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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks,

daher, ohne die Eltern zu wecken, ins Freie, tappte im Finstern über die heute
endlos lange und fast nirgends gangbare Moorwiese, gelangte atemlos an die
wohlbekannte lebendige Hecke, überkletterte hastig die verschlossene Gartenpforte
und rannte nun klopfende" Herzens den Kiespfad hinan, der zu dem bedrohten
Hause führte.

Doch ehe er dasselbe erreichte, fielen ihn die beiden Leonberger mit jenem
wütenden Henlen an, das selbst, wenn sie an der Kette lagen, kein Mensch ohne
Grausen hörte, und gleichzeitig spürte er in Wange und Schulter den scharfen
Biß ihrer Zähne. Er war nicht ohne Waffe. Seinen alten Prairiebegleiter,
einen lederumflochteuen Totschläger, hatte er gewohnheitsmäßig zur Hand, und
ein glücklich treffender Schlag desselben streckte das eine der argen Untiere
regungslos in den Sand. Das andre biß sich aber mit doppelter Wut in den
die Waffe führenden Arm Bertholds fest, und ohne die Dazwischenkunft Görges
und Lores würde der nun Vertcidigungslose und endlich gar auch zu Fall Ge¬
kommene wohl kaum am Leben geblieben sein. Nachdem Gorge sich des un¬
bändigen Tieres mit Mühe bemächtigt hatte, schafften Lore und der alte Gärtner
den anscheinend völlig Bewußtlosen ins Haus.

Hermione erschien in demselben Augenblicke oben auf der Treppe, die zu
ihrem Zimmer führte. Sie war im Nachtgewande. Um Gotteswillen, was
giebt es? rief sie entsetzt hinab.

Es soll oben brennen, gnädiges Fräulein! gab Lore Bescheid; um den seiner
Sinne halb Beraubten bemüht, hatte sie nnr diese eine aus dem Wirrwarr
seiner Äußerungen verstanden.

Thorheit! rief Hermione hinab. Sie hatte in der That nur allerlei
Briefchen, die schon längst besser aus der Welt geschafft worden wären, heute
endlich im Kamin verbrannt. Aber, was sehe ich -- Berthold, Sie sind es?
Ihre Stimme versagte, es ward ihr grün und blau vor den Augen. Ehe sie
irgend etwas verfügen konnte, schwanden ihr die Sinne, und jetzt war auch
Beistand für sie erforderlich. Eine der Mägde lief treppauf und schaffte die
Ohnmächtige auf ihr Zimmer.

Ich habe es immer gesagt, brummte der alte Gärtner, die Racker werden noch
einmal Schaden anrichten. Ganze Tage lang bei der größten Hitze ohne Wasser,
und dabei immer geneckt und gezerrt, kein Mensch hielte das aus, ohne toll zu
werden.

Lore erblaßte.

Wo ist ein Messer? rief sie. Im nächsten Augenblicke hatte sie den rechten
Rockärmel des Besinnungslosen aufgeschnitten und streifte jetzt auch seinen blut¬
überströmten rechten Hemdärmel in die Höhe.

Ein Schauder schüttelte sie, aber sie überwand ihn und bedeutete dem ver¬
blüfft dastehenden Gorge, er möge herantreten und die Wunde aussaugen.

Das paßte dem Nichtsnutz jedoch keineswegs, und auch der alte Gärtner


Auf der Leiter des Glücks,

daher, ohne die Eltern zu wecken, ins Freie, tappte im Finstern über die heute
endlos lange und fast nirgends gangbare Moorwiese, gelangte atemlos an die
wohlbekannte lebendige Hecke, überkletterte hastig die verschlossene Gartenpforte
und rannte nun klopfende» Herzens den Kiespfad hinan, der zu dem bedrohten
Hause führte.

Doch ehe er dasselbe erreichte, fielen ihn die beiden Leonberger mit jenem
wütenden Henlen an, das selbst, wenn sie an der Kette lagen, kein Mensch ohne
Grausen hörte, und gleichzeitig spürte er in Wange und Schulter den scharfen
Biß ihrer Zähne. Er war nicht ohne Waffe. Seinen alten Prairiebegleiter,
einen lederumflochteuen Totschläger, hatte er gewohnheitsmäßig zur Hand, und
ein glücklich treffender Schlag desselben streckte das eine der argen Untiere
regungslos in den Sand. Das andre biß sich aber mit doppelter Wut in den
die Waffe führenden Arm Bertholds fest, und ohne die Dazwischenkunft Görges
und Lores würde der nun Vertcidigungslose und endlich gar auch zu Fall Ge¬
kommene wohl kaum am Leben geblieben sein. Nachdem Gorge sich des un¬
bändigen Tieres mit Mühe bemächtigt hatte, schafften Lore und der alte Gärtner
den anscheinend völlig Bewußtlosen ins Haus.

Hermione erschien in demselben Augenblicke oben auf der Treppe, die zu
ihrem Zimmer führte. Sie war im Nachtgewande. Um Gotteswillen, was
giebt es? rief sie entsetzt hinab.

Es soll oben brennen, gnädiges Fräulein! gab Lore Bescheid; um den seiner
Sinne halb Beraubten bemüht, hatte sie nnr diese eine aus dem Wirrwarr
seiner Äußerungen verstanden.

Thorheit! rief Hermione hinab. Sie hatte in der That nur allerlei
Briefchen, die schon längst besser aus der Welt geschafft worden wären, heute
endlich im Kamin verbrannt. Aber, was sehe ich — Berthold, Sie sind es?
Ihre Stimme versagte, es ward ihr grün und blau vor den Augen. Ehe sie
irgend etwas verfügen konnte, schwanden ihr die Sinne, und jetzt war auch
Beistand für sie erforderlich. Eine der Mägde lief treppauf und schaffte die
Ohnmächtige auf ihr Zimmer.

Ich habe es immer gesagt, brummte der alte Gärtner, die Racker werden noch
einmal Schaden anrichten. Ganze Tage lang bei der größten Hitze ohne Wasser,
und dabei immer geneckt und gezerrt, kein Mensch hielte das aus, ohne toll zu
werden.

Lore erblaßte.

Wo ist ein Messer? rief sie. Im nächsten Augenblicke hatte sie den rechten
Rockärmel des Besinnungslosen aufgeschnitten und streifte jetzt auch seinen blut¬
überströmten rechten Hemdärmel in die Höhe.

Ein Schauder schüttelte sie, aber sie überwand ihn und bedeutete dem ver¬
blüfft dastehenden Gorge, er möge herantreten und die Wunde aussaugen.

Das paßte dem Nichtsnutz jedoch keineswegs, und auch der alte Gärtner


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[0321] Auf der Leiter des Glücks, daher, ohne die Eltern zu wecken, ins Freie, tappte im Finstern über die heute endlos lange und fast nirgends gangbare Moorwiese, gelangte atemlos an die wohlbekannte lebendige Hecke, überkletterte hastig die verschlossene Gartenpforte und rannte nun klopfende» Herzens den Kiespfad hinan, der zu dem bedrohten Hause führte. Doch ehe er dasselbe erreichte, fielen ihn die beiden Leonberger mit jenem wütenden Henlen an, das selbst, wenn sie an der Kette lagen, kein Mensch ohne Grausen hörte, und gleichzeitig spürte er in Wange und Schulter den scharfen Biß ihrer Zähne. Er war nicht ohne Waffe. Seinen alten Prairiebegleiter, einen lederumflochteuen Totschläger, hatte er gewohnheitsmäßig zur Hand, und ein glücklich treffender Schlag desselben streckte das eine der argen Untiere regungslos in den Sand. Das andre biß sich aber mit doppelter Wut in den die Waffe führenden Arm Bertholds fest, und ohne die Dazwischenkunft Görges und Lores würde der nun Vertcidigungslose und endlich gar auch zu Fall Ge¬ kommene wohl kaum am Leben geblieben sein. Nachdem Gorge sich des un¬ bändigen Tieres mit Mühe bemächtigt hatte, schafften Lore und der alte Gärtner den anscheinend völlig Bewußtlosen ins Haus. Hermione erschien in demselben Augenblicke oben auf der Treppe, die zu ihrem Zimmer führte. Sie war im Nachtgewande. Um Gotteswillen, was giebt es? rief sie entsetzt hinab. Es soll oben brennen, gnädiges Fräulein! gab Lore Bescheid; um den seiner Sinne halb Beraubten bemüht, hatte sie nnr diese eine aus dem Wirrwarr seiner Äußerungen verstanden. Thorheit! rief Hermione hinab. Sie hatte in der That nur allerlei Briefchen, die schon längst besser aus der Welt geschafft worden wären, heute endlich im Kamin verbrannt. Aber, was sehe ich — Berthold, Sie sind es? Ihre Stimme versagte, es ward ihr grün und blau vor den Augen. Ehe sie irgend etwas verfügen konnte, schwanden ihr die Sinne, und jetzt war auch Beistand für sie erforderlich. Eine der Mägde lief treppauf und schaffte die Ohnmächtige auf ihr Zimmer. Ich habe es immer gesagt, brummte der alte Gärtner, die Racker werden noch einmal Schaden anrichten. Ganze Tage lang bei der größten Hitze ohne Wasser, und dabei immer geneckt und gezerrt, kein Mensch hielte das aus, ohne toll zu werden. Lore erblaßte. Wo ist ein Messer? rief sie. Im nächsten Augenblicke hatte sie den rechten Rockärmel des Besinnungslosen aufgeschnitten und streifte jetzt auch seinen blut¬ überströmten rechten Hemdärmel in die Höhe. Ein Schauder schüttelte sie, aber sie überwand ihn und bedeutete dem ver¬ blüfft dastehenden Gorge, er möge herantreten und die Wunde aussaugen. Das paßte dem Nichtsnutz jedoch keineswegs, und auch der alte Gärtner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/321>, abgerufen am 17.06.2024.