirklichen Gegner des Pessimismus; sie
bekamen ihre Schläge nur, weil sie Herrn von Hartmann nicht in seinen Sack hinein¬
laufen wollten. Jetzt wird unserm Philosophen das Paradestück dieses „Ismus"
zur Last, weil man damit sein „ganzes System verurteilen und verwerfen zu
können glaubt." Das ist freilich recht verdrießlich. Welche Phrasen helfen nun
über diese Klippe hinweg? Er erklärt, der Pessimismus sei bei ihm nur die
„letzte induktive Spitze." So schreibt er wörtlich: „Bei mir wird er ^der meta¬
physische Pessimismus^ aus dem empirischen Pessimismus in Verbindung mit
dem metaphysischen Monismus induktiv erschlossen," während Schopenhauer ihn
aus seinem Grundprinzip des blinden Willens deduzire. „Dieser Unterschied ist
von größter Bedeutung," denn das Deduzirte muß man in Kauf nehmen, aber
auf ein induktives System „kann jeder hernach eine andre Spitze nach seinem
Belieben daraufsetzen."

Man traut seinen Augen nicht, wenn man dergleichen liest, aber freilich
das Belieben war ja von jeher die Mutter dieser Art des Philosophirens;
warum sollen die zu gewinnenden Schüler nicht darin dem Meister nachfolgen?
Deduktionen, die der Urheber für schlagend hält, erweisen sich in der That nur zu
oft als fehlerhaft. Wer aus hingestellten „Jsmussen" deduziren zu können glaubt,
der ist zu bedauern; über allen Zweifel erhabene Deduktionen giebt es eigent¬
lich nur in den mathematischen Beweisen und in den Naturwissenschaften, soweit
sie mathematische Basis haben, weil da von festen, auf Anschauung sich grün¬
denden Begriffen ausgegangen werden kann. Wenn alles seit Menschengedenken
deduzirte, d. h. zu deduziren versuchte, wahr sein müßte, angenommen werden
müßte, wo sollten wir bleiben können? Schopenhauer insbesondre hat nichts
deduzirt, sondern nur als Misanthrop keck in die Welt hinein phantasirt. Aber
was wirklich induzirt ist, was durch sichere Thatsachen der Erfahrung, durch
wiederholte Experimente ausgewiesen und so erschlossen ist (z. B. die Kugelgestalt
der Weltkörper, die Umdrehung der Planeten um die Sonne, die chemischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/144>, abgerufen am 15.06.2024.