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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

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Aus einer trüben Periode der deutschen Geschichte.

Egoismus die öffentliche Wohlfahrt zu gründe gehe. Janssen aber sieht die
Sache anders an: "Die ältern Humanisten faßten das klassische Altertum von
dem Standpunkte der absoluten Wahrheit des Christentums auf und stellten
dasselbe in den Dienst des Glaubens. Sie suchten in den Werken der Alten
die tiefreligiösen Grundgedanken, die Nachklänge der Uroffenbarung ans, waren
aber entschiedne Gegner und Vekämpfer heidnischer Weltanschauung und Lebens¬
richtung." Diese Auffassung erinnert an die Romantiker und Symboliker, an
Görres und Creuzer.

Von Erasmus von Rotterdam entwirft Janssen im zweiten Bande seines
Werkes ein sehr anschauliches, wenn auch in einzelnen Zügen verzerrtes
Porträt. Dieser gewandte, vielseitige Schriftsteller gilt ihm als Typus des
übermütigen eingebildeten Literatenbundes der "jüngern" Humanisten, die den
"Kultus des Genius" über Kirchenglauben und Gottesdienst stellten. Man
sieht nicht recht ein, warum der Verfasser, der doch den Cuscmus so hoch stellt,
seine ganze Galle auf das gefeierte Hnmanistenhanpt ausgießt und kein gutes
Haar an ihm läßt. Und doch lassen sich verwandte Züge leicht aufstellen. Cusanus
hielt zur Reformpartei, solange sie von der öffentlichen Meinung getragen war
und auf Triumphe hoffen konnte, und wandte sich dann, als ihr Stern dem
Niedergange zuneigte, der kurialem Sache zu. Und hat nicht auch Erasmus in
seinen spätern Jahren seine Feder dem Dienste der römisch-katholischen Partei
gewidmet und den flüchtigen Hütten, den alten Gesinnungsgenossen und Mit¬
streiter, von seiner Thüre in Basel gewiesen? In erregten tiefbewegten Zeiten
ist es keine seltene Erscheinung, daß ein Saulus zum Paulus wird. Bei
Cusanus vollzog sich diese Metamorphose vollständig: er war am Ende seines
Lebens ein eifriger Papist und Ultramontaner. Eine solche schroffe Umwandlung
hat sich Erasmus nicht zu Schulden kommen lassen. Er folgte nur dem
Beispiel, das weltkluge Leute in wechselvollen, stürmischen Zeitläuften schon ost
gegeben haben und stets geben werden. Er hatte die Saat streuen helfen,
wollte sich aber nicht an der Ernte beteiligen. Ein Martyrium zu ertragen ist
nicht jedermanns Sache. Schon die alten Stoiker beherzigten den Imperatoren
gegenüber den weisen Spruch: schicket euch in die Zeit. Sie priesen die
Großthat Catos, dienten aber doch den siegreichen Göttern.

Aber das "Lob der Narrheit" war doch ein zu starker Schlag gegen das
herrschende Kirchensystem. Darum wird Erasmus auch jetzt noch, trotz seiner
spätern Reue und Buße, von den Ultramontanen in die Hölle gestoßen. Ein
Buch muß aufs heftigste verdammt werden, in welcher die Narrheit, die
mächtige Göttin, die scholastischen Theologen, die Geistlichen und Mönche unter
die getreuesten Diener ihres weiten Reiches zählt, in welchem es von den
damaligen Ordensbrüdern heißt, sie hielten es für ein Zeichen der Frömmigkeit,
wenn sie die Unwissenheit bis zur Unkenntnis des Lebens trieben und glaubten,
wenn sie unverstandene Psalmen herbrüllten, die Ohren der Himmlischen zu


Aus einer trüben Periode der deutschen Geschichte.

Egoismus die öffentliche Wohlfahrt zu gründe gehe. Janssen aber sieht die
Sache anders an: „Die ältern Humanisten faßten das klassische Altertum von
dem Standpunkte der absoluten Wahrheit des Christentums auf und stellten
dasselbe in den Dienst des Glaubens. Sie suchten in den Werken der Alten
die tiefreligiösen Grundgedanken, die Nachklänge der Uroffenbarung ans, waren
aber entschiedne Gegner und Vekämpfer heidnischer Weltanschauung und Lebens¬
richtung." Diese Auffassung erinnert an die Romantiker und Symboliker, an
Görres und Creuzer.

Von Erasmus von Rotterdam entwirft Janssen im zweiten Bande seines
Werkes ein sehr anschauliches, wenn auch in einzelnen Zügen verzerrtes
Porträt. Dieser gewandte, vielseitige Schriftsteller gilt ihm als Typus des
übermütigen eingebildeten Literatenbundes der „jüngern" Humanisten, die den
„Kultus des Genius" über Kirchenglauben und Gottesdienst stellten. Man
sieht nicht recht ein, warum der Verfasser, der doch den Cuscmus so hoch stellt,
seine ganze Galle auf das gefeierte Hnmanistenhanpt ausgießt und kein gutes
Haar an ihm läßt. Und doch lassen sich verwandte Züge leicht aufstellen. Cusanus
hielt zur Reformpartei, solange sie von der öffentlichen Meinung getragen war
und auf Triumphe hoffen konnte, und wandte sich dann, als ihr Stern dem
Niedergange zuneigte, der kurialem Sache zu. Und hat nicht auch Erasmus in
seinen spätern Jahren seine Feder dem Dienste der römisch-katholischen Partei
gewidmet und den flüchtigen Hütten, den alten Gesinnungsgenossen und Mit¬
streiter, von seiner Thüre in Basel gewiesen? In erregten tiefbewegten Zeiten
ist es keine seltene Erscheinung, daß ein Saulus zum Paulus wird. Bei
Cusanus vollzog sich diese Metamorphose vollständig: er war am Ende seines
Lebens ein eifriger Papist und Ultramontaner. Eine solche schroffe Umwandlung
hat sich Erasmus nicht zu Schulden kommen lassen. Er folgte nur dem
Beispiel, das weltkluge Leute in wechselvollen, stürmischen Zeitläuften schon ost
gegeben haben und stets geben werden. Er hatte die Saat streuen helfen,
wollte sich aber nicht an der Ernte beteiligen. Ein Martyrium zu ertragen ist
nicht jedermanns Sache. Schon die alten Stoiker beherzigten den Imperatoren
gegenüber den weisen Spruch: schicket euch in die Zeit. Sie priesen die
Großthat Catos, dienten aber doch den siegreichen Göttern.

Aber das „Lob der Narrheit" war doch ein zu starker Schlag gegen das
herrschende Kirchensystem. Darum wird Erasmus auch jetzt noch, trotz seiner
spätern Reue und Buße, von den Ultramontanen in die Hölle gestoßen. Ein
Buch muß aufs heftigste verdammt werden, in welcher die Narrheit, die
mächtige Göttin, die scholastischen Theologen, die Geistlichen und Mönche unter
die getreuesten Diener ihres weiten Reiches zählt, in welchem es von den
damaligen Ordensbrüdern heißt, sie hielten es für ein Zeichen der Frömmigkeit,
wenn sie die Unwissenheit bis zur Unkenntnis des Lebens trieben und glaubten,
wenn sie unverstandene Psalmen herbrüllten, die Ohren der Himmlischen zu


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[0424] Aus einer trüben Periode der deutschen Geschichte. Egoismus die öffentliche Wohlfahrt zu gründe gehe. Janssen aber sieht die Sache anders an: „Die ältern Humanisten faßten das klassische Altertum von dem Standpunkte der absoluten Wahrheit des Christentums auf und stellten dasselbe in den Dienst des Glaubens. Sie suchten in den Werken der Alten die tiefreligiösen Grundgedanken, die Nachklänge der Uroffenbarung ans, waren aber entschiedne Gegner und Vekämpfer heidnischer Weltanschauung und Lebens¬ richtung." Diese Auffassung erinnert an die Romantiker und Symboliker, an Görres und Creuzer. Von Erasmus von Rotterdam entwirft Janssen im zweiten Bande seines Werkes ein sehr anschauliches, wenn auch in einzelnen Zügen verzerrtes Porträt. Dieser gewandte, vielseitige Schriftsteller gilt ihm als Typus des übermütigen eingebildeten Literatenbundes der „jüngern" Humanisten, die den „Kultus des Genius" über Kirchenglauben und Gottesdienst stellten. Man sieht nicht recht ein, warum der Verfasser, der doch den Cuscmus so hoch stellt, seine ganze Galle auf das gefeierte Hnmanistenhanpt ausgießt und kein gutes Haar an ihm läßt. Und doch lassen sich verwandte Züge leicht aufstellen. Cusanus hielt zur Reformpartei, solange sie von der öffentlichen Meinung getragen war und auf Triumphe hoffen konnte, und wandte sich dann, als ihr Stern dem Niedergange zuneigte, der kurialem Sache zu. Und hat nicht auch Erasmus in seinen spätern Jahren seine Feder dem Dienste der römisch-katholischen Partei gewidmet und den flüchtigen Hütten, den alten Gesinnungsgenossen und Mit¬ streiter, von seiner Thüre in Basel gewiesen? In erregten tiefbewegten Zeiten ist es keine seltene Erscheinung, daß ein Saulus zum Paulus wird. Bei Cusanus vollzog sich diese Metamorphose vollständig: er war am Ende seines Lebens ein eifriger Papist und Ultramontaner. Eine solche schroffe Umwandlung hat sich Erasmus nicht zu Schulden kommen lassen. Er folgte nur dem Beispiel, das weltkluge Leute in wechselvollen, stürmischen Zeitläuften schon ost gegeben haben und stets geben werden. Er hatte die Saat streuen helfen, wollte sich aber nicht an der Ernte beteiligen. Ein Martyrium zu ertragen ist nicht jedermanns Sache. Schon die alten Stoiker beherzigten den Imperatoren gegenüber den weisen Spruch: schicket euch in die Zeit. Sie priesen die Großthat Catos, dienten aber doch den siegreichen Göttern. Aber das „Lob der Narrheit" war doch ein zu starker Schlag gegen das herrschende Kirchensystem. Darum wird Erasmus auch jetzt noch, trotz seiner spätern Reue und Buße, von den Ultramontanen in die Hölle gestoßen. Ein Buch muß aufs heftigste verdammt werden, in welcher die Narrheit, die mächtige Göttin, die scholastischen Theologen, die Geistlichen und Mönche unter die getreuesten Diener ihres weiten Reiches zählt, in welchem es von den damaligen Ordensbrüdern heißt, sie hielten es für ein Zeichen der Frömmigkeit, wenn sie die Unwissenheit bis zur Unkenntnis des Lebens trieben und glaubten, wenn sie unverstandene Psalmen herbrüllten, die Ohren der Himmlischen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/424>, abgerufen am 10.06.2024.