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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Neu-Frankreich.

in Port-Breton ankam, waren von den ISO Kolonisten, die das erste Schiff
gebracht hatte, nur noch zwei Mann am Platze, die bald darauf auch starben.
Die übrigen 148 waren nämlich teils dem Elende oder verheerenden Krank¬
heiten erlegen, teils hatten sie sich nach den benachbarten Inseln zerstreut und
waren dort eine Beute der umsehe"fressenden Eingeborenen geworden, teils
war es ihnen unter großen Mühseligkeiten gelungen. Australien, nunca, die
Hauptstadt der französischen Insel Neukaledonien, oder Frankreich zu erreichen.
Das Schiff aber, welches diese ersten Kolonisten brachte, war sogleich nach
Ausschiffung derselben bei Nacht heimlich davongefahren, mit ihm der Gouver¬
neur der Kolonie und Stellvertreter des Generalunternehmers, der dann später
behauptet hat, er habe das gethan, um die Auswanderer wegen ihrer Insub¬
ordination zu bestrafen.

Das zweite Schiff, welches im März 1880 von Barcelona auslief, ward
unterwegs von einem großen Teile der Mannschaft und der Passagiere wegen
der Gewaltthätigkeiten des Kapitäns verlassen, sodaß dieser nach seiner Ankunft
in Port-Breton nichts thun konnte als neuen Nachschub aus Frankreich ab¬
warten. Diesen brachte bald das dritte Schiff, welches aber gleich dem ersten
die Station bald wieder verließ, unter dein Vorwande, sich neu verproviantiren
und mit dem Festlande Australiens nachbarliche Beziehungen anknüpfen zu
wollen. Von Sydney aus schickte der Kapitän das zweite Schiff nach Port-
Breton zurück, und dieses fand die Kolonie verödet. Abermals war etwa die
Hälfte der Kolonisten durch Krankheit verloren gegangen, und der Rest war zu
der Überzeugung gelangt, "daß sich in Port-Breton nichts machen lasse," wie
ein Mitglied der Kolonie erklärte, da alle Kultur in diesem Lande nichts fruchte.
So entschloß man sich, Port-Breton wieder zu verlassen und sich nach nunca
zu begeben; aber die stürmische Überfahrt auf dem Schiffe der zweiten Expe¬
dition kostete wieder elf Auswanderern das Leben.

Die vierte Expedition hatte zwar keine günstigeren Erfolge aufzuweisen
als die erste, denn auch diesmal kamen drei Vierteile der Auswanderer elend
um; aber sie hatte insofern segensreiche Folgen, als der Doktor Baudouin,
welcher die Expedition begleitete, nicht nur den Rest der Kolonisten mit Hilfe
des Kapitäns Henry aus dem mörderischen Klima von Port-Breton befreite,
indem er ihnen dazu verhalf, daß sie die Kolonie verlassen konnten, sondern auch
dadurch, daß er öffentlich die traurigen Verhältnisse aufdeckte und so weitere
Expeditionen unmöglich machte. Das Werk, in welchem Dr. Baudouin seine
Erlebnisse auf dieser vierten Expedition beschrieben hat, trägt den Titel "Das
Abenteuer von Port-Breton und die freie Kolonie genannt Neufrankreich"
(Verlag von Maurice Dreyfous) und giebt, auch durch seine Illustrationen,
einen interessanten Einblick in die wahren Verhältnisse der unglücklichen Kolonie,
die freilich von den pomphaften Verheißungen des Marquis de Raps himmel¬
weit verschieden sind.


Neu-Frankreich.

in Port-Breton ankam, waren von den ISO Kolonisten, die das erste Schiff
gebracht hatte, nur noch zwei Mann am Platze, die bald darauf auch starben.
Die übrigen 148 waren nämlich teils dem Elende oder verheerenden Krank¬
heiten erlegen, teils hatten sie sich nach den benachbarten Inseln zerstreut und
waren dort eine Beute der umsehe»fressenden Eingeborenen geworden, teils
war es ihnen unter großen Mühseligkeiten gelungen. Australien, nunca, die
Hauptstadt der französischen Insel Neukaledonien, oder Frankreich zu erreichen.
Das Schiff aber, welches diese ersten Kolonisten brachte, war sogleich nach
Ausschiffung derselben bei Nacht heimlich davongefahren, mit ihm der Gouver¬
neur der Kolonie und Stellvertreter des Generalunternehmers, der dann später
behauptet hat, er habe das gethan, um die Auswanderer wegen ihrer Insub¬
ordination zu bestrafen.

Das zweite Schiff, welches im März 1880 von Barcelona auslief, ward
unterwegs von einem großen Teile der Mannschaft und der Passagiere wegen
der Gewaltthätigkeiten des Kapitäns verlassen, sodaß dieser nach seiner Ankunft
in Port-Breton nichts thun konnte als neuen Nachschub aus Frankreich ab¬
warten. Diesen brachte bald das dritte Schiff, welches aber gleich dem ersten
die Station bald wieder verließ, unter dein Vorwande, sich neu verproviantiren
und mit dem Festlande Australiens nachbarliche Beziehungen anknüpfen zu
wollen. Von Sydney aus schickte der Kapitän das zweite Schiff nach Port-
Breton zurück, und dieses fand die Kolonie verödet. Abermals war etwa die
Hälfte der Kolonisten durch Krankheit verloren gegangen, und der Rest war zu
der Überzeugung gelangt, „daß sich in Port-Breton nichts machen lasse," wie
ein Mitglied der Kolonie erklärte, da alle Kultur in diesem Lande nichts fruchte.
So entschloß man sich, Port-Breton wieder zu verlassen und sich nach nunca
zu begeben; aber die stürmische Überfahrt auf dem Schiffe der zweiten Expe¬
dition kostete wieder elf Auswanderern das Leben.

Die vierte Expedition hatte zwar keine günstigeren Erfolge aufzuweisen
als die erste, denn auch diesmal kamen drei Vierteile der Auswanderer elend
um; aber sie hatte insofern segensreiche Folgen, als der Doktor Baudouin,
welcher die Expedition begleitete, nicht nur den Rest der Kolonisten mit Hilfe
des Kapitäns Henry aus dem mörderischen Klima von Port-Breton befreite,
indem er ihnen dazu verhalf, daß sie die Kolonie verlassen konnten, sondern auch
dadurch, daß er öffentlich die traurigen Verhältnisse aufdeckte und so weitere
Expeditionen unmöglich machte. Das Werk, in welchem Dr. Baudouin seine
Erlebnisse auf dieser vierten Expedition beschrieben hat, trägt den Titel „Das
Abenteuer von Port-Breton und die freie Kolonie genannt Neufrankreich"
(Verlag von Maurice Dreyfous) und giebt, auch durch seine Illustrationen,
einen interessanten Einblick in die wahren Verhältnisse der unglücklichen Kolonie,
die freilich von den pomphaften Verheißungen des Marquis de Raps himmel¬
weit verschieden sind.


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[0269] Neu-Frankreich. in Port-Breton ankam, waren von den ISO Kolonisten, die das erste Schiff gebracht hatte, nur noch zwei Mann am Platze, die bald darauf auch starben. Die übrigen 148 waren nämlich teils dem Elende oder verheerenden Krank¬ heiten erlegen, teils hatten sie sich nach den benachbarten Inseln zerstreut und waren dort eine Beute der umsehe»fressenden Eingeborenen geworden, teils war es ihnen unter großen Mühseligkeiten gelungen. Australien, nunca, die Hauptstadt der französischen Insel Neukaledonien, oder Frankreich zu erreichen. Das Schiff aber, welches diese ersten Kolonisten brachte, war sogleich nach Ausschiffung derselben bei Nacht heimlich davongefahren, mit ihm der Gouver¬ neur der Kolonie und Stellvertreter des Generalunternehmers, der dann später behauptet hat, er habe das gethan, um die Auswanderer wegen ihrer Insub¬ ordination zu bestrafen. Das zweite Schiff, welches im März 1880 von Barcelona auslief, ward unterwegs von einem großen Teile der Mannschaft und der Passagiere wegen der Gewaltthätigkeiten des Kapitäns verlassen, sodaß dieser nach seiner Ankunft in Port-Breton nichts thun konnte als neuen Nachschub aus Frankreich ab¬ warten. Diesen brachte bald das dritte Schiff, welches aber gleich dem ersten die Station bald wieder verließ, unter dein Vorwande, sich neu verproviantiren und mit dem Festlande Australiens nachbarliche Beziehungen anknüpfen zu wollen. Von Sydney aus schickte der Kapitän das zweite Schiff nach Port- Breton zurück, und dieses fand die Kolonie verödet. Abermals war etwa die Hälfte der Kolonisten durch Krankheit verloren gegangen, und der Rest war zu der Überzeugung gelangt, „daß sich in Port-Breton nichts machen lasse," wie ein Mitglied der Kolonie erklärte, da alle Kultur in diesem Lande nichts fruchte. So entschloß man sich, Port-Breton wieder zu verlassen und sich nach nunca zu begeben; aber die stürmische Überfahrt auf dem Schiffe der zweiten Expe¬ dition kostete wieder elf Auswanderern das Leben. Die vierte Expedition hatte zwar keine günstigeren Erfolge aufzuweisen als die erste, denn auch diesmal kamen drei Vierteile der Auswanderer elend um; aber sie hatte insofern segensreiche Folgen, als der Doktor Baudouin, welcher die Expedition begleitete, nicht nur den Rest der Kolonisten mit Hilfe des Kapitäns Henry aus dem mörderischen Klima von Port-Breton befreite, indem er ihnen dazu verhalf, daß sie die Kolonie verlassen konnten, sondern auch dadurch, daß er öffentlich die traurigen Verhältnisse aufdeckte und so weitere Expeditionen unmöglich machte. Das Werk, in welchem Dr. Baudouin seine Erlebnisse auf dieser vierten Expedition beschrieben hat, trägt den Titel „Das Abenteuer von Port-Breton und die freie Kolonie genannt Neufrankreich" (Verlag von Maurice Dreyfous) und giebt, auch durch seine Illustrationen, einen interessanten Einblick in die wahren Verhältnisse der unglücklichen Kolonie, die freilich von den pomphaften Verheißungen des Marquis de Raps himmel¬ weit verschieden sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/269>, abgerufen am 15.06.2024.