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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Musikalische Genüsse.

Das erste Konzert, eine Kammermusikunterhaltung, eröffnete Liszts Sonate
in einem Satze, von A. Friedheim ans Wien mit allen dem Meister abgelauschten
pianistischen Finessen und mit anerkennnngswerter Ansdauer gespielt. Daß dieses
endlose Stück aber nur aus "einem Satze" besteht, ist eben sein Verhängnis. Es
nimmt eine Zeit in Anspruch, in der man zwei genußreiche, dreisätzige Sonaten
von Beethoven recht wohl hätte zu Ende führen können. Allen Respekt vor dem
verehrten Meister, aber es war ein großer, wenn auch für die ganze Vereins-
richtnug bezeichnender Mißgriff der Programmentwerfer, gerade dieses ver¬
worrene, zusammenhanglose, für den Hörer unsäglich abspannende Klavierwerk, in
welchem das Ohr vergebens nach einer melodischen Oase lechzt, an die Spitze
der Aufführungen zu stellen. Man war, als es überstanden war, kaum noch
genußfühig.

Ich wage hier einen Vorschlag zur Güte, obwohl ich selbst kaum je wieder
einem ähnlichen Feste beiwohnen werde. Wie wäre es, wenn man diejenigen
Tonstücke, für welche das ganze Publikum, d. h. auch der Verehrer Haydns,
Mozarts und Beethovens, sich zu begeistern vermag, in Zukunft immer an die
Spitze der Programme, diejenigen aber, an denen die exklusiven Musikfreunde,
wie sie sagen, Erhebung und Anregung finden, an den Schluß stellte? Dann
könnte ein Teil des Publikums rechtzeitig gehen, der andre kommen, wenn es
ihm beliebt. Allen wäre dadurch geholfen, und den Klagen über Länge und
Inhalt der Konzerte wäre die Spitze abgebrochen.

Ein ähnliches Umhertciumel" im harmonischen und rhythmischen Irrgarten
wie die Lisztsche Sonate zeigte die Cello-Sonate von E. Grieg. Auch hier
machte die Armut an Ideen, die Trockenheit und Reizlosigkeit der Motive, die
innere Zusammenhangslosigkeit, ein stetes Wollen und Nichtkönnen den nieder-
drückendsten Eindruck. Auf dieses Werk wirkte dann allerdings wie erfrischender
Regen nach langer Gewitterschwüle Klughardts ?-cor-Quartett. Wäre man
nUr noch fähig gewesen, es ganz in sich aufzunehmen! Die namentlich in ihren
beiden ersten Sätzen zündende, schön geformte und mit künstlerischer Freiheit
sich entwickelnde Komposition, von den Herren A. Brodsky, O. Nov-Ieek, H. Sitt
und L. Grützmacher vorzüglich vorgetragen, darf, wenn auch die beiden letzten
Sätze zu episodisch zerfallen, als ein sehr gelungenes Werk bezeichnet werden.

Beethoven hat in seinen letzten Quartetten ein Beispiel gegeben, das, wie
mir scheint, uicht gerade nachahmenswert ist, aber leider (da man sich am
liebsten die Schwächen großer Vorbilder zum Muster nimmt) in unsrer Zeit
häufig nachgeahmt wird. Wie der letzte Satz der Griegschen Sonate, so zerfällt
auch der des Klughcirdtscheu Quartetts in viele kleine Gruppen, zwischen denen
der Hörer nur mühsam die feinen Verbindungslinien erkennt. Das Verständnis
wird dadurch bei einem rasch dahin eilenden Tonsätze in hohem Grade erschwert.
Ein letzter Satz sollte in frischer Bewegung dem Schlüsse zusteuern, keine Rätsel
mehr zu lösen geben und den hingerissenen und enthustasmirtcn Hörer befriedigt


Grenzboten III. 1884. ü
Musikalische Genüsse.

Das erste Konzert, eine Kammermusikunterhaltung, eröffnete Liszts Sonate
in einem Satze, von A. Friedheim ans Wien mit allen dem Meister abgelauschten
pianistischen Finessen und mit anerkennnngswerter Ansdauer gespielt. Daß dieses
endlose Stück aber nur aus „einem Satze" besteht, ist eben sein Verhängnis. Es
nimmt eine Zeit in Anspruch, in der man zwei genußreiche, dreisätzige Sonaten
von Beethoven recht wohl hätte zu Ende führen können. Allen Respekt vor dem
verehrten Meister, aber es war ein großer, wenn auch für die ganze Vereins-
richtnug bezeichnender Mißgriff der Programmentwerfer, gerade dieses ver¬
worrene, zusammenhanglose, für den Hörer unsäglich abspannende Klavierwerk, in
welchem das Ohr vergebens nach einer melodischen Oase lechzt, an die Spitze
der Aufführungen zu stellen. Man war, als es überstanden war, kaum noch
genußfühig.

Ich wage hier einen Vorschlag zur Güte, obwohl ich selbst kaum je wieder
einem ähnlichen Feste beiwohnen werde. Wie wäre es, wenn man diejenigen
Tonstücke, für welche das ganze Publikum, d. h. auch der Verehrer Haydns,
Mozarts und Beethovens, sich zu begeistern vermag, in Zukunft immer an die
Spitze der Programme, diejenigen aber, an denen die exklusiven Musikfreunde,
wie sie sagen, Erhebung und Anregung finden, an den Schluß stellte? Dann
könnte ein Teil des Publikums rechtzeitig gehen, der andre kommen, wenn es
ihm beliebt. Allen wäre dadurch geholfen, und den Klagen über Länge und
Inhalt der Konzerte wäre die Spitze abgebrochen.

Ein ähnliches Umhertciumel» im harmonischen und rhythmischen Irrgarten
wie die Lisztsche Sonate zeigte die Cello-Sonate von E. Grieg. Auch hier
machte die Armut an Ideen, die Trockenheit und Reizlosigkeit der Motive, die
innere Zusammenhangslosigkeit, ein stetes Wollen und Nichtkönnen den nieder-
drückendsten Eindruck. Auf dieses Werk wirkte dann allerdings wie erfrischender
Regen nach langer Gewitterschwüle Klughardts ?-cor-Quartett. Wäre man
nUr noch fähig gewesen, es ganz in sich aufzunehmen! Die namentlich in ihren
beiden ersten Sätzen zündende, schön geformte und mit künstlerischer Freiheit
sich entwickelnde Komposition, von den Herren A. Brodsky, O. Nov-Ieek, H. Sitt
und L. Grützmacher vorzüglich vorgetragen, darf, wenn auch die beiden letzten
Sätze zu episodisch zerfallen, als ein sehr gelungenes Werk bezeichnet werden.

Beethoven hat in seinen letzten Quartetten ein Beispiel gegeben, das, wie
mir scheint, uicht gerade nachahmenswert ist, aber leider (da man sich am
liebsten die Schwächen großer Vorbilder zum Muster nimmt) in unsrer Zeit
häufig nachgeahmt wird. Wie der letzte Satz der Griegschen Sonate, so zerfällt
auch der des Klughcirdtscheu Quartetts in viele kleine Gruppen, zwischen denen
der Hörer nur mühsam die feinen Verbindungslinien erkennt. Das Verständnis
wird dadurch bei einem rasch dahin eilenden Tonsätze in hohem Grade erschwert.
Ein letzter Satz sollte in frischer Bewegung dem Schlüsse zusteuern, keine Rätsel
mehr zu lösen geben und den hingerissenen und enthustasmirtcn Hörer befriedigt


Grenzboten III. 1884. ü
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[0041] Musikalische Genüsse. Das erste Konzert, eine Kammermusikunterhaltung, eröffnete Liszts Sonate in einem Satze, von A. Friedheim ans Wien mit allen dem Meister abgelauschten pianistischen Finessen und mit anerkennnngswerter Ansdauer gespielt. Daß dieses endlose Stück aber nur aus „einem Satze" besteht, ist eben sein Verhängnis. Es nimmt eine Zeit in Anspruch, in der man zwei genußreiche, dreisätzige Sonaten von Beethoven recht wohl hätte zu Ende führen können. Allen Respekt vor dem verehrten Meister, aber es war ein großer, wenn auch für die ganze Vereins- richtnug bezeichnender Mißgriff der Programmentwerfer, gerade dieses ver¬ worrene, zusammenhanglose, für den Hörer unsäglich abspannende Klavierwerk, in welchem das Ohr vergebens nach einer melodischen Oase lechzt, an die Spitze der Aufführungen zu stellen. Man war, als es überstanden war, kaum noch genußfühig. Ich wage hier einen Vorschlag zur Güte, obwohl ich selbst kaum je wieder einem ähnlichen Feste beiwohnen werde. Wie wäre es, wenn man diejenigen Tonstücke, für welche das ganze Publikum, d. h. auch der Verehrer Haydns, Mozarts und Beethovens, sich zu begeistern vermag, in Zukunft immer an die Spitze der Programme, diejenigen aber, an denen die exklusiven Musikfreunde, wie sie sagen, Erhebung und Anregung finden, an den Schluß stellte? Dann könnte ein Teil des Publikums rechtzeitig gehen, der andre kommen, wenn es ihm beliebt. Allen wäre dadurch geholfen, und den Klagen über Länge und Inhalt der Konzerte wäre die Spitze abgebrochen. Ein ähnliches Umhertciumel» im harmonischen und rhythmischen Irrgarten wie die Lisztsche Sonate zeigte die Cello-Sonate von E. Grieg. Auch hier machte die Armut an Ideen, die Trockenheit und Reizlosigkeit der Motive, die innere Zusammenhangslosigkeit, ein stetes Wollen und Nichtkönnen den nieder- drückendsten Eindruck. Auf dieses Werk wirkte dann allerdings wie erfrischender Regen nach langer Gewitterschwüle Klughardts ?-cor-Quartett. Wäre man nUr noch fähig gewesen, es ganz in sich aufzunehmen! Die namentlich in ihren beiden ersten Sätzen zündende, schön geformte und mit künstlerischer Freiheit sich entwickelnde Komposition, von den Herren A. Brodsky, O. Nov-Ieek, H. Sitt und L. Grützmacher vorzüglich vorgetragen, darf, wenn auch die beiden letzten Sätze zu episodisch zerfallen, als ein sehr gelungenes Werk bezeichnet werden. Beethoven hat in seinen letzten Quartetten ein Beispiel gegeben, das, wie mir scheint, uicht gerade nachahmenswert ist, aber leider (da man sich am liebsten die Schwächen großer Vorbilder zum Muster nimmt) in unsrer Zeit häufig nachgeahmt wird. Wie der letzte Satz der Griegschen Sonate, so zerfällt auch der des Klughcirdtscheu Quartetts in viele kleine Gruppen, zwischen denen der Hörer nur mühsam die feinen Verbindungslinien erkennt. Das Verständnis wird dadurch bei einem rasch dahin eilenden Tonsätze in hohem Grade erschwert. Ein letzter Satz sollte in frischer Bewegung dem Schlüsse zusteuern, keine Rätsel mehr zu lösen geben und den hingerissenen und enthustasmirtcn Hörer befriedigt Grenzboten III. 1884. ü

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/41>, abgerufen am 15.05.2024.