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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Der König von "Lypern und Jerusalem.

nicht wieder heimkehrten, sondern im Lande der Cypressen und Myrten, der
Öl- und Feigenbäume Würden erwarben und gelegentlich Dynastien gründeten,
Guy de Lusignan, der Sohn Hugos, heiratete Sybclla, die Tochter Ainaures
des Geizigen, christlichen Königs von Jerusalem, und folgte seinem Schwieger¬
vater auf dem Throne in der heiligen Stadt. Aber 1187 eroberte der
Sarazenenfürst Sala-Ed-Din die letztere, und Guy behielt nur noch den leeren
Titel, den er als verständiger Herr bald nachher an Richard Löwenherz in der
Weise verkaufte, daß er dafür das substantiellere Recht eintauschte, sich König
von Cypern zu nennen. Von diesem ehedem berühmten Stamme wollte der
arme alte Oberst, der neulich an der Newa zu seinen Vätern versammelt wurde,
ein Sproß direkter Linie sein, und da das vielleicht seine Richtigkeit hatte, so
gilt es wohl auch von seinem Sohne. Sollte daher das Glücksrad der Zeiten
es einmal fügen, daß ein fränkisches Königreich Jerusalem wieder zur Möglichkeit
würde, so würde, dn die englischen Souveräne sich nicht mehr Könige von
Jerusalem nennen, ihre dortigen Ansprüche also aufgegeben haben, der einsame
Leidtragende in Uniform, der mit dem großen und seltsam gestalteten Sterne
dem Leichenwagen nachschritt, oder dessen Sohn oder Enkel, sich mit einigem
Fug wegen des Antritts seines Erbes melden können, und vielleicht würde man
es ihm dann ausantworten.

Vielleicht; denn es darf nicht außer Acht gelassen werden, daß Mitbewerber
um die seit Jahrhunderten ruhende Souveränetät in dem Lande, wo Milch
und Honig fließt, auftreten können. Es gab einen unbestreitbar wohl doku-
mentirten Zweig der Lusignan in der alten französischen Familie de Lezay,
welcher trotz aller Ächtungen, Guillotinirungcn und Bürgerkriege der ersten
Republik noch 1810 in Frankreich blühte. Ferner erhebt das Haus Savoyeu-
Carignan als Erbe Guglielmos, Marquis von Montserrat, mit dem Beinamen
Longaspada, welcher der erste Gemahl Sybellas war, Anspruch nicht bloß auf
die Herrschaft im Gebiete ihres Sohnes, sondern auch auf die Insel im Ägeischen
Meere, wo die Mythe Aphrodite geboren sein läßt, und Freunde der Münz- und
Medaillenkundc werden sich erinnern, daß Vittorio Emmanuele der Zweite noch
im Jahre 1859 offiziell nicht bloß König von Piemont, Herzog von Savoyen
und Markgraf von Montserrat, sondern auch König von Cypern und Jerusalem
genannt wurde. Endlich ist zu bemerken, daß sich unter den sehr zahlreichen
Titeln der Kaiser von Österreich auch der eines Königs von Jerusalem befindet.

Was Cypern angeht, so liegt die Sache folgendermaßen. Wenn die
Souveränetät über diese Insel, welche der Sultan Selim der Zweite im Jahre
1571 eroberte und welche jetzt ein "Waffenplatz" der Engländer unter nomineller
Oberherrlichkeit des Padischa ist, der Familie Lusignan verloren gegangen sein
sollte, so würde die bekannte Madana Ccitarina Cornaro die Schuld daran
tragen. Diese Dame, die Urenkelin eines venezianischen Dogen, war eine
"Adoptivtochter San Marcos," und als sie 1470 in Venedig einzog, um die


Grenzboten III. 1834. S'.v
Der König von «Lypern und Jerusalem.

nicht wieder heimkehrten, sondern im Lande der Cypressen und Myrten, der
Öl- und Feigenbäume Würden erwarben und gelegentlich Dynastien gründeten,
Guy de Lusignan, der Sohn Hugos, heiratete Sybclla, die Tochter Ainaures
des Geizigen, christlichen Königs von Jerusalem, und folgte seinem Schwieger¬
vater auf dem Throne in der heiligen Stadt. Aber 1187 eroberte der
Sarazenenfürst Sala-Ed-Din die letztere, und Guy behielt nur noch den leeren
Titel, den er als verständiger Herr bald nachher an Richard Löwenherz in der
Weise verkaufte, daß er dafür das substantiellere Recht eintauschte, sich König
von Cypern zu nennen. Von diesem ehedem berühmten Stamme wollte der
arme alte Oberst, der neulich an der Newa zu seinen Vätern versammelt wurde,
ein Sproß direkter Linie sein, und da das vielleicht seine Richtigkeit hatte, so
gilt es wohl auch von seinem Sohne. Sollte daher das Glücksrad der Zeiten
es einmal fügen, daß ein fränkisches Königreich Jerusalem wieder zur Möglichkeit
würde, so würde, dn die englischen Souveräne sich nicht mehr Könige von
Jerusalem nennen, ihre dortigen Ansprüche also aufgegeben haben, der einsame
Leidtragende in Uniform, der mit dem großen und seltsam gestalteten Sterne
dem Leichenwagen nachschritt, oder dessen Sohn oder Enkel, sich mit einigem
Fug wegen des Antritts seines Erbes melden können, und vielleicht würde man
es ihm dann ausantworten.

Vielleicht; denn es darf nicht außer Acht gelassen werden, daß Mitbewerber
um die seit Jahrhunderten ruhende Souveränetät in dem Lande, wo Milch
und Honig fließt, auftreten können. Es gab einen unbestreitbar wohl doku-
mentirten Zweig der Lusignan in der alten französischen Familie de Lezay,
welcher trotz aller Ächtungen, Guillotinirungcn und Bürgerkriege der ersten
Republik noch 1810 in Frankreich blühte. Ferner erhebt das Haus Savoyeu-
Carignan als Erbe Guglielmos, Marquis von Montserrat, mit dem Beinamen
Longaspada, welcher der erste Gemahl Sybellas war, Anspruch nicht bloß auf
die Herrschaft im Gebiete ihres Sohnes, sondern auch auf die Insel im Ägeischen
Meere, wo die Mythe Aphrodite geboren sein läßt, und Freunde der Münz- und
Medaillenkundc werden sich erinnern, daß Vittorio Emmanuele der Zweite noch
im Jahre 1859 offiziell nicht bloß König von Piemont, Herzog von Savoyen
und Markgraf von Montserrat, sondern auch König von Cypern und Jerusalem
genannt wurde. Endlich ist zu bemerken, daß sich unter den sehr zahlreichen
Titeln der Kaiser von Österreich auch der eines Königs von Jerusalem befindet.

Was Cypern angeht, so liegt die Sache folgendermaßen. Wenn die
Souveränetät über diese Insel, welche der Sultan Selim der Zweite im Jahre
1571 eroberte und welche jetzt ein „Waffenplatz" der Engländer unter nomineller
Oberherrlichkeit des Padischa ist, der Familie Lusignan verloren gegangen sein
sollte, so würde die bekannte Madana Ccitarina Cornaro die Schuld daran
tragen. Diese Dame, die Urenkelin eines venezianischen Dogen, war eine
„Adoptivtochter San Marcos," und als sie 1470 in Venedig einzog, um die


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[0241] Der König von «Lypern und Jerusalem. nicht wieder heimkehrten, sondern im Lande der Cypressen und Myrten, der Öl- und Feigenbäume Würden erwarben und gelegentlich Dynastien gründeten, Guy de Lusignan, der Sohn Hugos, heiratete Sybclla, die Tochter Ainaures des Geizigen, christlichen Königs von Jerusalem, und folgte seinem Schwieger¬ vater auf dem Throne in der heiligen Stadt. Aber 1187 eroberte der Sarazenenfürst Sala-Ed-Din die letztere, und Guy behielt nur noch den leeren Titel, den er als verständiger Herr bald nachher an Richard Löwenherz in der Weise verkaufte, daß er dafür das substantiellere Recht eintauschte, sich König von Cypern zu nennen. Von diesem ehedem berühmten Stamme wollte der arme alte Oberst, der neulich an der Newa zu seinen Vätern versammelt wurde, ein Sproß direkter Linie sein, und da das vielleicht seine Richtigkeit hatte, so gilt es wohl auch von seinem Sohne. Sollte daher das Glücksrad der Zeiten es einmal fügen, daß ein fränkisches Königreich Jerusalem wieder zur Möglichkeit würde, so würde, dn die englischen Souveräne sich nicht mehr Könige von Jerusalem nennen, ihre dortigen Ansprüche also aufgegeben haben, der einsame Leidtragende in Uniform, der mit dem großen und seltsam gestalteten Sterne dem Leichenwagen nachschritt, oder dessen Sohn oder Enkel, sich mit einigem Fug wegen des Antritts seines Erbes melden können, und vielleicht würde man es ihm dann ausantworten. Vielleicht; denn es darf nicht außer Acht gelassen werden, daß Mitbewerber um die seit Jahrhunderten ruhende Souveränetät in dem Lande, wo Milch und Honig fließt, auftreten können. Es gab einen unbestreitbar wohl doku- mentirten Zweig der Lusignan in der alten französischen Familie de Lezay, welcher trotz aller Ächtungen, Guillotinirungcn und Bürgerkriege der ersten Republik noch 1810 in Frankreich blühte. Ferner erhebt das Haus Savoyeu- Carignan als Erbe Guglielmos, Marquis von Montserrat, mit dem Beinamen Longaspada, welcher der erste Gemahl Sybellas war, Anspruch nicht bloß auf die Herrschaft im Gebiete ihres Sohnes, sondern auch auf die Insel im Ägeischen Meere, wo die Mythe Aphrodite geboren sein läßt, und Freunde der Münz- und Medaillenkundc werden sich erinnern, daß Vittorio Emmanuele der Zweite noch im Jahre 1859 offiziell nicht bloß König von Piemont, Herzog von Savoyen und Markgraf von Montserrat, sondern auch König von Cypern und Jerusalem genannt wurde. Endlich ist zu bemerken, daß sich unter den sehr zahlreichen Titeln der Kaiser von Österreich auch der eines Königs von Jerusalem befindet. Was Cypern angeht, so liegt die Sache folgendermaßen. Wenn die Souveränetät über diese Insel, welche der Sultan Selim der Zweite im Jahre 1571 eroberte und welche jetzt ein „Waffenplatz" der Engländer unter nomineller Oberherrlichkeit des Padischa ist, der Familie Lusignan verloren gegangen sein sollte, so würde die bekannte Madana Ccitarina Cornaro die Schuld daran tragen. Diese Dame, die Urenkelin eines venezianischen Dogen, war eine „Adoptivtochter San Marcos," und als sie 1470 in Venedig einzog, um die Grenzboten III. 1834. S'.v

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/241>, abgerufen am 16.06.2024.