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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Line Wanderung dnrch Schwaben.

Werden, um im Museum der Hauptstadt ihren Platz zu finden. Die kleinsten
Orte, Bopfingen, Dinkelsbühl und wie sie alle heißen, haben ihre Kunstschätze
behalten, der Wandrer kann kaum ein Dorf betreten, wo sich nicht in der Kirche
ein gutes Bild oder ein zierlich geschnitzter Hochaltar vorfände. Und jeder, der
Italien bereist hat, weiß, welchen eigentümlichen Reiz das hat, und wie ganz
anders ein Kunstwerk um Ort und Stelle wirkt, wo es aus feiner Umgebung
heraus zu uns spricht, als im Museum, wo es von der Masse des Dargebotenen
erdrückt wird. Freilich ist die sorgfältige Überwachung der an dielen kleinen
Orten zerstreuten Kunstwerke schwer, und es ist nicht zu leugnen, daß manches
Werk besser erhalten sein würde, wenn man es rechtzeitig in eine Galerie über¬
tragen hätte. Das gilt in erster Linie von dem Hochaltar in Blaubeuren.
Lauge Zeit standen die Klosterräumlichkeiten offen, ohne Aufsicht, verwahrlost
und preisgegeben nicht allein den Unbilden der Witterung, sondern mehr noch
der Rohheit der Menschen. Auf Schritt und Tritt begegnet man ihren Spuren.
Kein einziger Kopf in dem geschnitzten Chorgestühl ist unversehrt geblieben, und
selbst in die Statuen des innern Hochaltars ist eine Reihe von Namen einge¬
schnitten. Das meiste davon ist allerdings schon alt. Schon vor hundertundsechzig
Jahren mußte einmal eine Verordnung erlassen werden, die sich hauptsächlich
auf die Klosterzöglinge bezog: "Weil der schöne Altar und die Klosters Chor¬
stücke mit Namen Einschneiden und sonst sehr verwüstet und ruinirt worden;
so hat eine hochfürstliche Klostervisitation 12. Dec. 1720 und 13. Jan. 1721
deswegen einen ernstlichen Receß gestellt, des Inhalts, daß welcher Alumnns
solchen Altar ferner also verunehren würde, derselbe xrima, vios mit der xoeim
oMöris x"zr triäuum angesehen, ssounclg. vios aber gar rejicirt werden solle."
Aber noch lange nachher wurde in Blaubeuren barbarisch gewüstet, und erst in
allerneuester Zeit hat man sich des Klosters und der darin befindlichen Kunst¬
schätze wieder erbarmt. Ähnlich wie in Blaubeuren war es an manchen andern
Orten. Es giebt überhaupt in Schwaben noch viel zu thun. Man sollte ernst¬
lich daran gehen, die zahllosen übermalten oder übertünchten Fresken in den
Kirchen und Klöstern wieder bloßzulegen; ich nenne nur einen im östlichen
Kreuzgange des Klosters von Blaubeuren befindlichen, aus acht Bildern be¬
stehenden Freskenchklus, welcher das Martyrium der heiligen Eulalia schildert.
Alles, was man davon sehen kann, ist von großer Vollendung und erinnert
lebhaft an Zeitblom, aber die darüber gestrichene Tünche läßt kein festes Urteil
zu. Andre noch übertünchte Fresken befinden sich im Ulmer Münster. Zu be¬
achten sind ferner hauptsächlich die Rückseiten der Altäre, die fast sämtlich mit
abscheulichen Zopfbildern übermalt sind, unter denen sich die alten Werke der
Herlin, Zeitblom u. a. verbergen, die wohl wert wären, wieder aus ihrem
Dunkel hervorgezogen zu werden. Was man sich ferner angelegen lassen sein
sollte, ist die Herstellung von Katalogen. Die Sammlung von Nördlingen ent¬
hält z. B. gegen fünfzig Bilder, und es wäre gewiß verdienstlich, wenn bald


Line Wanderung dnrch Schwaben.

Werden, um im Museum der Hauptstadt ihren Platz zu finden. Die kleinsten
Orte, Bopfingen, Dinkelsbühl und wie sie alle heißen, haben ihre Kunstschätze
behalten, der Wandrer kann kaum ein Dorf betreten, wo sich nicht in der Kirche
ein gutes Bild oder ein zierlich geschnitzter Hochaltar vorfände. Und jeder, der
Italien bereist hat, weiß, welchen eigentümlichen Reiz das hat, und wie ganz
anders ein Kunstwerk um Ort und Stelle wirkt, wo es aus feiner Umgebung
heraus zu uns spricht, als im Museum, wo es von der Masse des Dargebotenen
erdrückt wird. Freilich ist die sorgfältige Überwachung der an dielen kleinen
Orten zerstreuten Kunstwerke schwer, und es ist nicht zu leugnen, daß manches
Werk besser erhalten sein würde, wenn man es rechtzeitig in eine Galerie über¬
tragen hätte. Das gilt in erster Linie von dem Hochaltar in Blaubeuren.
Lauge Zeit standen die Klosterräumlichkeiten offen, ohne Aufsicht, verwahrlost
und preisgegeben nicht allein den Unbilden der Witterung, sondern mehr noch
der Rohheit der Menschen. Auf Schritt und Tritt begegnet man ihren Spuren.
Kein einziger Kopf in dem geschnitzten Chorgestühl ist unversehrt geblieben, und
selbst in die Statuen des innern Hochaltars ist eine Reihe von Namen einge¬
schnitten. Das meiste davon ist allerdings schon alt. Schon vor hundertundsechzig
Jahren mußte einmal eine Verordnung erlassen werden, die sich hauptsächlich
auf die Klosterzöglinge bezog: „Weil der schöne Altar und die Klosters Chor¬
stücke mit Namen Einschneiden und sonst sehr verwüstet und ruinirt worden;
so hat eine hochfürstliche Klostervisitation 12. Dec. 1720 und 13. Jan. 1721
deswegen einen ernstlichen Receß gestellt, des Inhalts, daß welcher Alumnns
solchen Altar ferner also verunehren würde, derselbe xrima, vios mit der xoeim
oMöris x«zr triäuum angesehen, ssounclg. vios aber gar rejicirt werden solle."
Aber noch lange nachher wurde in Blaubeuren barbarisch gewüstet, und erst in
allerneuester Zeit hat man sich des Klosters und der darin befindlichen Kunst¬
schätze wieder erbarmt. Ähnlich wie in Blaubeuren war es an manchen andern
Orten. Es giebt überhaupt in Schwaben noch viel zu thun. Man sollte ernst¬
lich daran gehen, die zahllosen übermalten oder übertünchten Fresken in den
Kirchen und Klöstern wieder bloßzulegen; ich nenne nur einen im östlichen
Kreuzgange des Klosters von Blaubeuren befindlichen, aus acht Bildern be¬
stehenden Freskenchklus, welcher das Martyrium der heiligen Eulalia schildert.
Alles, was man davon sehen kann, ist von großer Vollendung und erinnert
lebhaft an Zeitblom, aber die darüber gestrichene Tünche läßt kein festes Urteil
zu. Andre noch übertünchte Fresken befinden sich im Ulmer Münster. Zu be¬
achten sind ferner hauptsächlich die Rückseiten der Altäre, die fast sämtlich mit
abscheulichen Zopfbildern übermalt sind, unter denen sich die alten Werke der
Herlin, Zeitblom u. a. verbergen, die wohl wert wären, wieder aus ihrem
Dunkel hervorgezogen zu werden. Was man sich ferner angelegen lassen sein
sollte, ist die Herstellung von Katalogen. Die Sammlung von Nördlingen ent¬
hält z. B. gegen fünfzig Bilder, und es wäre gewiß verdienstlich, wenn bald


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[0035] Line Wanderung dnrch Schwaben. Werden, um im Museum der Hauptstadt ihren Platz zu finden. Die kleinsten Orte, Bopfingen, Dinkelsbühl und wie sie alle heißen, haben ihre Kunstschätze behalten, der Wandrer kann kaum ein Dorf betreten, wo sich nicht in der Kirche ein gutes Bild oder ein zierlich geschnitzter Hochaltar vorfände. Und jeder, der Italien bereist hat, weiß, welchen eigentümlichen Reiz das hat, und wie ganz anders ein Kunstwerk um Ort und Stelle wirkt, wo es aus feiner Umgebung heraus zu uns spricht, als im Museum, wo es von der Masse des Dargebotenen erdrückt wird. Freilich ist die sorgfältige Überwachung der an dielen kleinen Orten zerstreuten Kunstwerke schwer, und es ist nicht zu leugnen, daß manches Werk besser erhalten sein würde, wenn man es rechtzeitig in eine Galerie über¬ tragen hätte. Das gilt in erster Linie von dem Hochaltar in Blaubeuren. Lauge Zeit standen die Klosterräumlichkeiten offen, ohne Aufsicht, verwahrlost und preisgegeben nicht allein den Unbilden der Witterung, sondern mehr noch der Rohheit der Menschen. Auf Schritt und Tritt begegnet man ihren Spuren. Kein einziger Kopf in dem geschnitzten Chorgestühl ist unversehrt geblieben, und selbst in die Statuen des innern Hochaltars ist eine Reihe von Namen einge¬ schnitten. Das meiste davon ist allerdings schon alt. Schon vor hundertundsechzig Jahren mußte einmal eine Verordnung erlassen werden, die sich hauptsächlich auf die Klosterzöglinge bezog: „Weil der schöne Altar und die Klosters Chor¬ stücke mit Namen Einschneiden und sonst sehr verwüstet und ruinirt worden; so hat eine hochfürstliche Klostervisitation 12. Dec. 1720 und 13. Jan. 1721 deswegen einen ernstlichen Receß gestellt, des Inhalts, daß welcher Alumnns solchen Altar ferner also verunehren würde, derselbe xrima, vios mit der xoeim oMöris x«zr triäuum angesehen, ssounclg. vios aber gar rejicirt werden solle." Aber noch lange nachher wurde in Blaubeuren barbarisch gewüstet, und erst in allerneuester Zeit hat man sich des Klosters und der darin befindlichen Kunst¬ schätze wieder erbarmt. Ähnlich wie in Blaubeuren war es an manchen andern Orten. Es giebt überhaupt in Schwaben noch viel zu thun. Man sollte ernst¬ lich daran gehen, die zahllosen übermalten oder übertünchten Fresken in den Kirchen und Klöstern wieder bloßzulegen; ich nenne nur einen im östlichen Kreuzgange des Klosters von Blaubeuren befindlichen, aus acht Bildern be¬ stehenden Freskenchklus, welcher das Martyrium der heiligen Eulalia schildert. Alles, was man davon sehen kann, ist von großer Vollendung und erinnert lebhaft an Zeitblom, aber die darüber gestrichene Tünche läßt kein festes Urteil zu. Andre noch übertünchte Fresken befinden sich im Ulmer Münster. Zu be¬ achten sind ferner hauptsächlich die Rückseiten der Altäre, die fast sämtlich mit abscheulichen Zopfbildern übermalt sind, unter denen sich die alten Werke der Herlin, Zeitblom u. a. verbergen, die wohl wert wären, wieder aus ihrem Dunkel hervorgezogen zu werden. Was man sich ferner angelegen lassen sein sollte, ist die Herstellung von Katalogen. Die Sammlung von Nördlingen ent¬ hält z. B. gegen fünfzig Bilder, und es wäre gewiß verdienstlich, wenn bald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/35>, abgerufen am 22.05.2024.