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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.

Kriege in dem Verhältnis zu seinen Feinden stets die Haupttendenz gehabt habe,
die Herrschaft in Sachsen und Schlesien festzuhalten, daß er ferner der beider¬
seitigen Machtverhältnisse halber niemals habe darauf rechnen können, dauernd
seine Machtsphäre erheblich weiter auszudehnen, "Unter diesem Gesichtspunkt,
heißt es dann wörtlich, ist denn -- schon damals -- die offensive Besiegung
der feindlichen, namentlich österreichischen Macht im Felde die Hauptsache." Die
Worte "schon damals" sind von der Hand des Generals von Moltke mit Blei
am Rande hinzugefügt.

Das Nichtverstehen dieser Kriegführung würde leicht erklärlich sein, wenn
wir seit den Zeiten der modernen Strategie keine derartige Defensive ans den
innern Linien in großem Maßstabe gehabt hätten, aber nicht weniger als drei
große Beispiele liefert uns die neuere Kriegsgeschichte, von denen wir Stoff zu
vergleichenden Betrachtungen die Fülle haben. Es ist der Hcrbstfeldzug von
1813, der Feldzug von 1814, beide von dem Begründer der neueren Kriegs¬
kunst selber geführt, und die Winterkampagne von 1870--71. Auch hier liegt
der Zwang zur Abwehr im großen und ganzen in der numerischen Schwäche
des von mehreren Seiten bedrohten Verteidigers, also des Kaisers Napoleon
in den ersten beiden Fällen, der deutschen Heere im dritten. Und ist nun diese
Abwehr nach andern Grundsätzen geführt worden als die im siebenjährigen
Kriege durch König Friedrich? In allen drei Fällen sehen wir den Verteidiger
sich ein Kriegstheater -- einen Verteidigungsraum -- von einer seinen Kräften
entsprechenden Größe einrichten und nun gegen die getrennten Gruppen der
Gegner, sobald sie sich seiner "Machtsphäre" nähern, einzelne kurze Stöße
führen. Ist das etwas wesentlich neues, oder konnten sie, im Vollbesitz der
Weisheit der neuen Strategie, das nicht von König Friedrich gelernt haben?

Völlig klar und deutlich treten die Grundbegriffe der strategischen Defensive
ans den inneren Linien, wie sie im 19. ebenso wie auch im 18. und allen ver¬
gangenen oder künftigen Jahrhunderten giltig sind und sein werden, in den
Direktiven des großen Hauptquartiers vom 17. Dezember 1870 hervor. "Die
allgemeinen Verhältnisse, heißt es in der Anlage 108 zum Gcneralstabswerk,
machen es notwendig, die Verfolgung des Feindes nach erfochtenen Siege nur
soweit fortzusetzen, wie erforderlich, um seine Massen der Hauptsache nach zu
zersprengen und deren Wiederansammlung ans längere Zeit unmöglich zu machen.
Wir können ihm nicht bis in seine letzten Stützpunkte wie Lille, Havre und
Bourges folgen, nicht entfernte Provinzen wie Normandie, Bretagne oder
Vendee dauernd besetzt halten wollen, sondern müssen uns entschließen, selbst
gewonnene Punkte wie Dieppe und eventuell auch Tours wieder zu räumen,
um unsre Hauptkräfte an wenigen Punkten zu konzentriren. . . . An ihnen
warten wir ab, bis die feindlichen Bewaffnungen sich wieder in formirter
Armeen verkörpern, um diesen dann durch eine kurze Offensive entgegenzu¬
gehen."


Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.

Kriege in dem Verhältnis zu seinen Feinden stets die Haupttendenz gehabt habe,
die Herrschaft in Sachsen und Schlesien festzuhalten, daß er ferner der beider¬
seitigen Machtverhältnisse halber niemals habe darauf rechnen können, dauernd
seine Machtsphäre erheblich weiter auszudehnen, „Unter diesem Gesichtspunkt,
heißt es dann wörtlich, ist denn — schon damals — die offensive Besiegung
der feindlichen, namentlich österreichischen Macht im Felde die Hauptsache." Die
Worte „schon damals" sind von der Hand des Generals von Moltke mit Blei
am Rande hinzugefügt.

Das Nichtverstehen dieser Kriegführung würde leicht erklärlich sein, wenn
wir seit den Zeiten der modernen Strategie keine derartige Defensive ans den
innern Linien in großem Maßstabe gehabt hätten, aber nicht weniger als drei
große Beispiele liefert uns die neuere Kriegsgeschichte, von denen wir Stoff zu
vergleichenden Betrachtungen die Fülle haben. Es ist der Hcrbstfeldzug von
1813, der Feldzug von 1814, beide von dem Begründer der neueren Kriegs¬
kunst selber geführt, und die Winterkampagne von 1870—71. Auch hier liegt
der Zwang zur Abwehr im großen und ganzen in der numerischen Schwäche
des von mehreren Seiten bedrohten Verteidigers, also des Kaisers Napoleon
in den ersten beiden Fällen, der deutschen Heere im dritten. Und ist nun diese
Abwehr nach andern Grundsätzen geführt worden als die im siebenjährigen
Kriege durch König Friedrich? In allen drei Fällen sehen wir den Verteidiger
sich ein Kriegstheater — einen Verteidigungsraum — von einer seinen Kräften
entsprechenden Größe einrichten und nun gegen die getrennten Gruppen der
Gegner, sobald sie sich seiner „Machtsphäre" nähern, einzelne kurze Stöße
führen. Ist das etwas wesentlich neues, oder konnten sie, im Vollbesitz der
Weisheit der neuen Strategie, das nicht von König Friedrich gelernt haben?

Völlig klar und deutlich treten die Grundbegriffe der strategischen Defensive
ans den inneren Linien, wie sie im 19. ebenso wie auch im 18. und allen ver¬
gangenen oder künftigen Jahrhunderten giltig sind und sein werden, in den
Direktiven des großen Hauptquartiers vom 17. Dezember 1870 hervor. „Die
allgemeinen Verhältnisse, heißt es in der Anlage 108 zum Gcneralstabswerk,
machen es notwendig, die Verfolgung des Feindes nach erfochtenen Siege nur
soweit fortzusetzen, wie erforderlich, um seine Massen der Hauptsache nach zu
zersprengen und deren Wiederansammlung ans längere Zeit unmöglich zu machen.
Wir können ihm nicht bis in seine letzten Stützpunkte wie Lille, Havre und
Bourges folgen, nicht entfernte Provinzen wie Normandie, Bretagne oder
Vendee dauernd besetzt halten wollen, sondern müssen uns entschließen, selbst
gewonnene Punkte wie Dieppe und eventuell auch Tours wieder zu räumen,
um unsre Hauptkräfte an wenigen Punkten zu konzentriren. . . . An ihnen
warten wir ab, bis die feindlichen Bewaffnungen sich wieder in formirter
Armeen verkörpern, um diesen dann durch eine kurze Offensive entgegenzu¬
gehen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/222>, abgerufen am 15.06.2024.