Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsche Kolonialpolitik.

ein erheblicher Teil der Verantwortung für die eingeschlagene Friedenspolitik
zur Last falle, richtig sein oder nicht -- davon wird sich das schwedische
Ministerium in seiner Tätigkeit mit den norwegischen Kollegen jedenfalls über¬
zeugen können, daß es sich nicht empfiehlt, seine Freunde durch ungeeignete
Nachgiebigkeit gegen die Feinde zu entmutigen und seine eigne Stellung durch
fortwährende Konzessionen an die Gegner zu schwächen. Ob den Mitgliedern
des Ministeriums Sverdrup, wenn sie einmal eine Zeit lang die Regierungs¬
geschäfte geführt haben werden, vielleicht auch noch die Einsicht kommen wird,
daß man ein Land mit radikalen Faseleien nicht zu feinem Wohle regiert, und
daß, wenn man nicht gewissenlos handeln will, man als Minister den demo¬
kratischen Reden keine Folge geben kann, welche man als Abgeordneter ungestraft
sich erlauben durfte, und ob es dadurch möglich werden wird, unter den ob¬
waltenden Umständen die Union der beiden Königreiche auf die Dauer aufrecht¬
zuerhalten oder ob das Ministerium Sverdrup zu dieser Einsicht nicht ge¬
langen und demzufolge Norwegen auf der erreichten schiefen Ebene unaufhaltsam
abwärts gleiten wird, bis es sich von seinem Nachbarreiche getrennt hat, das
wird die Zukunft lehren.




Deutsche Kolonialpolitik.

le Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen. Während
des Feldzugs in Frankreich erklärte sich Bismarck entschieden gegen
eine deutsche Kolonialpolitik. Es war in Versailles bei Tische,
als er (vergl. Busch, Graf Bismarck und seine Leute, 6. Auf¬
lage, 2. Bd., S. 356) mit bezug auf ein Gerücht, welches uns
die Absicht zuschrieb, im Frieden die Abtretung Pondicherys von den Franzosen
zu verlangen, nachdem er andre Gründe für die Ungeschicktheit dieser Erfindung
angeführt hatte, sagte: "Ich will auch gar keine Kolonien. Die sind bloß zu
Versorgungsposten gut____ Für uns in Deutschland -- diese Kolvniegeschichte
wäre für uns genau so wie der seidne Zobelpelz in polnischen Adelsfamilien,
die keine Hemden haben," was er dann weiter ausführte.

Das war am 9. Februar 1871. Wir hatten damals in der That, um
im Bilde zu bleiben, vor allen Dingen für Hemden, für näherliegendes, für
wichtigere Bedürfnisse zu sorgen, weit dringendere Fragen zu lösen, vor allem
die mit dem Siege über Frankreich errungene neue Stellung Deutschlands im
Kreise der Staaten und Nationen zu sichern, das eben geschaffene deutsche Reich


Deutsche Kolonialpolitik.

ein erheblicher Teil der Verantwortung für die eingeschlagene Friedenspolitik
zur Last falle, richtig sein oder nicht — davon wird sich das schwedische
Ministerium in seiner Tätigkeit mit den norwegischen Kollegen jedenfalls über¬
zeugen können, daß es sich nicht empfiehlt, seine Freunde durch ungeeignete
Nachgiebigkeit gegen die Feinde zu entmutigen und seine eigne Stellung durch
fortwährende Konzessionen an die Gegner zu schwächen. Ob den Mitgliedern
des Ministeriums Sverdrup, wenn sie einmal eine Zeit lang die Regierungs¬
geschäfte geführt haben werden, vielleicht auch noch die Einsicht kommen wird,
daß man ein Land mit radikalen Faseleien nicht zu feinem Wohle regiert, und
daß, wenn man nicht gewissenlos handeln will, man als Minister den demo¬
kratischen Reden keine Folge geben kann, welche man als Abgeordneter ungestraft
sich erlauben durfte, und ob es dadurch möglich werden wird, unter den ob¬
waltenden Umständen die Union der beiden Königreiche auf die Dauer aufrecht¬
zuerhalten oder ob das Ministerium Sverdrup zu dieser Einsicht nicht ge¬
langen und demzufolge Norwegen auf der erreichten schiefen Ebene unaufhaltsam
abwärts gleiten wird, bis es sich von seinem Nachbarreiche getrennt hat, das
wird die Zukunft lehren.




Deutsche Kolonialpolitik.

le Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen. Während
des Feldzugs in Frankreich erklärte sich Bismarck entschieden gegen
eine deutsche Kolonialpolitik. Es war in Versailles bei Tische,
als er (vergl. Busch, Graf Bismarck und seine Leute, 6. Auf¬
lage, 2. Bd., S. 356) mit bezug auf ein Gerücht, welches uns
die Absicht zuschrieb, im Frieden die Abtretung Pondicherys von den Franzosen
zu verlangen, nachdem er andre Gründe für die Ungeschicktheit dieser Erfindung
angeführt hatte, sagte: „Ich will auch gar keine Kolonien. Die sind bloß zu
Versorgungsposten gut____ Für uns in Deutschland — diese Kolvniegeschichte
wäre für uns genau so wie der seidne Zobelpelz in polnischen Adelsfamilien,
die keine Hemden haben," was er dann weiter ausführte.

Das war am 9. Februar 1871. Wir hatten damals in der That, um
im Bilde zu bleiben, vor allen Dingen für Hemden, für näherliegendes, für
wichtigere Bedürfnisse zu sorgen, weit dringendere Fragen zu lösen, vor allem
die mit dem Siege über Frankreich errungene neue Stellung Deutschlands im
Kreise der Staaten und Nationen zu sichern, das eben geschaffene deutsche Reich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0164" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156435"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsche Kolonialpolitik.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_696" prev="#ID_695"> ein erheblicher Teil der Verantwortung für die eingeschlagene Friedenspolitik<lb/>
zur Last falle, richtig sein oder nicht &#x2014; davon wird sich das schwedische<lb/>
Ministerium in seiner Tätigkeit mit den norwegischen Kollegen jedenfalls über¬<lb/>
zeugen können, daß es sich nicht empfiehlt, seine Freunde durch ungeeignete<lb/>
Nachgiebigkeit gegen die Feinde zu entmutigen und seine eigne Stellung durch<lb/>
fortwährende Konzessionen an die Gegner zu schwächen. Ob den Mitgliedern<lb/>
des Ministeriums Sverdrup, wenn sie einmal eine Zeit lang die Regierungs¬<lb/>
geschäfte geführt haben werden, vielleicht auch noch die Einsicht kommen wird,<lb/>
daß man ein Land mit radikalen Faseleien nicht zu feinem Wohle regiert, und<lb/>
daß, wenn man nicht gewissenlos handeln will, man als Minister den demo¬<lb/>
kratischen Reden keine Folge geben kann, welche man als Abgeordneter ungestraft<lb/>
sich erlauben durfte, und ob es dadurch möglich werden wird, unter den ob¬<lb/>
waltenden Umständen die Union der beiden Königreiche auf die Dauer aufrecht¬<lb/>
zuerhalten oder ob das Ministerium Sverdrup zu dieser Einsicht nicht ge¬<lb/>
langen und demzufolge Norwegen auf der erreichten schiefen Ebene unaufhaltsam<lb/>
abwärts gleiten wird, bis es sich von seinem Nachbarreiche getrennt hat, das<lb/>
wird die Zukunft lehren.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Deutsche Kolonialpolitik.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_697"> le Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen. Während<lb/>
des Feldzugs in Frankreich erklärte sich Bismarck entschieden gegen<lb/>
eine deutsche Kolonialpolitik. Es war in Versailles bei Tische,<lb/>
als er (vergl. Busch, Graf Bismarck und seine Leute, 6. Auf¬<lb/>
lage, 2. Bd., S. 356) mit bezug auf ein Gerücht, welches uns<lb/>
die Absicht zuschrieb, im Frieden die Abtretung Pondicherys von den Franzosen<lb/>
zu verlangen, nachdem er andre Gründe für die Ungeschicktheit dieser Erfindung<lb/>
angeführt hatte, sagte: &#x201E;Ich will auch gar keine Kolonien. Die sind bloß zu<lb/>
Versorgungsposten gut____   Für uns in Deutschland &#x2014; diese Kolvniegeschichte<lb/>
wäre für uns genau so wie der seidne Zobelpelz in polnischen Adelsfamilien,<lb/>
die keine Hemden haben," was er dann weiter ausführte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_698" next="#ID_699"> Das war am 9. Februar 1871. Wir hatten damals in der That, um<lb/>
im Bilde zu bleiben, vor allen Dingen für Hemden, für näherliegendes, für<lb/>
wichtigere Bedürfnisse zu sorgen, weit dringendere Fragen zu lösen, vor allem<lb/>
die mit dem Siege über Frankreich errungene neue Stellung Deutschlands im<lb/>
Kreise der Staaten und Nationen zu sichern, das eben geschaffene deutsche Reich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0164] Deutsche Kolonialpolitik. ein erheblicher Teil der Verantwortung für die eingeschlagene Friedenspolitik zur Last falle, richtig sein oder nicht — davon wird sich das schwedische Ministerium in seiner Tätigkeit mit den norwegischen Kollegen jedenfalls über¬ zeugen können, daß es sich nicht empfiehlt, seine Freunde durch ungeeignete Nachgiebigkeit gegen die Feinde zu entmutigen und seine eigne Stellung durch fortwährende Konzessionen an die Gegner zu schwächen. Ob den Mitgliedern des Ministeriums Sverdrup, wenn sie einmal eine Zeit lang die Regierungs¬ geschäfte geführt haben werden, vielleicht auch noch die Einsicht kommen wird, daß man ein Land mit radikalen Faseleien nicht zu feinem Wohle regiert, und daß, wenn man nicht gewissenlos handeln will, man als Minister den demo¬ kratischen Reden keine Folge geben kann, welche man als Abgeordneter ungestraft sich erlauben durfte, und ob es dadurch möglich werden wird, unter den ob¬ waltenden Umständen die Union der beiden Königreiche auf die Dauer aufrecht¬ zuerhalten oder ob das Ministerium Sverdrup zu dieser Einsicht nicht ge¬ langen und demzufolge Norwegen auf der erreichten schiefen Ebene unaufhaltsam abwärts gleiten wird, bis es sich von seinem Nachbarreiche getrennt hat, das wird die Zukunft lehren. Deutsche Kolonialpolitik. le Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen. Während des Feldzugs in Frankreich erklärte sich Bismarck entschieden gegen eine deutsche Kolonialpolitik. Es war in Versailles bei Tische, als er (vergl. Busch, Graf Bismarck und seine Leute, 6. Auf¬ lage, 2. Bd., S. 356) mit bezug auf ein Gerücht, welches uns die Absicht zuschrieb, im Frieden die Abtretung Pondicherys von den Franzosen zu verlangen, nachdem er andre Gründe für die Ungeschicktheit dieser Erfindung angeführt hatte, sagte: „Ich will auch gar keine Kolonien. Die sind bloß zu Versorgungsposten gut____ Für uns in Deutschland — diese Kolvniegeschichte wäre für uns genau so wie der seidne Zobelpelz in polnischen Adelsfamilien, die keine Hemden haben," was er dann weiter ausführte. Das war am 9. Februar 1871. Wir hatten damals in der That, um im Bilde zu bleiben, vor allen Dingen für Hemden, für näherliegendes, für wichtigere Bedürfnisse zu sorgen, weit dringendere Fragen zu lösen, vor allem die mit dem Siege über Frankreich errungene neue Stellung Deutschlands im Kreise der Staaten und Nationen zu sichern, das eben geschaffene deutsche Reich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/164
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/164>, abgerufen am 15.06.2024.