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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.

Also, da die Offensive nur kurz sein darf, muß gewartet werden, bis die
feindlichen Armeen sich wieder unsrer "Machtsphäre" genähert haben. Kann
man diese Grundsätze nicht ins Friderieianische übersetzt direkt als leitende Ge¬
danken des siebenjährigen Krieges ausgeben? Es ist genau dasselbe. Entweder
sind alle die vier genanten Fälle "methodische Kriegführung" oder sie sind alle
vier "strategische Defensive auf den inneren Linien." Zieht Herr Dr. Delbrück
erstere Bezeichnung vor, so ist dagegen nichts einzuwenden; "moderne Strategie"
ist dann aber überhaupt nur mit überlegenen oder wenigstens nicht schwächeren
Mitteln zu treiben, sie ist dann nur die Kunst des auf jeden roten Gegenstand
losgehenden Stieres.

1813 und 1814 ist der Verteidiger an seiner Aufgabe gescheitert, die Krisen
beider Feldzüge haben, im ganzen betrachtet, höchst auffallende Analogien im
siebenjährigen Kriege. Was ist Leipzig anders als Bunzelwitz? Der Verteidiger
bekennt die Unmöglichkeit, die getrennten Gruppen der Gegner noch ferner aus-
einanderzuhalten, der Vorteil der inneren Linien ist, indem sich der Raum immer
mehr verengt hat. schließlich zum Nachteil der Umfassung auf dem Schlachtfelde
umgeschlagen. Angreifen kann er nicht, wenn er nicht zerschellen will; weiter
zurückgehen will er nicht, so stellt er sich zur Entscheidung, ein verwundeter
Löwe. Und steht im Feldzuge von 1814 die Schlacht von Laon nicht genau
an der Stelle wie Kunersdorf im siebenjährigen Kriege? Der Verteidiger ist
bei einem seiner kurzen Offensivstvße zerschellt, und der Krieg ist aus und zu
Ende, wenn der Angreifer vorrückt.

Oder soll man etwa meinen, die Gefahr für den König wäre damals gar¬
nicht so schlimm gewesen, die Gegner hätten Preußen mit ihren Mitteln gar¬
nicht niederzuwerfen vermocht? Dann freilich hätte der König seine Gegner
überschätzt und sich recht unnütze Sorgen um die Existenz des Staates gemacht;
eigentlich war das doch aber sonst seine Sache nicht. Ich meine, die Existenz
Preußens hing damals an einem Haar; die räumliche Entfernung von Berlin
war einer Armeeführung von nur mäßiger Entschlossenheit gegenüber gar kein
Schutz mehr, nachdem die einzelnen Gruppen der siegreichen Angriffsheere sich
bis Frankfurt a. O., Triebel, Wittenberg und Torgau genähert hatten. Bei dem
Fehlen jeder Reserve, bei dem Mangel einer nationalen Wehrverfassung über¬
haupt lag die Macht des Staates, zumal des kleinen Preußens, so ausschließlich
in der Operationsarmee, daß bei gelegentlicher Abwesenheit derselben feindliche
Korps in Berlin einrücken konnten. Der Staat Preußen war damals, wie
schon Clausewitz treffend bemerkt hat, im Lager des Königs.

Ich glaube hiermit den Differenzpunkt genügend hervorgehoben zu haben.
Wenn Herr Dr. Delbrück den König als den Virtuosen seines Jahrhunderts
auffaßt, so fordere ich ihn auf, uns nicht vorzuenthalten, auf welche Weise der
Kaiser Napoleon oder der Feldmarschall Moltke mit den gleichen Mitteln in
bezug auf das Kräfteverhältnis zum Feinde an der Stelle des Königs den


Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.

Also, da die Offensive nur kurz sein darf, muß gewartet werden, bis die
feindlichen Armeen sich wieder unsrer „Machtsphäre" genähert haben. Kann
man diese Grundsätze nicht ins Friderieianische übersetzt direkt als leitende Ge¬
danken des siebenjährigen Krieges ausgeben? Es ist genau dasselbe. Entweder
sind alle die vier genanten Fälle „methodische Kriegführung" oder sie sind alle
vier „strategische Defensive auf den inneren Linien." Zieht Herr Dr. Delbrück
erstere Bezeichnung vor, so ist dagegen nichts einzuwenden; „moderne Strategie"
ist dann aber überhaupt nur mit überlegenen oder wenigstens nicht schwächeren
Mitteln zu treiben, sie ist dann nur die Kunst des auf jeden roten Gegenstand
losgehenden Stieres.

1813 und 1814 ist der Verteidiger an seiner Aufgabe gescheitert, die Krisen
beider Feldzüge haben, im ganzen betrachtet, höchst auffallende Analogien im
siebenjährigen Kriege. Was ist Leipzig anders als Bunzelwitz? Der Verteidiger
bekennt die Unmöglichkeit, die getrennten Gruppen der Gegner noch ferner aus-
einanderzuhalten, der Vorteil der inneren Linien ist, indem sich der Raum immer
mehr verengt hat. schließlich zum Nachteil der Umfassung auf dem Schlachtfelde
umgeschlagen. Angreifen kann er nicht, wenn er nicht zerschellen will; weiter
zurückgehen will er nicht, so stellt er sich zur Entscheidung, ein verwundeter
Löwe. Und steht im Feldzuge von 1814 die Schlacht von Laon nicht genau
an der Stelle wie Kunersdorf im siebenjährigen Kriege? Der Verteidiger ist
bei einem seiner kurzen Offensivstvße zerschellt, und der Krieg ist aus und zu
Ende, wenn der Angreifer vorrückt.

Oder soll man etwa meinen, die Gefahr für den König wäre damals gar¬
nicht so schlimm gewesen, die Gegner hätten Preußen mit ihren Mitteln gar¬
nicht niederzuwerfen vermocht? Dann freilich hätte der König seine Gegner
überschätzt und sich recht unnütze Sorgen um die Existenz des Staates gemacht;
eigentlich war das doch aber sonst seine Sache nicht. Ich meine, die Existenz
Preußens hing damals an einem Haar; die räumliche Entfernung von Berlin
war einer Armeeführung von nur mäßiger Entschlossenheit gegenüber gar kein
Schutz mehr, nachdem die einzelnen Gruppen der siegreichen Angriffsheere sich
bis Frankfurt a. O., Triebel, Wittenberg und Torgau genähert hatten. Bei dem
Fehlen jeder Reserve, bei dem Mangel einer nationalen Wehrverfassung über¬
haupt lag die Macht des Staates, zumal des kleinen Preußens, so ausschließlich
in der Operationsarmee, daß bei gelegentlicher Abwesenheit derselben feindliche
Korps in Berlin einrücken konnten. Der Staat Preußen war damals, wie
schon Clausewitz treffend bemerkt hat, im Lager des Königs.

Ich glaube hiermit den Differenzpunkt genügend hervorgehoben zu haben.
Wenn Herr Dr. Delbrück den König als den Virtuosen seines Jahrhunderts
auffaßt, so fordere ich ihn auf, uns nicht vorzuenthalten, auf welche Weise der
Kaiser Napoleon oder der Feldmarschall Moltke mit den gleichen Mitteln in
bezug auf das Kräfteverhältnis zum Feinde an der Stelle des Königs den


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[0223] Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen. Also, da die Offensive nur kurz sein darf, muß gewartet werden, bis die feindlichen Armeen sich wieder unsrer „Machtsphäre" genähert haben. Kann man diese Grundsätze nicht ins Friderieianische übersetzt direkt als leitende Ge¬ danken des siebenjährigen Krieges ausgeben? Es ist genau dasselbe. Entweder sind alle die vier genanten Fälle „methodische Kriegführung" oder sie sind alle vier „strategische Defensive auf den inneren Linien." Zieht Herr Dr. Delbrück erstere Bezeichnung vor, so ist dagegen nichts einzuwenden; „moderne Strategie" ist dann aber überhaupt nur mit überlegenen oder wenigstens nicht schwächeren Mitteln zu treiben, sie ist dann nur die Kunst des auf jeden roten Gegenstand losgehenden Stieres. 1813 und 1814 ist der Verteidiger an seiner Aufgabe gescheitert, die Krisen beider Feldzüge haben, im ganzen betrachtet, höchst auffallende Analogien im siebenjährigen Kriege. Was ist Leipzig anders als Bunzelwitz? Der Verteidiger bekennt die Unmöglichkeit, die getrennten Gruppen der Gegner noch ferner aus- einanderzuhalten, der Vorteil der inneren Linien ist, indem sich der Raum immer mehr verengt hat. schließlich zum Nachteil der Umfassung auf dem Schlachtfelde umgeschlagen. Angreifen kann er nicht, wenn er nicht zerschellen will; weiter zurückgehen will er nicht, so stellt er sich zur Entscheidung, ein verwundeter Löwe. Und steht im Feldzuge von 1814 die Schlacht von Laon nicht genau an der Stelle wie Kunersdorf im siebenjährigen Kriege? Der Verteidiger ist bei einem seiner kurzen Offensivstvße zerschellt, und der Krieg ist aus und zu Ende, wenn der Angreifer vorrückt. Oder soll man etwa meinen, die Gefahr für den König wäre damals gar¬ nicht so schlimm gewesen, die Gegner hätten Preußen mit ihren Mitteln gar¬ nicht niederzuwerfen vermocht? Dann freilich hätte der König seine Gegner überschätzt und sich recht unnütze Sorgen um die Existenz des Staates gemacht; eigentlich war das doch aber sonst seine Sache nicht. Ich meine, die Existenz Preußens hing damals an einem Haar; die räumliche Entfernung von Berlin war einer Armeeführung von nur mäßiger Entschlossenheit gegenüber gar kein Schutz mehr, nachdem die einzelnen Gruppen der siegreichen Angriffsheere sich bis Frankfurt a. O., Triebel, Wittenberg und Torgau genähert hatten. Bei dem Fehlen jeder Reserve, bei dem Mangel einer nationalen Wehrverfassung über¬ haupt lag die Macht des Staates, zumal des kleinen Preußens, so ausschließlich in der Operationsarmee, daß bei gelegentlicher Abwesenheit derselben feindliche Korps in Berlin einrücken konnten. Der Staat Preußen war damals, wie schon Clausewitz treffend bemerkt hat, im Lager des Königs. Ich glaube hiermit den Differenzpunkt genügend hervorgehoben zu haben. Wenn Herr Dr. Delbrück den König als den Virtuosen seines Jahrhunderts auffaßt, so fordere ich ihn auf, uns nicht vorzuenthalten, auf welche Weise der Kaiser Napoleon oder der Feldmarschall Moltke mit den gleichen Mitteln in bezug auf das Kräfteverhältnis zum Feinde an der Stelle des Königs den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/223>, abgerufen am 16.06.2024.