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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Der Schriftstellerkrieg gegen die Leihbibliotheken.

Hände zu spielen). Die Kritik war beim Erscheinen dieses Werkes unschlüssig,
was sie zu dieser ganz neuen Verbindung von Tanz und Gesang sagen sollte.
Die Selbständigkeit der Walzer mußte jedem einleuchten, der sie hörte, den Ge¬
saug für ein Produkt der bloßen Retouche zu halten, ging ebenfalls angesichts
solcher herzlich unwiderstehlichen Melodien wie "Am Donaustrande" oder "Ein
hübscher kleiner Vogel" nur schwer an. Inzwischen verbreiteten sich die Kom¬
positionen und erregten überall Entzücken, wo sich ein Ensemble ihrer Aus¬
führung gewachsen fand und wo sie in der rechten Stunde vorgeführt wurden.
Man nimmt sie jetzt als eine neue selbständige und köstliche Gattung hin und
fragt nicht mehr nach ihrer Herkunft und ihrem Rechte. Brahms selbst hat zu
ihrer weitern Befestigung eine neue Serie Liebesliederwalzcr als ox. 65 folgen
lassen und jüngere Komponisten, unter denen wir Huber und Heuberger nennen
wollen, sind dabei, sein Werk fortzusetzen. Brahms selbst nimmt von den reizenden
Kindern einer hochgenialen Laune mit den Worten Goethes Abschied: "Nun
ihr Musen genug!"




Der Schriftstellerkrieg gegen die Leihbibliotheken.

an erlebt doch kuriose Dinge in der Welt. Wie würde es wohl
um die literarische Bildung unsers Volkes aussehen, wenn seit
Erfindung des Bücherdruckes die Einrichtung bestanden hätte,
daß jedes gedruckte Buch nur einer, der jeweilige Eigentümer,
lesen dürfe? Wir glauben, daß damit ein großer Teil des
Wertes jener Erfindung verloren gegangen sein würde. In der gegenwärtigen
Schriftstellerwelt macht sich aber eine Bewegung geltend, welche dem Autor das
Recht vindizirt, zu bestimmen, ob das veröffentlichte Buch auch noch ein andrer
als der Eigentümer lesen dürfe. Allerdings richtet sich diese Bewegung zunächst
nur gegen die Leihbibliotheken; ihnen soll das gewerbsmäßige Ausleihen vou
Büchern erschwert werden. Das verfvchtene Prinzip geht aber viel weiter und
kommt schließlich auf den obigen Satz hinaus.

Dieser Krieg gegen die Leihbibliotheken ist zuerst auf den Schriftsteller¬
tagen der letzten Jahre eröffnet worden, wo die Sache von Ernst Wichert an¬
geregt wurde. Hierncichst hat die Tagespresse sich der Frage bemächtigt; und
es ist namentlich der Schriftsteller Dr. Oskar Welten gewesen, welcher lebhaft
die Thätigkeit der Leihbibliotheken angegriffen hat. Die Rechtfertigung, welche
er seinen Ansprüchen zu gründe legt, ist etwa folgende. Der Leihbibliothekar


Der Schriftstellerkrieg gegen die Leihbibliotheken.

Hände zu spielen). Die Kritik war beim Erscheinen dieses Werkes unschlüssig,
was sie zu dieser ganz neuen Verbindung von Tanz und Gesang sagen sollte.
Die Selbständigkeit der Walzer mußte jedem einleuchten, der sie hörte, den Ge¬
saug für ein Produkt der bloßen Retouche zu halten, ging ebenfalls angesichts
solcher herzlich unwiderstehlichen Melodien wie „Am Donaustrande" oder „Ein
hübscher kleiner Vogel" nur schwer an. Inzwischen verbreiteten sich die Kom¬
positionen und erregten überall Entzücken, wo sich ein Ensemble ihrer Aus¬
führung gewachsen fand und wo sie in der rechten Stunde vorgeführt wurden.
Man nimmt sie jetzt als eine neue selbständige und köstliche Gattung hin und
fragt nicht mehr nach ihrer Herkunft und ihrem Rechte. Brahms selbst hat zu
ihrer weitern Befestigung eine neue Serie Liebesliederwalzcr als ox. 65 folgen
lassen und jüngere Komponisten, unter denen wir Huber und Heuberger nennen
wollen, sind dabei, sein Werk fortzusetzen. Brahms selbst nimmt von den reizenden
Kindern einer hochgenialen Laune mit den Worten Goethes Abschied: „Nun
ihr Musen genug!"




Der Schriftstellerkrieg gegen die Leihbibliotheken.

an erlebt doch kuriose Dinge in der Welt. Wie würde es wohl
um die literarische Bildung unsers Volkes aussehen, wenn seit
Erfindung des Bücherdruckes die Einrichtung bestanden hätte,
daß jedes gedruckte Buch nur einer, der jeweilige Eigentümer,
lesen dürfe? Wir glauben, daß damit ein großer Teil des
Wertes jener Erfindung verloren gegangen sein würde. In der gegenwärtigen
Schriftstellerwelt macht sich aber eine Bewegung geltend, welche dem Autor das
Recht vindizirt, zu bestimmen, ob das veröffentlichte Buch auch noch ein andrer
als der Eigentümer lesen dürfe. Allerdings richtet sich diese Bewegung zunächst
nur gegen die Leihbibliotheken; ihnen soll das gewerbsmäßige Ausleihen vou
Büchern erschwert werden. Das verfvchtene Prinzip geht aber viel weiter und
kommt schließlich auf den obigen Satz hinaus.

Dieser Krieg gegen die Leihbibliotheken ist zuerst auf den Schriftsteller¬
tagen der letzten Jahre eröffnet worden, wo die Sache von Ernst Wichert an¬
geregt wurde. Hierncichst hat die Tagespresse sich der Frage bemächtigt; und
es ist namentlich der Schriftsteller Dr. Oskar Welten gewesen, welcher lebhaft
die Thätigkeit der Leihbibliotheken angegriffen hat. Die Rechtfertigung, welche
er seinen Ansprüchen zu gründe legt, ist etwa folgende. Der Leihbibliothekar


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[0187] Der Schriftstellerkrieg gegen die Leihbibliotheken. Hände zu spielen). Die Kritik war beim Erscheinen dieses Werkes unschlüssig, was sie zu dieser ganz neuen Verbindung von Tanz und Gesang sagen sollte. Die Selbständigkeit der Walzer mußte jedem einleuchten, der sie hörte, den Ge¬ saug für ein Produkt der bloßen Retouche zu halten, ging ebenfalls angesichts solcher herzlich unwiderstehlichen Melodien wie „Am Donaustrande" oder „Ein hübscher kleiner Vogel" nur schwer an. Inzwischen verbreiteten sich die Kom¬ positionen und erregten überall Entzücken, wo sich ein Ensemble ihrer Aus¬ führung gewachsen fand und wo sie in der rechten Stunde vorgeführt wurden. Man nimmt sie jetzt als eine neue selbständige und köstliche Gattung hin und fragt nicht mehr nach ihrer Herkunft und ihrem Rechte. Brahms selbst hat zu ihrer weitern Befestigung eine neue Serie Liebesliederwalzcr als ox. 65 folgen lassen und jüngere Komponisten, unter denen wir Huber und Heuberger nennen wollen, sind dabei, sein Werk fortzusetzen. Brahms selbst nimmt von den reizenden Kindern einer hochgenialen Laune mit den Worten Goethes Abschied: „Nun ihr Musen genug!" Der Schriftstellerkrieg gegen die Leihbibliotheken. an erlebt doch kuriose Dinge in der Welt. Wie würde es wohl um die literarische Bildung unsers Volkes aussehen, wenn seit Erfindung des Bücherdruckes die Einrichtung bestanden hätte, daß jedes gedruckte Buch nur einer, der jeweilige Eigentümer, lesen dürfe? Wir glauben, daß damit ein großer Teil des Wertes jener Erfindung verloren gegangen sein würde. In der gegenwärtigen Schriftstellerwelt macht sich aber eine Bewegung geltend, welche dem Autor das Recht vindizirt, zu bestimmen, ob das veröffentlichte Buch auch noch ein andrer als der Eigentümer lesen dürfe. Allerdings richtet sich diese Bewegung zunächst nur gegen die Leihbibliotheken; ihnen soll das gewerbsmäßige Ausleihen vou Büchern erschwert werden. Das verfvchtene Prinzip geht aber viel weiter und kommt schließlich auf den obigen Satz hinaus. Dieser Krieg gegen die Leihbibliotheken ist zuerst auf den Schriftsteller¬ tagen der letzten Jahre eröffnet worden, wo die Sache von Ernst Wichert an¬ geregt wurde. Hierncichst hat die Tagespresse sich der Frage bemächtigt; und es ist namentlich der Schriftsteller Dr. Oskar Welten gewesen, welcher lebhaft die Thätigkeit der Leihbibliotheken angegriffen hat. Die Rechtfertigung, welche er seinen Ansprüchen zu gründe legt, ist etwa folgende. Der Leihbibliothekar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/187>, abgerufen am 15.06.2024.