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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Herrn von Hartmanns neueste philosophische Ltappe,

Äquivalente, die Umsetzung der Wärme in Kraft), das kann doch schließlich kein
Mensch mit gesunden Sinnen mehr bestreikn. So läßt sich denn auch der
empirische Pessimismus, um die Hartmannsche Phrase einmal zu acceptiren, d. h.
die Einsicht, daß diese Welt wirklich voll Übel und Elend, daß sie ein Jammerthal
ist, induktiv erschließen und ist stets von allen erschlossen worden, welche die
Augen offen hatten; aber was hat denn überhaupt Metaphysisches, d. h. Nicht-
crfahrungsmäßiges, für Bedeutung beim Jnduziren? Was kann dieser Hart¬
mannsche "metaphysische Monismus" -- der, wie wir sahen, gar kein Monismus
ist, sondern eher an Cartesius erinnernder vorkritischer Dualismus -- was kann
diese hohle Phrase für induktive Kraft haben? Hätte sie aber wirklich solche,
wie könnte jemand, der von Herrn von Hartmann bis zu jener induktiven (soll
Wohl heißen "induzirten"?) Spitze sich hat herangängeln lassen, mit einemmale
hier abbrechen und dem Meister den Gehorsam verweigern? Man sieht, auch
das "induktiv" ist bei Hartmann wieder eine kopflos in die Welt geschleuderte
Phrase.

Einst lehrte unser Philosoph, daß die durch ihn zum Pessimismus bekehrte
Menschenwelt oder eine auf sie im Laufe der Zeit noch folgende "höhere Tier-
klcisfe" auf Erden oder "auf einem andern Gestirn" einmal werde die Vernich¬
tung der grundschlechter Welt beschließen müssen, und daß die Welt infolge
dieses Beschlusses wirklich zusammenbrechen werde (Philosophie des Unbewußten,
XIII); jetzt aber kann er trösten, daß "bei" ihm der metaphysische Pessimismus
und das schließliche Erlöschen des Weltprozesses etwas sei, was uns Menschen
in den nächsten Jahrtausenden praktisch noch garnichts angehe, also sozusagen
bloß eine theoretische Dvktvrfrage (8lo!) darstelle; er mahnt, sich nicht darum
zu bekümmern, "wohin die Vorsehung den Weltprozeß nach unabsehbarer Zeit¬
ferne lenken werde." Nun soll man den über die Jahrtausende in unabsehbare
Zeitferne sicher hinausschauendcn Philosophen bloß für einen Doktor und nicht
für einen Propheten halten! Aber wieder Vertröstung mit der Vorsehung,
während das große "Unbewußte" abgesetzt ist. Wer an die Vorsehung glaubt,
der ist so schon getröstet; aber nnr weil Hartmann als neumodischer großer
Philosoph die Vorsehung leugnete, kam er auf den tollen Gedanken der "Welt¬
erlösung" durch Selbstvernichtung. Ist das Unbewußte wieder dnrch die alte,
bekannte Vorsehung ersetzt, so ist ja das Hartmannsche Philosophiren ganz
gegenstandslos geworden; wozu daun noch der Lärm? Die "Philosophie des
Unbewußten," womit er die Welt geneckt, ist abgethan, also auch ihre letzte tolle
Konsequenz, da bedarf es keiner Tröstung und Beruhigung weiter. Aber es
wiederholt sich alles unter der Sonne, auch ein Robespierre ließ einst durch
den Konvent das "Dasein eines höchsten Wesens" wieder beschließen, als man
des Vernunftknltns überdrüssig geworden war."

Zum Schlüsse schreibt der einstige Philosoph des "Unbewußten, der, mit
der Zeit von sich selbst abgefallen und beim vulgären Vorsehungsdeismus aw


Grenzboten III. 1384. Is
Herrn von Hartmanns neueste philosophische Ltappe,

Äquivalente, die Umsetzung der Wärme in Kraft), das kann doch schließlich kein
Mensch mit gesunden Sinnen mehr bestreikn. So läßt sich denn auch der
empirische Pessimismus, um die Hartmannsche Phrase einmal zu acceptiren, d. h.
die Einsicht, daß diese Welt wirklich voll Übel und Elend, daß sie ein Jammerthal
ist, induktiv erschließen und ist stets von allen erschlossen worden, welche die
Augen offen hatten; aber was hat denn überhaupt Metaphysisches, d. h. Nicht-
crfahrungsmäßiges, für Bedeutung beim Jnduziren? Was kann dieser Hart¬
mannsche „metaphysische Monismus" — der, wie wir sahen, gar kein Monismus
ist, sondern eher an Cartesius erinnernder vorkritischer Dualismus — was kann
diese hohle Phrase für induktive Kraft haben? Hätte sie aber wirklich solche,
wie könnte jemand, der von Herrn von Hartmann bis zu jener induktiven (soll
Wohl heißen „induzirten"?) Spitze sich hat herangängeln lassen, mit einemmale
hier abbrechen und dem Meister den Gehorsam verweigern? Man sieht, auch
das „induktiv" ist bei Hartmann wieder eine kopflos in die Welt geschleuderte
Phrase.

Einst lehrte unser Philosoph, daß die durch ihn zum Pessimismus bekehrte
Menschenwelt oder eine auf sie im Laufe der Zeit noch folgende „höhere Tier-
klcisfe" auf Erden oder „auf einem andern Gestirn" einmal werde die Vernich¬
tung der grundschlechter Welt beschließen müssen, und daß die Welt infolge
dieses Beschlusses wirklich zusammenbrechen werde (Philosophie des Unbewußten,
XIII); jetzt aber kann er trösten, daß „bei" ihm der metaphysische Pessimismus
und das schließliche Erlöschen des Weltprozesses etwas sei, was uns Menschen
in den nächsten Jahrtausenden praktisch noch garnichts angehe, also sozusagen
bloß eine theoretische Dvktvrfrage (8lo!) darstelle; er mahnt, sich nicht darum
zu bekümmern, „wohin die Vorsehung den Weltprozeß nach unabsehbarer Zeit¬
ferne lenken werde." Nun soll man den über die Jahrtausende in unabsehbare
Zeitferne sicher hinausschauendcn Philosophen bloß für einen Doktor und nicht
für einen Propheten halten! Aber wieder Vertröstung mit der Vorsehung,
während das große „Unbewußte" abgesetzt ist. Wer an die Vorsehung glaubt,
der ist so schon getröstet; aber nnr weil Hartmann als neumodischer großer
Philosoph die Vorsehung leugnete, kam er auf den tollen Gedanken der „Welt¬
erlösung" durch Selbstvernichtung. Ist das Unbewußte wieder dnrch die alte,
bekannte Vorsehung ersetzt, so ist ja das Hartmannsche Philosophiren ganz
gegenstandslos geworden; wozu daun noch der Lärm? Die „Philosophie des
Unbewußten," womit er die Welt geneckt, ist abgethan, also auch ihre letzte tolle
Konsequenz, da bedarf es keiner Tröstung und Beruhigung weiter. Aber es
wiederholt sich alles unter der Sonne, auch ein Robespierre ließ einst durch
den Konvent das „Dasein eines höchsten Wesens" wieder beschließen, als man
des Vernunftknltns überdrüssig geworden war."

Zum Schlüsse schreibt der einstige Philosoph des „Unbewußten, der, mit
der Zeit von sich selbst abgefallen und beim vulgären Vorsehungsdeismus aw


Grenzboten III. 1384. Is
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[0145] Herrn von Hartmanns neueste philosophische Ltappe, Äquivalente, die Umsetzung der Wärme in Kraft), das kann doch schließlich kein Mensch mit gesunden Sinnen mehr bestreikn. So läßt sich denn auch der empirische Pessimismus, um die Hartmannsche Phrase einmal zu acceptiren, d. h. die Einsicht, daß diese Welt wirklich voll Übel und Elend, daß sie ein Jammerthal ist, induktiv erschließen und ist stets von allen erschlossen worden, welche die Augen offen hatten; aber was hat denn überhaupt Metaphysisches, d. h. Nicht- crfahrungsmäßiges, für Bedeutung beim Jnduziren? Was kann dieser Hart¬ mannsche „metaphysische Monismus" — der, wie wir sahen, gar kein Monismus ist, sondern eher an Cartesius erinnernder vorkritischer Dualismus — was kann diese hohle Phrase für induktive Kraft haben? Hätte sie aber wirklich solche, wie könnte jemand, der von Herrn von Hartmann bis zu jener induktiven (soll Wohl heißen „induzirten"?) Spitze sich hat herangängeln lassen, mit einemmale hier abbrechen und dem Meister den Gehorsam verweigern? Man sieht, auch das „induktiv" ist bei Hartmann wieder eine kopflos in die Welt geschleuderte Phrase. Einst lehrte unser Philosoph, daß die durch ihn zum Pessimismus bekehrte Menschenwelt oder eine auf sie im Laufe der Zeit noch folgende „höhere Tier- klcisfe" auf Erden oder „auf einem andern Gestirn" einmal werde die Vernich¬ tung der grundschlechter Welt beschließen müssen, und daß die Welt infolge dieses Beschlusses wirklich zusammenbrechen werde (Philosophie des Unbewußten, XIII); jetzt aber kann er trösten, daß „bei" ihm der metaphysische Pessimismus und das schließliche Erlöschen des Weltprozesses etwas sei, was uns Menschen in den nächsten Jahrtausenden praktisch noch garnichts angehe, also sozusagen bloß eine theoretische Dvktvrfrage (8lo!) darstelle; er mahnt, sich nicht darum zu bekümmern, „wohin die Vorsehung den Weltprozeß nach unabsehbarer Zeit¬ ferne lenken werde." Nun soll man den über die Jahrtausende in unabsehbare Zeitferne sicher hinausschauendcn Philosophen bloß für einen Doktor und nicht für einen Propheten halten! Aber wieder Vertröstung mit der Vorsehung, während das große „Unbewußte" abgesetzt ist. Wer an die Vorsehung glaubt, der ist so schon getröstet; aber nnr weil Hartmann als neumodischer großer Philosoph die Vorsehung leugnete, kam er auf den tollen Gedanken der „Welt¬ erlösung" durch Selbstvernichtung. Ist das Unbewußte wieder dnrch die alte, bekannte Vorsehung ersetzt, so ist ja das Hartmannsche Philosophiren ganz gegenstandslos geworden; wozu daun noch der Lärm? Die „Philosophie des Unbewußten," womit er die Welt geneckt, ist abgethan, also auch ihre letzte tolle Konsequenz, da bedarf es keiner Tröstung und Beruhigung weiter. Aber es wiederholt sich alles unter der Sonne, auch ein Robespierre ließ einst durch den Konvent das „Dasein eines höchsten Wesens" wieder beschließen, als man des Vernunftknltns überdrüssig geworden war." Zum Schlüsse schreibt der einstige Philosoph des „Unbewußten, der, mit der Zeit von sich selbst abgefallen und beim vulgären Vorsehungsdeismus aw Grenzboten III. 1384. Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/145>, abgerufen am 15.06.2024.