Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.

^Al^
' ^T^Ä-.W'"ir alle haben in der Schule gelernt, daß Friedrich der Große zu
den ersten Feldherren aller Zeiten gehöre; das Schild der den
Jüngling lehrenden Göttin auf der Schloßbrücke zu Berlin zeigt
die Namen Alexander, Cäsar, Friedrich. Ist dieses Urteil als
ein giltiges Urteil der Weltgeschichte aufzufassen, oder ist es ein
wenn auch verzeihlicher Irrtum des preußischen Patriotismus? Die Frage
muß in voller Schärfe aufgestellt und entschieden werden, nachdem von einem
unsrer jüngern Historiker, dem Herrn Dr. Delbrück, der sich das Studium der
Kriegsgeschichte als Spezialität erwählt hat, die Formel aufgestellt worden ist,
Friedrich sei der Virtuose der Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts.

Von einem Genius ersten Ranges, als welcher Friedrich bisher aufgefaßt
worden ist, verlangen wir, daß er in seinen Grundanschauungen nicht in den
Irrtümern und Vorurteilen seiner Zeit befangen sei, daß er vielmehr das Wesen
seiner Kunst im tiefsten Grunde erfassend über seiner Zeit stehe und daher ein
Lehrer und Beispiel für alle Zeiten sei.

Herr Dr. Delbrück wird sich vielleicht dagegen sträuben, daß ich ihm die
Absicht zuschreibe, den Ruhm des großen Friedrich zu schmalem, aber ich kann
nichts daran ändern, seine Formel ist der entschiedenste Beweis gegen ihn. Ein
Virtuose in der Manier seiner Zeit und ein Künstler ersten Ranges sind eben
etwas durchaus verschiednes, das muß jeder, der unsre Sprache und die Be¬
deutung der Wörter versteht, ohne weiteres zugeben. Auch ist es wohl noch
niemand eingefallen, Shakespeare den Virtuosen seiner Zeit zu nennen, weil ihm
die Szenerie des heutigen Theaters unbekannt war und er sich mit sehr viel
dürftigeren Mitteln behelfen mußte.

Herr Dr. Delbrück hat, wie natürlich, auch Widerspruch bei allen Fach¬
männern gefunden, welche sich mit der fridericianischen Kriegführung eingehender
beschäftigt haben, er beharrt indessen bei seiner Meinung und erklärt im vierten
Hefte der "Historischen Zeitschrift" von 1884, daß gerade Fachmänner ihres
Verständnisses der modernen Kriegführung halber ein Verständnis der Krieg¬
führung des vorigen Jahrhunderts nicht haben könnten. Ich will zunächst
die Kompetenzfrage unerörtert lassen; es kommt ja auch weniger darauf an,
ob X oder I Recht behält, als darauf, daß das Rechte und Vernünftige zur
Anerkennung gelangt.

Um zu entscheiden, ob Friedrich der Virtuose seines Jahrhunderts oder
einer der großen Feldherren der Weltgeschichte gewesen, ist es notwendig, die


Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.

^Al^
' ^T^Ä-.W'«ir alle haben in der Schule gelernt, daß Friedrich der Große zu
den ersten Feldherren aller Zeiten gehöre; das Schild der den
Jüngling lehrenden Göttin auf der Schloßbrücke zu Berlin zeigt
die Namen Alexander, Cäsar, Friedrich. Ist dieses Urteil als
ein giltiges Urteil der Weltgeschichte aufzufassen, oder ist es ein
wenn auch verzeihlicher Irrtum des preußischen Patriotismus? Die Frage
muß in voller Schärfe aufgestellt und entschieden werden, nachdem von einem
unsrer jüngern Historiker, dem Herrn Dr. Delbrück, der sich das Studium der
Kriegsgeschichte als Spezialität erwählt hat, die Formel aufgestellt worden ist,
Friedrich sei der Virtuose der Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts.

Von einem Genius ersten Ranges, als welcher Friedrich bisher aufgefaßt
worden ist, verlangen wir, daß er in seinen Grundanschauungen nicht in den
Irrtümern und Vorurteilen seiner Zeit befangen sei, daß er vielmehr das Wesen
seiner Kunst im tiefsten Grunde erfassend über seiner Zeit stehe und daher ein
Lehrer und Beispiel für alle Zeiten sei.

Herr Dr. Delbrück wird sich vielleicht dagegen sträuben, daß ich ihm die
Absicht zuschreibe, den Ruhm des großen Friedrich zu schmalem, aber ich kann
nichts daran ändern, seine Formel ist der entschiedenste Beweis gegen ihn. Ein
Virtuose in der Manier seiner Zeit und ein Künstler ersten Ranges sind eben
etwas durchaus verschiednes, das muß jeder, der unsre Sprache und die Be¬
deutung der Wörter versteht, ohne weiteres zugeben. Auch ist es wohl noch
niemand eingefallen, Shakespeare den Virtuosen seiner Zeit zu nennen, weil ihm
die Szenerie des heutigen Theaters unbekannt war und er sich mit sehr viel
dürftigeren Mitteln behelfen mußte.

Herr Dr. Delbrück hat, wie natürlich, auch Widerspruch bei allen Fach¬
männern gefunden, welche sich mit der fridericianischen Kriegführung eingehender
beschäftigt haben, er beharrt indessen bei seiner Meinung und erklärt im vierten
Hefte der „Historischen Zeitschrift" von 1884, daß gerade Fachmänner ihres
Verständnisses der modernen Kriegführung halber ein Verständnis der Krieg¬
führung des vorigen Jahrhunderts nicht haben könnten. Ich will zunächst
die Kompetenzfrage unerörtert lassen; es kommt ja auch weniger darauf an,
ob X oder I Recht behält, als darauf, daß das Rechte und Vernünftige zur
Anerkennung gelangt.

Um zu entscheiden, ob Friedrich der Virtuose seines Jahrhunderts oder
einer der großen Feldherren der Weltgeschichte gewesen, ist es notwendig, die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156490"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_932"> ^Al^<lb/>
' ^T^Ä-.W'«ir alle haben in der Schule gelernt, daß Friedrich der Große zu<lb/>
den ersten Feldherren aller Zeiten gehöre; das Schild der den<lb/>
Jüngling lehrenden Göttin auf der Schloßbrücke zu Berlin zeigt<lb/>
die Namen Alexander, Cäsar, Friedrich. Ist dieses Urteil als<lb/>
ein giltiges Urteil der Weltgeschichte aufzufassen, oder ist es ein<lb/>
wenn auch verzeihlicher Irrtum des preußischen Patriotismus? Die Frage<lb/>
muß in voller Schärfe aufgestellt und entschieden werden, nachdem von einem<lb/>
unsrer jüngern Historiker, dem Herrn Dr. Delbrück, der sich das Studium der<lb/>
Kriegsgeschichte als Spezialität erwählt hat, die Formel aufgestellt worden ist,<lb/>
Friedrich sei der Virtuose der Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_933"> Von einem Genius ersten Ranges, als welcher Friedrich bisher aufgefaßt<lb/>
worden ist, verlangen wir, daß er in seinen Grundanschauungen nicht in den<lb/>
Irrtümern und Vorurteilen seiner Zeit befangen sei, daß er vielmehr das Wesen<lb/>
seiner Kunst im tiefsten Grunde erfassend über seiner Zeit stehe und daher ein<lb/>
Lehrer und Beispiel für alle Zeiten sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_934"> Herr Dr. Delbrück wird sich vielleicht dagegen sträuben, daß ich ihm die<lb/>
Absicht zuschreibe, den Ruhm des großen Friedrich zu schmalem, aber ich kann<lb/>
nichts daran ändern, seine Formel ist der entschiedenste Beweis gegen ihn. Ein<lb/>
Virtuose in der Manier seiner Zeit und ein Künstler ersten Ranges sind eben<lb/>
etwas durchaus verschiednes, das muß jeder, der unsre Sprache und die Be¬<lb/>
deutung der Wörter versteht, ohne weiteres zugeben. Auch ist es wohl noch<lb/>
niemand eingefallen, Shakespeare den Virtuosen seiner Zeit zu nennen, weil ihm<lb/>
die Szenerie des heutigen Theaters unbekannt war und er sich mit sehr viel<lb/>
dürftigeren Mitteln behelfen mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_935"> Herr Dr. Delbrück hat, wie natürlich, auch Widerspruch bei allen Fach¬<lb/>
männern gefunden, welche sich mit der fridericianischen Kriegführung eingehender<lb/>
beschäftigt haben, er beharrt indessen bei seiner Meinung und erklärt im vierten<lb/>
Hefte der &#x201E;Historischen Zeitschrift" von 1884, daß gerade Fachmänner ihres<lb/>
Verständnisses der modernen Kriegführung halber ein Verständnis der Krieg¬<lb/>
führung des vorigen Jahrhunderts nicht haben könnten. Ich will zunächst<lb/>
die Kompetenzfrage unerörtert lassen; es kommt ja auch weniger darauf an,<lb/>
ob X oder I Recht behält, als darauf, daß das Rechte und Vernünftige zur<lb/>
Anerkennung gelangt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_936" next="#ID_937"> Um zu entscheiden, ob Friedrich der Virtuose seines Jahrhunderts oder<lb/>
einer der großen Feldherren der Weltgeschichte gewesen, ist es notwendig, die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0219] Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen. ^Al^ ' ^T^Ä-.W'«ir alle haben in der Schule gelernt, daß Friedrich der Große zu den ersten Feldherren aller Zeiten gehöre; das Schild der den Jüngling lehrenden Göttin auf der Schloßbrücke zu Berlin zeigt die Namen Alexander, Cäsar, Friedrich. Ist dieses Urteil als ein giltiges Urteil der Weltgeschichte aufzufassen, oder ist es ein wenn auch verzeihlicher Irrtum des preußischen Patriotismus? Die Frage muß in voller Schärfe aufgestellt und entschieden werden, nachdem von einem unsrer jüngern Historiker, dem Herrn Dr. Delbrück, der sich das Studium der Kriegsgeschichte als Spezialität erwählt hat, die Formel aufgestellt worden ist, Friedrich sei der Virtuose der Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts. Von einem Genius ersten Ranges, als welcher Friedrich bisher aufgefaßt worden ist, verlangen wir, daß er in seinen Grundanschauungen nicht in den Irrtümern und Vorurteilen seiner Zeit befangen sei, daß er vielmehr das Wesen seiner Kunst im tiefsten Grunde erfassend über seiner Zeit stehe und daher ein Lehrer und Beispiel für alle Zeiten sei. Herr Dr. Delbrück wird sich vielleicht dagegen sträuben, daß ich ihm die Absicht zuschreibe, den Ruhm des großen Friedrich zu schmalem, aber ich kann nichts daran ändern, seine Formel ist der entschiedenste Beweis gegen ihn. Ein Virtuose in der Manier seiner Zeit und ein Künstler ersten Ranges sind eben etwas durchaus verschiednes, das muß jeder, der unsre Sprache und die Be¬ deutung der Wörter versteht, ohne weiteres zugeben. Auch ist es wohl noch niemand eingefallen, Shakespeare den Virtuosen seiner Zeit zu nennen, weil ihm die Szenerie des heutigen Theaters unbekannt war und er sich mit sehr viel dürftigeren Mitteln behelfen mußte. Herr Dr. Delbrück hat, wie natürlich, auch Widerspruch bei allen Fach¬ männern gefunden, welche sich mit der fridericianischen Kriegführung eingehender beschäftigt haben, er beharrt indessen bei seiner Meinung und erklärt im vierten Hefte der „Historischen Zeitschrift" von 1884, daß gerade Fachmänner ihres Verständnisses der modernen Kriegführung halber ein Verständnis der Krieg¬ führung des vorigen Jahrhunderts nicht haben könnten. Ich will zunächst die Kompetenzfrage unerörtert lassen; es kommt ja auch weniger darauf an, ob X oder I Recht behält, als darauf, daß das Rechte und Vernünftige zur Anerkennung gelangt. Um zu entscheiden, ob Friedrich der Virtuose seines Jahrhunderts oder einer der großen Feldherren der Weltgeschichte gewesen, ist es notwendig, die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/219
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/219>, abgerufen am 16.06.2024.