Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.Das wiederaufgefundene Werk Immanuel Kants. hilosophischc Streitfragen werde" im allgemeinen gewiß am Indessen stellte sich bald heraus, daß es außer dem ganz gewöhnlichen Der Streit der Auffassungen dreht sich im wesentlichen um die Frage, Das wiederaufgefundene Werk Immanuel Kants. hilosophischc Streitfragen werde» im allgemeinen gewiß am Indessen stellte sich bald heraus, daß es außer dem ganz gewöhnlichen Der Streit der Auffassungen dreht sich im wesentlichen um die Frage, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155807"/> </div> <div n="1"> <head> Das wiederaufgefundene Werk Immanuel Kants.</head><lb/> <p xml:id="ID_848"> hilosophischc Streitfragen werde» im allgemeinen gewiß am<lb/> besten den Fachzeitschriften überlassen; aber wenn es sich, wie in<lb/> unserm Falle, um die Berechtigung der Philosophie überhaupt<lb/> und ihre Bedeutung für alle andern Wissenschaften, sowie um<lb/> eine historische Würdigung der deutschen Philosophie unsers Jahr¬<lb/> hunderts handelt, so dürfte doch vielleicht ein größerer Kreis von Lesern sich<lb/> für die Frage interessiren. Im Jahre 1876 gab Albrecht Krause ein Buch<lb/> heraus, welches — die Frucht vieljähriger fleißiger Arbeit — zum erstenmal<lb/> zeigte, wie man die Kantische Erkenntnislehre, die Kant selbst mir auf Natur¬<lb/> erscheinungen angewandt hatte, in weiterer Fortbildung verwerten könne für die<lb/> Erklärung der Thatsachen des menschlichen Gefühls. Krause hatte damit ange¬<lb/> fangen, der exakten Forschung ein Gebiet zu unterwerfen, welches bis dahin<lb/> jeder exakten wissenschaftlichen Methode Widerstand geboten hatte. Krauses<lb/> Werk wurde nun zwar in der Presse nicht geradezu totgeschwiegen, aber es<lb/> begegnete doch, besonders in den fachmännischer Kreisen auf den deutschen Uni¬<lb/> versitäten, der vollendetsten Ablehnung, um nicht zu sagen geradezu feindseliger<lb/> Stimmung; Kuno Fischer sagte, daß es „kein besseres Schicksal haben konnte<lb/> als die Vergessenheit, die es in der Stille begrub."</p><lb/> <p xml:id="ID_849"> Indessen stellte sich bald heraus, daß es außer dem ganz gewöhnlichen<lb/> Zunftneid doch noch ein andrer wesentlicher Grund war, der das Verständnis<lb/> des Buches erschweren mußte: der Umstand nämlich, daß stillschweigend in dem<lb/> Buche die Voraussetzung gemacht war, daß Kants Erkenntnistheorie eine ganz<lb/> andre Bedeutung habe und ganz andre Ziele verfolge, als die gesamten deutschen<lb/> Philosophen unsers Jahrhunderts glaubten. Besonders war Krause der<lb/> Meinung, daß Kant sich in seinen Werken der Sache nach niemals selbst wider¬<lb/> sprochen habe, und alle Widersprüche, die man ihm von jeher vorgeworfen, nur<lb/> dem mangelhaften Verständnis der Ausleger entsprungen seien. Das war nun<lb/> freilich eine starke Zumutung, ein krasser Verstoß gegen altehrwürdige Über¬<lb/> lieferungen, sodaß man sich eigentlich nicht so sehr wundern konnte, wenn die<lb/> Gelehrten das Buch für unreif und konfus hielten, denn sie konnten es in der<lb/> That wegen des Bannes der historischen Überlieferung, in dem sie sich befanden,<lb/> nicht verstehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_850" next="#ID_851"> Der Streit der Auffassungen dreht sich im wesentlichen um die Frage,<lb/> ob Kant gelehrt und bewiesen habe, daß wir die wirkliche Welt und das Dasein<lb/> wirklicher Dinge um uns erkennen können oder nicht. Die historische Ent-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0226]
Das wiederaufgefundene Werk Immanuel Kants.
hilosophischc Streitfragen werde» im allgemeinen gewiß am
besten den Fachzeitschriften überlassen; aber wenn es sich, wie in
unserm Falle, um die Berechtigung der Philosophie überhaupt
und ihre Bedeutung für alle andern Wissenschaften, sowie um
eine historische Würdigung der deutschen Philosophie unsers Jahr¬
hunderts handelt, so dürfte doch vielleicht ein größerer Kreis von Lesern sich
für die Frage interessiren. Im Jahre 1876 gab Albrecht Krause ein Buch
heraus, welches — die Frucht vieljähriger fleißiger Arbeit — zum erstenmal
zeigte, wie man die Kantische Erkenntnislehre, die Kant selbst mir auf Natur¬
erscheinungen angewandt hatte, in weiterer Fortbildung verwerten könne für die
Erklärung der Thatsachen des menschlichen Gefühls. Krause hatte damit ange¬
fangen, der exakten Forschung ein Gebiet zu unterwerfen, welches bis dahin
jeder exakten wissenschaftlichen Methode Widerstand geboten hatte. Krauses
Werk wurde nun zwar in der Presse nicht geradezu totgeschwiegen, aber es
begegnete doch, besonders in den fachmännischer Kreisen auf den deutschen Uni¬
versitäten, der vollendetsten Ablehnung, um nicht zu sagen geradezu feindseliger
Stimmung; Kuno Fischer sagte, daß es „kein besseres Schicksal haben konnte
als die Vergessenheit, die es in der Stille begrub."
Indessen stellte sich bald heraus, daß es außer dem ganz gewöhnlichen
Zunftneid doch noch ein andrer wesentlicher Grund war, der das Verständnis
des Buches erschweren mußte: der Umstand nämlich, daß stillschweigend in dem
Buche die Voraussetzung gemacht war, daß Kants Erkenntnistheorie eine ganz
andre Bedeutung habe und ganz andre Ziele verfolge, als die gesamten deutschen
Philosophen unsers Jahrhunderts glaubten. Besonders war Krause der
Meinung, daß Kant sich in seinen Werken der Sache nach niemals selbst wider¬
sprochen habe, und alle Widersprüche, die man ihm von jeher vorgeworfen, nur
dem mangelhaften Verständnis der Ausleger entsprungen seien. Das war nun
freilich eine starke Zumutung, ein krasser Verstoß gegen altehrwürdige Über¬
lieferungen, sodaß man sich eigentlich nicht so sehr wundern konnte, wenn die
Gelehrten das Buch für unreif und konfus hielten, denn sie konnten es in der
That wegen des Bannes der historischen Überlieferung, in dem sie sich befanden,
nicht verstehen.
Der Streit der Auffassungen dreht sich im wesentlichen um die Frage,
ob Kant gelehrt und bewiesen habe, daß wir die wirkliche Welt und das Dasein
wirklicher Dinge um uns erkennen können oder nicht. Die historische Ent-
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