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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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einen unliebenswürdigen Eindruck. Weit höher steht der alte Holbein, der auch
hier in der Farbengebung wieder bedeutendes leistet, während Hans Vurgkmair,
ein leider noch lange nicht genug gewürdigter Meister,*) uns schon wehr in die
neuere Zeit hinüberführt. Bereits in diesen Bildern, die er im Alter von
28 bis 31 Jahren gemalt hat, zeigt er sich als einen durchaus selbständigen
Meister. Die Petersbasilika ist zwar noch nicht geschlossen genug und steht
gleichzeitigen Nürnberger Arbeiten nach, aber es finden sich doch schon vor¬
treffliche Einzelheiten. Die Landschaft auf der obern Abteilung (Christus am
Ölberge) ist bei weitem schöner als alles, was die fränkische Schule in jener
Zeit geschaffen hat. Bei den Männern ist edle Gesichtsbildung, beiden Frauen
Feinheit und Würde angestrebt. Die Hände sind zwar mager und spitz, aber
gut modellirt, die Farbenzusammenstellung ist von großem Reiz. In der
Basilika San Giovanni finden wir sonderbarerweise die Köpfe härter und die
Färbung schwerer, während die Basilika Santa Croce wieder als vortrefflich gelten
kann. Da haben wir auf dem Mittelbilde die wunderbare Gestalt der zum
Kreuze emporschaucnden Maria, die treffliche Figur des frommen Hauptmanns,
die lebendig bewegten Gruppen der Pilger, dazu auf den Flügelbildern den
Gegensatz der gottergebenen Demut der Jungfrauen zu der rohen Wildheit der
Heiden. Die Fleischtöne sind auf alle" Bildern streng der Natur entsprechend
durchgeführt. Wir lernen einen Künstler kennen, der nur von Dürer und dem
jungen Holbein übertroffen wird. Und welche gewaltige Entwicklung hat er in
seiner spätern Zeit durchgemacht! Aus dem Jahre 1507 stammt das Bild
"Christus und Maria auf dem Throne sitzend," eins der frühesten deutschen
Werke, worin der Geist der Renaissance vollständig zum Durchbruch kommt.
Im Jahre 1519 entsteht der herrliche Flügelaltar, der im Mittelbild Christus
am Kreuze mit Johannes, Maria und Magdalena, auf den Jnnenflügeln die
beiden Schächer, auf den Außenseiten die beiden Heiligen Georg und Heinrich
den Zweiten in einer luftigen Säulenhalle vorführt und namentlich wegen der
feierlich ruhigen Anordnung der Landschaft bemerkenswert ist. Gleich daneben
hängt ein Bild ans Burgkmairs letzter Zeil, die Schlacht von Cannä, die er
zwei Jahre vor seinem Tode malte, eine trotz des schweren Kolorits noch äußerst
geistreiche Komposition. Es ist sonderbar, wie ungerecht die Geschichtschreibung
zuweilen verfährt. Während Dürer und Holbein zu wiederholten malen vor¬
trefflich bearbeitet worden sind, harrt Hans Bnrgkmair, der beiden als der
dritte im Bunde würdig zur Seite steht, noch immer seines Biographen.

Noch in vielen andern kleinen Städten Schwabens sind alte Bilder vor¬
handen. Man hat in Schwaben glücklicherweise noch nicht jenes Zentralisations-
shstem durchgeführt, wonach den kleinern Orten alle Kunstwerke genommen



*) Vergleiche Wer ihn meinen soeben erschienenen Aussatz in der "Zeitschrift für
bildende Kunst."
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einen unliebenswürdigen Eindruck. Weit höher steht der alte Holbein, der auch
hier in der Farbengebung wieder bedeutendes leistet, während Hans Vurgkmair,
ein leider noch lange nicht genug gewürdigter Meister,*) uns schon wehr in die
neuere Zeit hinüberführt. Bereits in diesen Bildern, die er im Alter von
28 bis 31 Jahren gemalt hat, zeigt er sich als einen durchaus selbständigen
Meister. Die Petersbasilika ist zwar noch nicht geschlossen genug und steht
gleichzeitigen Nürnberger Arbeiten nach, aber es finden sich doch schon vor¬
treffliche Einzelheiten. Die Landschaft auf der obern Abteilung (Christus am
Ölberge) ist bei weitem schöner als alles, was die fränkische Schule in jener
Zeit geschaffen hat. Bei den Männern ist edle Gesichtsbildung, beiden Frauen
Feinheit und Würde angestrebt. Die Hände sind zwar mager und spitz, aber
gut modellirt, die Farbenzusammenstellung ist von großem Reiz. In der
Basilika San Giovanni finden wir sonderbarerweise die Köpfe härter und die
Färbung schwerer, während die Basilika Santa Croce wieder als vortrefflich gelten
kann. Da haben wir auf dem Mittelbilde die wunderbare Gestalt der zum
Kreuze emporschaucnden Maria, die treffliche Figur des frommen Hauptmanns,
die lebendig bewegten Gruppen der Pilger, dazu auf den Flügelbildern den
Gegensatz der gottergebenen Demut der Jungfrauen zu der rohen Wildheit der
Heiden. Die Fleischtöne sind auf alle» Bildern streng der Natur entsprechend
durchgeführt. Wir lernen einen Künstler kennen, der nur von Dürer und dem
jungen Holbein übertroffen wird. Und welche gewaltige Entwicklung hat er in
seiner spätern Zeit durchgemacht! Aus dem Jahre 1507 stammt das Bild
„Christus und Maria auf dem Throne sitzend," eins der frühesten deutschen
Werke, worin der Geist der Renaissance vollständig zum Durchbruch kommt.
Im Jahre 1519 entsteht der herrliche Flügelaltar, der im Mittelbild Christus
am Kreuze mit Johannes, Maria und Magdalena, auf den Jnnenflügeln die
beiden Schächer, auf den Außenseiten die beiden Heiligen Georg und Heinrich
den Zweiten in einer luftigen Säulenhalle vorführt und namentlich wegen der
feierlich ruhigen Anordnung der Landschaft bemerkenswert ist. Gleich daneben
hängt ein Bild ans Burgkmairs letzter Zeil, die Schlacht von Cannä, die er
zwei Jahre vor seinem Tode malte, eine trotz des schweren Kolorits noch äußerst
geistreiche Komposition. Es ist sonderbar, wie ungerecht die Geschichtschreibung
zuweilen verfährt. Während Dürer und Holbein zu wiederholten malen vor¬
trefflich bearbeitet worden sind, harrt Hans Bnrgkmair, der beiden als der
dritte im Bunde würdig zur Seite steht, noch immer seines Biographen.

Noch in vielen andern kleinen Städten Schwabens sind alte Bilder vor¬
handen. Man hat in Schwaben glücklicherweise noch nicht jenes Zentralisations-
shstem durchgeführt, wonach den kleinern Orten alle Kunstwerke genommen



*) Vergleiche Wer ihn meinen soeben erschienenen Aussatz in der „Zeitschrift für
bildende Kunst."
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[0034] Line Wanderung durch Schwaben, einen unliebenswürdigen Eindruck. Weit höher steht der alte Holbein, der auch hier in der Farbengebung wieder bedeutendes leistet, während Hans Vurgkmair, ein leider noch lange nicht genug gewürdigter Meister,*) uns schon wehr in die neuere Zeit hinüberführt. Bereits in diesen Bildern, die er im Alter von 28 bis 31 Jahren gemalt hat, zeigt er sich als einen durchaus selbständigen Meister. Die Petersbasilika ist zwar noch nicht geschlossen genug und steht gleichzeitigen Nürnberger Arbeiten nach, aber es finden sich doch schon vor¬ treffliche Einzelheiten. Die Landschaft auf der obern Abteilung (Christus am Ölberge) ist bei weitem schöner als alles, was die fränkische Schule in jener Zeit geschaffen hat. Bei den Männern ist edle Gesichtsbildung, beiden Frauen Feinheit und Würde angestrebt. Die Hände sind zwar mager und spitz, aber gut modellirt, die Farbenzusammenstellung ist von großem Reiz. In der Basilika San Giovanni finden wir sonderbarerweise die Köpfe härter und die Färbung schwerer, während die Basilika Santa Croce wieder als vortrefflich gelten kann. Da haben wir auf dem Mittelbilde die wunderbare Gestalt der zum Kreuze emporschaucnden Maria, die treffliche Figur des frommen Hauptmanns, die lebendig bewegten Gruppen der Pilger, dazu auf den Flügelbildern den Gegensatz der gottergebenen Demut der Jungfrauen zu der rohen Wildheit der Heiden. Die Fleischtöne sind auf alle» Bildern streng der Natur entsprechend durchgeführt. Wir lernen einen Künstler kennen, der nur von Dürer und dem jungen Holbein übertroffen wird. Und welche gewaltige Entwicklung hat er in seiner spätern Zeit durchgemacht! Aus dem Jahre 1507 stammt das Bild „Christus und Maria auf dem Throne sitzend," eins der frühesten deutschen Werke, worin der Geist der Renaissance vollständig zum Durchbruch kommt. Im Jahre 1519 entsteht der herrliche Flügelaltar, der im Mittelbild Christus am Kreuze mit Johannes, Maria und Magdalena, auf den Jnnenflügeln die beiden Schächer, auf den Außenseiten die beiden Heiligen Georg und Heinrich den Zweiten in einer luftigen Säulenhalle vorführt und namentlich wegen der feierlich ruhigen Anordnung der Landschaft bemerkenswert ist. Gleich daneben hängt ein Bild ans Burgkmairs letzter Zeil, die Schlacht von Cannä, die er zwei Jahre vor seinem Tode malte, eine trotz des schweren Kolorits noch äußerst geistreiche Komposition. Es ist sonderbar, wie ungerecht die Geschichtschreibung zuweilen verfährt. Während Dürer und Holbein zu wiederholten malen vor¬ trefflich bearbeitet worden sind, harrt Hans Bnrgkmair, der beiden als der dritte im Bunde würdig zur Seite steht, noch immer seines Biographen. Noch in vielen andern kleinen Städten Schwabens sind alte Bilder vor¬ handen. Man hat in Schwaben glücklicherweise noch nicht jenes Zentralisations- shstem durchgeführt, wonach den kleinern Orten alle Kunstwerke genommen *) Vergleiche Wer ihn meinen soeben erschienenen Aussatz in der „Zeitschrift für bildende Kunst."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/34>, abgerufen am 15.05.2024.