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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

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von einem unberühmter Helden.

nur gehen." Ist es nicht, als ob in dieser persönlichen Antipathie sich der
Gegensatz zweier Zeitalter kundgäbe? Was Gentz einmal an Johannes Müller
als Verrat und Ketzerei gebrandmarkt hat, des "sich Andenkens" machte er sich
nun selbst schuldig; er war nicht mehr der Manu, der die "Fragmente" ge¬
schrieben, und gestand es zu. Die orphische Duldsamkeit der Freundin mochte
es zufrieden sein und ihn wieder so nehmen, wie er war, Marwitz konnte
keinen Kompromiß mit der vornehmen Blasirtheit des Diplomaten eingehen, er
empfand vielleicht mit feinem Instinkt, daß. solange diese zu Regierern der Welt
berufen seien, sein Ideal von einem Staat und von einer Thätigkeit des Einzelnen
im Staate noch in weiter Ferne lag. Ob er nun mit frischer Hoffnung noch
einmal aufs Schlachtfeld eilte oder in dumpfer Resignation -- wer weiß es?
Nachdem er Prag verlassen, entschwindet er unsern Augen für immer. Kcunpf-
geuossen sahen nur, wie er im Getümmel des Treffens von Montmirail, am
12. Februar 1814, plötzlich nach der Stirne griff und dann vom Pferde sank.
Seine Leiche hat man nicht gefunden.

In der Nähe des Kurortes Baden bei Wien bilden die östlichen Anslüufer
des Wiener Waldes das liebliche Helenenthal. Links und rechts auf den ein¬
schließenden Bergen ragen gewaltige Burgruinen auf. Ersteigt man die Höhen,
so genießt man des entzückenden Ausblicks über die waldige Umgebung und die
Ebene. Ein freundlicher Weg führt von der Stadt dahin, an einer Mühle
vorbei und dann dem treibenden Wasser entlang. Hier wandelte Nadel in den
Tagen, wo aller Glanz des Kongresses sich da zusammengefunden hatte, um
sorgloser Muße zu genießen. Im Anschauen der herrlichen Natur gedachte
sie der vergangnen Zeiten, und die Gestalt des jungen, kaum geschiedncn Freundes
stieg vor ihr empor. Stille betete sie ihm nach: "Hnldrciche, milde, trostvollc
Natur, nimm ihn auf in deinen unendlichen Schoß, verwese ihm Menschenspur
aus dem geängstigten, mißbrauchten Herzen."

Droben aber in der märkischen Heimat verzeichnete der zurückkehrende
Neitergeneral in das "Haushund" das Ende des Bruders; er preist ihn glücklich,
daß er einen ehrlichen Soldatentod im Dienste sür König und Vaterland ge¬
funden.

Am Grabe Alexanders pflanzte so Friedrich August das alte Banner des
Geschlechtes auf. aber dem, den der Rasen deckte, hat doch etwas ganz andres
die Brust bewegt als die Traditionen der Vorfahren: in ihr schlugen stürmisch
die Wogen eines Zeitalters, das nach neuer Gestaltung rang.




Grenzboten II. 1384.28
von einem unberühmter Helden.

nur gehen." Ist es nicht, als ob in dieser persönlichen Antipathie sich der
Gegensatz zweier Zeitalter kundgäbe? Was Gentz einmal an Johannes Müller
als Verrat und Ketzerei gebrandmarkt hat, des „sich Andenkens" machte er sich
nun selbst schuldig; er war nicht mehr der Manu, der die „Fragmente" ge¬
schrieben, und gestand es zu. Die orphische Duldsamkeit der Freundin mochte
es zufrieden sein und ihn wieder so nehmen, wie er war, Marwitz konnte
keinen Kompromiß mit der vornehmen Blasirtheit des Diplomaten eingehen, er
empfand vielleicht mit feinem Instinkt, daß. solange diese zu Regierern der Welt
berufen seien, sein Ideal von einem Staat und von einer Thätigkeit des Einzelnen
im Staate noch in weiter Ferne lag. Ob er nun mit frischer Hoffnung noch
einmal aufs Schlachtfeld eilte oder in dumpfer Resignation — wer weiß es?
Nachdem er Prag verlassen, entschwindet er unsern Augen für immer. Kcunpf-
geuossen sahen nur, wie er im Getümmel des Treffens von Montmirail, am
12. Februar 1814, plötzlich nach der Stirne griff und dann vom Pferde sank.
Seine Leiche hat man nicht gefunden.

In der Nähe des Kurortes Baden bei Wien bilden die östlichen Anslüufer
des Wiener Waldes das liebliche Helenenthal. Links und rechts auf den ein¬
schließenden Bergen ragen gewaltige Burgruinen auf. Ersteigt man die Höhen,
so genießt man des entzückenden Ausblicks über die waldige Umgebung und die
Ebene. Ein freundlicher Weg führt von der Stadt dahin, an einer Mühle
vorbei und dann dem treibenden Wasser entlang. Hier wandelte Nadel in den
Tagen, wo aller Glanz des Kongresses sich da zusammengefunden hatte, um
sorgloser Muße zu genießen. Im Anschauen der herrlichen Natur gedachte
sie der vergangnen Zeiten, und die Gestalt des jungen, kaum geschiedncn Freundes
stieg vor ihr empor. Stille betete sie ihm nach: „Hnldrciche, milde, trostvollc
Natur, nimm ihn auf in deinen unendlichen Schoß, verwese ihm Menschenspur
aus dem geängstigten, mißbrauchten Herzen."

Droben aber in der märkischen Heimat verzeichnete der zurückkehrende
Neitergeneral in das „Haushund" das Ende des Bruders; er preist ihn glücklich,
daß er einen ehrlichen Soldatentod im Dienste sür König und Vaterland ge¬
funden.

Am Grabe Alexanders pflanzte so Friedrich August das alte Banner des
Geschlechtes auf. aber dem, den der Rasen deckte, hat doch etwas ganz andres
die Brust bewegt als die Traditionen der Vorfahren: in ihr schlugen stürmisch
die Wogen eines Zeitalters, das nach neuer Gestaltung rang.




Grenzboten II. 1384.28
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[0225] von einem unberühmter Helden. nur gehen." Ist es nicht, als ob in dieser persönlichen Antipathie sich der Gegensatz zweier Zeitalter kundgäbe? Was Gentz einmal an Johannes Müller als Verrat und Ketzerei gebrandmarkt hat, des „sich Andenkens" machte er sich nun selbst schuldig; er war nicht mehr der Manu, der die „Fragmente" ge¬ schrieben, und gestand es zu. Die orphische Duldsamkeit der Freundin mochte es zufrieden sein und ihn wieder so nehmen, wie er war, Marwitz konnte keinen Kompromiß mit der vornehmen Blasirtheit des Diplomaten eingehen, er empfand vielleicht mit feinem Instinkt, daß. solange diese zu Regierern der Welt berufen seien, sein Ideal von einem Staat und von einer Thätigkeit des Einzelnen im Staate noch in weiter Ferne lag. Ob er nun mit frischer Hoffnung noch einmal aufs Schlachtfeld eilte oder in dumpfer Resignation — wer weiß es? Nachdem er Prag verlassen, entschwindet er unsern Augen für immer. Kcunpf- geuossen sahen nur, wie er im Getümmel des Treffens von Montmirail, am 12. Februar 1814, plötzlich nach der Stirne griff und dann vom Pferde sank. Seine Leiche hat man nicht gefunden. In der Nähe des Kurortes Baden bei Wien bilden die östlichen Anslüufer des Wiener Waldes das liebliche Helenenthal. Links und rechts auf den ein¬ schließenden Bergen ragen gewaltige Burgruinen auf. Ersteigt man die Höhen, so genießt man des entzückenden Ausblicks über die waldige Umgebung und die Ebene. Ein freundlicher Weg führt von der Stadt dahin, an einer Mühle vorbei und dann dem treibenden Wasser entlang. Hier wandelte Nadel in den Tagen, wo aller Glanz des Kongresses sich da zusammengefunden hatte, um sorgloser Muße zu genießen. Im Anschauen der herrlichen Natur gedachte sie der vergangnen Zeiten, und die Gestalt des jungen, kaum geschiedncn Freundes stieg vor ihr empor. Stille betete sie ihm nach: „Hnldrciche, milde, trostvollc Natur, nimm ihn auf in deinen unendlichen Schoß, verwese ihm Menschenspur aus dem geängstigten, mißbrauchten Herzen." Droben aber in der märkischen Heimat verzeichnete der zurückkehrende Neitergeneral in das „Haushund" das Ende des Bruders; er preist ihn glücklich, daß er einen ehrlichen Soldatentod im Dienste sür König und Vaterland ge¬ funden. Am Grabe Alexanders pflanzte so Friedrich August das alte Banner des Geschlechtes auf. aber dem, den der Rasen deckte, hat doch etwas ganz andres die Brust bewegt als die Traditionen der Vorfahren: in ihr schlugen stürmisch die Wogen eines Zeitalters, das nach neuer Gestaltung rang. Grenzboten II. 1384.28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/225>, abgerufen am 18.05.2024.