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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.

Frage zu beantworten, worin der Kernpunkt, die Seele der Kriegführung des
achtzehnten Jahrhunderts, die mit dem Namen der methodischen Kriegführung
bezeichnet zu werden pflegt, zu suchen ist, und in welchen Punkten sie sich von
den für alle Zeiten giltigen, weil in dem Wesen des Krieges selber beruhenden
Grundsätzen entfernt hatte. Teile Friedrich in diesen Punkten die Anschauungen
seiner Zeit, so müssen wir ihn, so schwer uns das auch ankommen mag, aus
der Reihe der großen Feldherren streichen, er gehört dann vielleicht an die
Spitze, aber jedenfalls in die Klasse der Prinz Heinrich, Turenne und andrer
Künstler der methodischen Strategie. Es ist nun von vornherein klar, daß
der Gebrauch eines jeden Instruments, also auch der des Kriegsinstruments
-- der Armee -- in gewisser Weise von seiner Natur abhängig ist. So ist
natürlich die Kriegführung des vorigen Jahrhunderts auch davon abhängig
und nur dadurch völlig verständlich, daß man die Art und Weise der Auf¬
bringung der Heere jener Zeit und ihr Verhältnis zum Staate berücksichtigt.
Wenn aber auch das Werbesystem, die Magazinverpflcguug und die mangelnde
Entwicklung gewisser Kulturmomente die thatsächlichen Bedingungen sind, aus
denen jene Kriegführung entstand, so können sie doch nicht als das innerste
Wesen derselben angesehen werden; an sich können sie noch keinen Widerspruch
der Kriegführung in sich selber herbeiführen. Herr Dr. Delbrück hat das richtig
erkannt, daß es nicht die materiellen Faktoren find -- man könnte sie in betreff
der Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts mit einem Worte als Blutarmut
bezeichnen --, welche den Unterschied der beiden Systeme der Kriegführung, der
methodischen und der heutigen, begründen, sondern daß dieser Unterschied in den
Grundanschauungen über den Gebrauch des Kriegsinstrnments zur Erreichung
des Ziels des Krieges zu suchen ist. Nach seiner Erklärung sucht die neuere
Strategie seit Napoleon die Entscheidung ausschließlich in der Vernichtung der
feindlichen Streitkräfte in der Schlacht, während die ältere auch dem durch
Manöver gewonnenen Besitz von Land und Stellungen einen eignen Wert zu¬
schrieb. Das ist richtig, aber es geht der Sache noch nicht auf den Grund,
denn man fragt sofort, wie die Strategie eigentlich zu dieser irrtümlichen Auf¬
fassung kam. Und da stoßen wir denn auf das Grundprinzip dieser Kriegführung,
welche kein andres ist, als die Abneigung gegen das Blutvergießen überhaupt,
weil es das so kostbare und schwer zu ersetzende Kriegsiustrumeut erheblich be¬
schädigen könnte. Und hiermit kommt die Kriegführung in Widerspruch mit der
Natur des Krieges: aus übertriebener Schonung des Kriegsinftrumcnts verfehlt
sie den Zweck des Krieges, der niemals ein andrer ist, als auf dem kürzesten
Wege zum Frieden, d. h. zum Frieden unter den von uns gewollten Bedingungen,
zu gelangen. Weil man keinen großen Einsatz machen will, darum beschränkt
man sich in seinen Zielen, man strebt nicht dasjenige Ziel an, welches die größte
Wirksamkeit haben würde, sondern dasjenige, welches gerade am billigsten zu
erlangen ist. So sucht diese Kriegskunst, einen gelegentlich erhaschten Pfennig


Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.

Frage zu beantworten, worin der Kernpunkt, die Seele der Kriegführung des
achtzehnten Jahrhunderts, die mit dem Namen der methodischen Kriegführung
bezeichnet zu werden pflegt, zu suchen ist, und in welchen Punkten sie sich von
den für alle Zeiten giltigen, weil in dem Wesen des Krieges selber beruhenden
Grundsätzen entfernt hatte. Teile Friedrich in diesen Punkten die Anschauungen
seiner Zeit, so müssen wir ihn, so schwer uns das auch ankommen mag, aus
der Reihe der großen Feldherren streichen, er gehört dann vielleicht an die
Spitze, aber jedenfalls in die Klasse der Prinz Heinrich, Turenne und andrer
Künstler der methodischen Strategie. Es ist nun von vornherein klar, daß
der Gebrauch eines jeden Instruments, also auch der des Kriegsinstruments
— der Armee — in gewisser Weise von seiner Natur abhängig ist. So ist
natürlich die Kriegführung des vorigen Jahrhunderts auch davon abhängig
und nur dadurch völlig verständlich, daß man die Art und Weise der Auf¬
bringung der Heere jener Zeit und ihr Verhältnis zum Staate berücksichtigt.
Wenn aber auch das Werbesystem, die Magazinverpflcguug und die mangelnde
Entwicklung gewisser Kulturmomente die thatsächlichen Bedingungen sind, aus
denen jene Kriegführung entstand, so können sie doch nicht als das innerste
Wesen derselben angesehen werden; an sich können sie noch keinen Widerspruch
der Kriegführung in sich selber herbeiführen. Herr Dr. Delbrück hat das richtig
erkannt, daß es nicht die materiellen Faktoren find — man könnte sie in betreff
der Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts mit einem Worte als Blutarmut
bezeichnen —, welche den Unterschied der beiden Systeme der Kriegführung, der
methodischen und der heutigen, begründen, sondern daß dieser Unterschied in den
Grundanschauungen über den Gebrauch des Kriegsinstrnments zur Erreichung
des Ziels des Krieges zu suchen ist. Nach seiner Erklärung sucht die neuere
Strategie seit Napoleon die Entscheidung ausschließlich in der Vernichtung der
feindlichen Streitkräfte in der Schlacht, während die ältere auch dem durch
Manöver gewonnenen Besitz von Land und Stellungen einen eignen Wert zu¬
schrieb. Das ist richtig, aber es geht der Sache noch nicht auf den Grund,
denn man fragt sofort, wie die Strategie eigentlich zu dieser irrtümlichen Auf¬
fassung kam. Und da stoßen wir denn auf das Grundprinzip dieser Kriegführung,
welche kein andres ist, als die Abneigung gegen das Blutvergießen überhaupt,
weil es das so kostbare und schwer zu ersetzende Kriegsiustrumeut erheblich be¬
schädigen könnte. Und hiermit kommt die Kriegführung in Widerspruch mit der
Natur des Krieges: aus übertriebener Schonung des Kriegsinftrumcnts verfehlt
sie den Zweck des Krieges, der niemals ein andrer ist, als auf dem kürzesten
Wege zum Frieden, d. h. zum Frieden unter den von uns gewollten Bedingungen,
zu gelangen. Weil man keinen großen Einsatz machen will, darum beschränkt
man sich in seinen Zielen, man strebt nicht dasjenige Ziel an, welches die größte
Wirksamkeit haben würde, sondern dasjenige, welches gerade am billigsten zu
erlangen ist. So sucht diese Kriegskunst, einen gelegentlich erhaschten Pfennig


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[0220] Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen. Frage zu beantworten, worin der Kernpunkt, die Seele der Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts, die mit dem Namen der methodischen Kriegführung bezeichnet zu werden pflegt, zu suchen ist, und in welchen Punkten sie sich von den für alle Zeiten giltigen, weil in dem Wesen des Krieges selber beruhenden Grundsätzen entfernt hatte. Teile Friedrich in diesen Punkten die Anschauungen seiner Zeit, so müssen wir ihn, so schwer uns das auch ankommen mag, aus der Reihe der großen Feldherren streichen, er gehört dann vielleicht an die Spitze, aber jedenfalls in die Klasse der Prinz Heinrich, Turenne und andrer Künstler der methodischen Strategie. Es ist nun von vornherein klar, daß der Gebrauch eines jeden Instruments, also auch der des Kriegsinstruments — der Armee — in gewisser Weise von seiner Natur abhängig ist. So ist natürlich die Kriegführung des vorigen Jahrhunderts auch davon abhängig und nur dadurch völlig verständlich, daß man die Art und Weise der Auf¬ bringung der Heere jener Zeit und ihr Verhältnis zum Staate berücksichtigt. Wenn aber auch das Werbesystem, die Magazinverpflcguug und die mangelnde Entwicklung gewisser Kulturmomente die thatsächlichen Bedingungen sind, aus denen jene Kriegführung entstand, so können sie doch nicht als das innerste Wesen derselben angesehen werden; an sich können sie noch keinen Widerspruch der Kriegführung in sich selber herbeiführen. Herr Dr. Delbrück hat das richtig erkannt, daß es nicht die materiellen Faktoren find — man könnte sie in betreff der Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts mit einem Worte als Blutarmut bezeichnen —, welche den Unterschied der beiden Systeme der Kriegführung, der methodischen und der heutigen, begründen, sondern daß dieser Unterschied in den Grundanschauungen über den Gebrauch des Kriegsinstrnments zur Erreichung des Ziels des Krieges zu suchen ist. Nach seiner Erklärung sucht die neuere Strategie seit Napoleon die Entscheidung ausschließlich in der Vernichtung der feindlichen Streitkräfte in der Schlacht, während die ältere auch dem durch Manöver gewonnenen Besitz von Land und Stellungen einen eignen Wert zu¬ schrieb. Das ist richtig, aber es geht der Sache noch nicht auf den Grund, denn man fragt sofort, wie die Strategie eigentlich zu dieser irrtümlichen Auf¬ fassung kam. Und da stoßen wir denn auf das Grundprinzip dieser Kriegführung, welche kein andres ist, als die Abneigung gegen das Blutvergießen überhaupt, weil es das so kostbare und schwer zu ersetzende Kriegsiustrumeut erheblich be¬ schädigen könnte. Und hiermit kommt die Kriegführung in Widerspruch mit der Natur des Krieges: aus übertriebener Schonung des Kriegsinftrumcnts verfehlt sie den Zweck des Krieges, der niemals ein andrer ist, als auf dem kürzesten Wege zum Frieden, d. h. zum Frieden unter den von uns gewollten Bedingungen, zu gelangen. Weil man keinen großen Einsatz machen will, darum beschränkt man sich in seinen Zielen, man strebt nicht dasjenige Ziel an, welches die größte Wirksamkeit haben würde, sondern dasjenige, welches gerade am billigsten zu erlangen ist. So sucht diese Kriegskunst, einen gelegentlich erhaschten Pfennig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/220>, abgerufen am 15.06.2024.