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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Deutsche Uolonialpoliti?.

auszubauen und zu festigen, und Kolonien erschienen solchen Notwendigkeiten
gegenüber als Luxus, als seidner Zobelpelz. Daß sie bloß zu Versorgungs¬
posten gut seien, war wohl nicht im Ernste gemeint.

Die Sicherung und der innere Ausbau Neudeutschlcmds erforderten Jahre,
während deren der Minister, der es zunächst mit der Kraft Preußens, dann
mit derjenigen der ganzen Nation geschaffen, seinen Blick auf nichts andres
richten durfte; und als in jenen beiden Beziehungen für das notwendigste ge¬
sorgt war, trat die wirtschaftliche Reform als Hauptfrage an ihn heran und
mit ihr die Aufgabe, das Los der arbeitenden Klassen günstiger zu gestalten
und sie so mit der neuen Schöpfung zu befreunden. Auch diese Bemühungen
nahmen Zeit in Anspruch, auch sie gelangten endlich zum Ziele oder doch auf
guten, hoffnungsreichen Weg dahin, und allmählich kam der Augenblick, wo
man an die Befriedigung fernergelegcner Bedürfnisse denken konnte, darunter
auch an die Förderung des inzwischen immer lauter und allgemeiner gewordenen
Wunsches nach Kolonien in überseeischen Ländern.

Deutschland leidet noch nicht an Übervölkerung, geht ihr aber bei dem
außerordentlich raschen Wachstum seiner Menschenzahl entgegen. Die sehr starke
Auswanderung entführt ihm alljährlich Massen von arbeitenden Händen und
Kapital, die andern Staaten zugute kommen, während solcher Abgang für
Länder, die Kolonien besitzen, kein wirklicher Abgang ist. Unsre Industrie und
unser Handel brauchen dringend günstigere Bezugsquellen und Absatzgebiete.
Die Welt ist keineswegs, wie man eingeworfen hat, schon ganz weggegeben.
Wir haben uns endlich eine Kriegsflotte geschaffen, welche zwar nicht den ersten,
wohl aber bereits den dritten Rang unter den Mariner der Welt einnimmt,
also sehr wohl geeignet wäre, Anfängen zu Kolonien den nötigen Schutz zu
gewähren. Der Gedanke, zu erobern, um zu erobern, der Wunsch, Kolonien zu
besitzen um des Ruhmes willen, zu herrschen über ein Gebiet, wo die Sonne
nicht untergeht, hat keinerlei Berechtigung in dieser Betrachtung. Nicht mit
den Waffen, sondern mit friedlicher Arbeit, mit Pflanzungen und Faktoreien
wäre zu erobern, und deren Erfolg dann von Reichswcgen mittelbar und un¬
mittelbar zu unterstützen und zu decken.

Das ungefähr sind die Erwägungen und Forderungen der Bewegung, die
seit einigen Jahren im Gange ist, und so scheint auch der Reichskanzler die
Frage jetzt anzusehen. Manche sind weiter gegangen, vorsichtige Politiker aber
bescheiden sich damit für die Gegenwart und überlassen besseres der Zukunft.
Sie kennen die Schwierigkeiten, die der Sache im Wege stehen, und wissen,
daß menschliche Unternehmungen am besten gedeihen, wenn sie die Natur nach¬
ahmen, die nicht mit dem Baume, sondern mit dem kleinen Samenkorn beginnt.

Ein solches Samenkorn war die vor einigen Jahren im Reichstage ein¬
gebrachte Regierungsvorlage, in welcher eine Verzinsungsgarantie in betreff
der von Hamburgern auf den Samoainseln angelegten Pflanzungen verlangt


Deutsche Uolonialpoliti?.

auszubauen und zu festigen, und Kolonien erschienen solchen Notwendigkeiten
gegenüber als Luxus, als seidner Zobelpelz. Daß sie bloß zu Versorgungs¬
posten gut seien, war wohl nicht im Ernste gemeint.

Die Sicherung und der innere Ausbau Neudeutschlcmds erforderten Jahre,
während deren der Minister, der es zunächst mit der Kraft Preußens, dann
mit derjenigen der ganzen Nation geschaffen, seinen Blick auf nichts andres
richten durfte; und als in jenen beiden Beziehungen für das notwendigste ge¬
sorgt war, trat die wirtschaftliche Reform als Hauptfrage an ihn heran und
mit ihr die Aufgabe, das Los der arbeitenden Klassen günstiger zu gestalten
und sie so mit der neuen Schöpfung zu befreunden. Auch diese Bemühungen
nahmen Zeit in Anspruch, auch sie gelangten endlich zum Ziele oder doch auf
guten, hoffnungsreichen Weg dahin, und allmählich kam der Augenblick, wo
man an die Befriedigung fernergelegcner Bedürfnisse denken konnte, darunter
auch an die Förderung des inzwischen immer lauter und allgemeiner gewordenen
Wunsches nach Kolonien in überseeischen Ländern.

Deutschland leidet noch nicht an Übervölkerung, geht ihr aber bei dem
außerordentlich raschen Wachstum seiner Menschenzahl entgegen. Die sehr starke
Auswanderung entführt ihm alljährlich Massen von arbeitenden Händen und
Kapital, die andern Staaten zugute kommen, während solcher Abgang für
Länder, die Kolonien besitzen, kein wirklicher Abgang ist. Unsre Industrie und
unser Handel brauchen dringend günstigere Bezugsquellen und Absatzgebiete.
Die Welt ist keineswegs, wie man eingeworfen hat, schon ganz weggegeben.
Wir haben uns endlich eine Kriegsflotte geschaffen, welche zwar nicht den ersten,
wohl aber bereits den dritten Rang unter den Mariner der Welt einnimmt,
also sehr wohl geeignet wäre, Anfängen zu Kolonien den nötigen Schutz zu
gewähren. Der Gedanke, zu erobern, um zu erobern, der Wunsch, Kolonien zu
besitzen um des Ruhmes willen, zu herrschen über ein Gebiet, wo die Sonne
nicht untergeht, hat keinerlei Berechtigung in dieser Betrachtung. Nicht mit
den Waffen, sondern mit friedlicher Arbeit, mit Pflanzungen und Faktoreien
wäre zu erobern, und deren Erfolg dann von Reichswcgen mittelbar und un¬
mittelbar zu unterstützen und zu decken.

Das ungefähr sind die Erwägungen und Forderungen der Bewegung, die
seit einigen Jahren im Gange ist, und so scheint auch der Reichskanzler die
Frage jetzt anzusehen. Manche sind weiter gegangen, vorsichtige Politiker aber
bescheiden sich damit für die Gegenwart und überlassen besseres der Zukunft.
Sie kennen die Schwierigkeiten, die der Sache im Wege stehen, und wissen,
daß menschliche Unternehmungen am besten gedeihen, wenn sie die Natur nach¬
ahmen, die nicht mit dem Baume, sondern mit dem kleinen Samenkorn beginnt.

Ein solches Samenkorn war die vor einigen Jahren im Reichstage ein¬
gebrachte Regierungsvorlage, in welcher eine Verzinsungsgarantie in betreff
der von Hamburgern auf den Samoainseln angelegten Pflanzungen verlangt


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[0165] Deutsche Uolonialpoliti?. auszubauen und zu festigen, und Kolonien erschienen solchen Notwendigkeiten gegenüber als Luxus, als seidner Zobelpelz. Daß sie bloß zu Versorgungs¬ posten gut seien, war wohl nicht im Ernste gemeint. Die Sicherung und der innere Ausbau Neudeutschlcmds erforderten Jahre, während deren der Minister, der es zunächst mit der Kraft Preußens, dann mit derjenigen der ganzen Nation geschaffen, seinen Blick auf nichts andres richten durfte; und als in jenen beiden Beziehungen für das notwendigste ge¬ sorgt war, trat die wirtschaftliche Reform als Hauptfrage an ihn heran und mit ihr die Aufgabe, das Los der arbeitenden Klassen günstiger zu gestalten und sie so mit der neuen Schöpfung zu befreunden. Auch diese Bemühungen nahmen Zeit in Anspruch, auch sie gelangten endlich zum Ziele oder doch auf guten, hoffnungsreichen Weg dahin, und allmählich kam der Augenblick, wo man an die Befriedigung fernergelegcner Bedürfnisse denken konnte, darunter auch an die Förderung des inzwischen immer lauter und allgemeiner gewordenen Wunsches nach Kolonien in überseeischen Ländern. Deutschland leidet noch nicht an Übervölkerung, geht ihr aber bei dem außerordentlich raschen Wachstum seiner Menschenzahl entgegen. Die sehr starke Auswanderung entführt ihm alljährlich Massen von arbeitenden Händen und Kapital, die andern Staaten zugute kommen, während solcher Abgang für Länder, die Kolonien besitzen, kein wirklicher Abgang ist. Unsre Industrie und unser Handel brauchen dringend günstigere Bezugsquellen und Absatzgebiete. Die Welt ist keineswegs, wie man eingeworfen hat, schon ganz weggegeben. Wir haben uns endlich eine Kriegsflotte geschaffen, welche zwar nicht den ersten, wohl aber bereits den dritten Rang unter den Mariner der Welt einnimmt, also sehr wohl geeignet wäre, Anfängen zu Kolonien den nötigen Schutz zu gewähren. Der Gedanke, zu erobern, um zu erobern, der Wunsch, Kolonien zu besitzen um des Ruhmes willen, zu herrschen über ein Gebiet, wo die Sonne nicht untergeht, hat keinerlei Berechtigung in dieser Betrachtung. Nicht mit den Waffen, sondern mit friedlicher Arbeit, mit Pflanzungen und Faktoreien wäre zu erobern, und deren Erfolg dann von Reichswcgen mittelbar und un¬ mittelbar zu unterstützen und zu decken. Das ungefähr sind die Erwägungen und Forderungen der Bewegung, die seit einigen Jahren im Gange ist, und so scheint auch der Reichskanzler die Frage jetzt anzusehen. Manche sind weiter gegangen, vorsichtige Politiker aber bescheiden sich damit für die Gegenwart und überlassen besseres der Zukunft. Sie kennen die Schwierigkeiten, die der Sache im Wege stehen, und wissen, daß menschliche Unternehmungen am besten gedeihen, wenn sie die Natur nach¬ ahmen, die nicht mit dem Baume, sondern mit dem kleinen Samenkorn beginnt. Ein solches Samenkorn war die vor einigen Jahren im Reichstage ein¬ gebrachte Regierungsvorlage, in welcher eine Verzinsungsgarantie in betreff der von Hamburgern auf den Samoainseln angelegten Pflanzungen verlangt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/165>, abgerufen am 16.06.2024.