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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die deutsche Universitäts - Entwicklung in den letzten fünfzig Jahren,

in der That geneigt, zu glauben, daß eine Überproduktion mit den erwähnten
Folgen auch bei uns im Anzüge sei. Daß die gewerblichen und kommerziellen
Berufsarten überfüllt sind, ist keine neue Klage -- daß die liberalen Profes¬
sionen ebenfalls davon bedroht seien, nahm man bisher nicht allgemein an,
und doch scheint gleichwohl Anlaß genug zu solcher Befürchtung vorhanden.
Von Professor Conrad in Halle, einem als Nationalökonomen und Statistiker
gleich angesehenen Universitätsgelehrten, ist diese Gefahr neuerdings zum Gegen¬
stande eingehendster Untersuchungen*) gemacht worden, deren Hauptergebnisse
wegen des allgemeinen Interesses, das sich an sie knüpft, wohl verdienen, in
weiteren Kreisen bekannt zu werden.

Auf sämtlichen deutscheu Universitäten hat im Laufe von hundert Semestern,
von 1833/34 bis 1883. die Zahl der Studenten von 13097 bis auf 25084
zugenommen, oder, um Mittelzahlen zu geben, von 11784 im Durchschnitte der
zehn Semester 1833/34 bis 1838 auf 22003 im Durchschnitte der zehn Se¬
mester 1878/79 bis 1883. Besonders seit 1860 hat die Steigerung der Fre¬
quenz begonnen, und nach 1870 einen solchen Geschwindschritt angeschlagen, daß
in 22 Jahren, von 1860 bis 1883, sich die Zahl verdoppelte. In jedem Se¬
mester vermehrten sich die Studenten um einige hundert Köpfe, und namentlich
seit 1877/78 ging die Zunahme so stark vor sich, daß sie den Eindruck hervor¬
ruft, "als ob in jedem Semester eine Universität wie Straßburg neu begründet
worden wäre." Eine ähnliche Hochflut wurde vor mehr als fünfzig Jahren
beobachtet -- im Wintersemester 1830/31. Während unmittelbar nach den Frei¬
heitskriege" der Besuch der Universitäten änßerst schwach gewesen war, drängten
sich in den zwanziger Jahren so viele Lernbegierige heran, daß ihre Zahl bis
zum genannten Semester auf 15751 stieg, freilich um sich schon in den nächsten
Jahren wieder merklich zu verringern. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung
waren im Wintersemester 1830/31 ebensoviele Studenten wie im Wintersemester
1882/83 immatrikulirt -- 52,5 auf 100000 Einwohner. Faßt man aber die
Durchschnittszahlen ins Auge, so gab es in den letzten zehn Semestern durch¬
schnittlich 49 Studenten unter 100000 Einwohnern gegenüber 38 vor fünfzig
Jahren.^)

Diese Zunahme ist natürlich nicht in allen Fakultäten gleichmäßig gewesen.
Im Gegenteil nimmt man wahr, daß im Laufe der Zeit die einzelnen Wissens¬
zweige an der Gesamtzahl aller Studirenden sich sehr verschieden beteiligt zeigen.
Während vor fünfzig Jahren unter 100 Studenten 27 Juristen, 21 Mediziner,




Das Universitiitsstudium in Deutschland während der letzten fünfzig Jahre.
Jena, Gustav Fischer, 1884. VI, 243 S. und mehrere kartographische Tafeln.
Im folgenden ist, wo nichts andres gesagt ist, immer der Durchschnitt ans den zehn
Semestern 1878/79 bis 1883 dem aus den zehn Semestern 1833/34 bis 1838 gegenüber-
gestellt, was, um es nicht beständig im Texte wiederholen zu müssen, hier ein- für allemal
bemerkt sei.
Grenzboten I. 1884. 57
Die deutsche Universitäts - Entwicklung in den letzten fünfzig Jahren,

in der That geneigt, zu glauben, daß eine Überproduktion mit den erwähnten
Folgen auch bei uns im Anzüge sei. Daß die gewerblichen und kommerziellen
Berufsarten überfüllt sind, ist keine neue Klage — daß die liberalen Profes¬
sionen ebenfalls davon bedroht seien, nahm man bisher nicht allgemein an,
und doch scheint gleichwohl Anlaß genug zu solcher Befürchtung vorhanden.
Von Professor Conrad in Halle, einem als Nationalökonomen und Statistiker
gleich angesehenen Universitätsgelehrten, ist diese Gefahr neuerdings zum Gegen¬
stande eingehendster Untersuchungen*) gemacht worden, deren Hauptergebnisse
wegen des allgemeinen Interesses, das sich an sie knüpft, wohl verdienen, in
weiteren Kreisen bekannt zu werden.

Auf sämtlichen deutscheu Universitäten hat im Laufe von hundert Semestern,
von 1833/34 bis 1883. die Zahl der Studenten von 13097 bis auf 25084
zugenommen, oder, um Mittelzahlen zu geben, von 11784 im Durchschnitte der
zehn Semester 1833/34 bis 1838 auf 22003 im Durchschnitte der zehn Se¬
mester 1878/79 bis 1883. Besonders seit 1860 hat die Steigerung der Fre¬
quenz begonnen, und nach 1870 einen solchen Geschwindschritt angeschlagen, daß
in 22 Jahren, von 1860 bis 1883, sich die Zahl verdoppelte. In jedem Se¬
mester vermehrten sich die Studenten um einige hundert Köpfe, und namentlich
seit 1877/78 ging die Zunahme so stark vor sich, daß sie den Eindruck hervor¬
ruft, „als ob in jedem Semester eine Universität wie Straßburg neu begründet
worden wäre." Eine ähnliche Hochflut wurde vor mehr als fünfzig Jahren
beobachtet — im Wintersemester 1830/31. Während unmittelbar nach den Frei¬
heitskriege» der Besuch der Universitäten änßerst schwach gewesen war, drängten
sich in den zwanziger Jahren so viele Lernbegierige heran, daß ihre Zahl bis
zum genannten Semester auf 15751 stieg, freilich um sich schon in den nächsten
Jahren wieder merklich zu verringern. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung
waren im Wintersemester 1830/31 ebensoviele Studenten wie im Wintersemester
1882/83 immatrikulirt — 52,5 auf 100000 Einwohner. Faßt man aber die
Durchschnittszahlen ins Auge, so gab es in den letzten zehn Semestern durch¬
schnittlich 49 Studenten unter 100000 Einwohnern gegenüber 38 vor fünfzig
Jahren.^)

Diese Zunahme ist natürlich nicht in allen Fakultäten gleichmäßig gewesen.
Im Gegenteil nimmt man wahr, daß im Laufe der Zeit die einzelnen Wissens¬
zweige an der Gesamtzahl aller Studirenden sich sehr verschieden beteiligt zeigen.
Während vor fünfzig Jahren unter 100 Studenten 27 Juristen, 21 Mediziner,




Das Universitiitsstudium in Deutschland während der letzten fünfzig Jahre.
Jena, Gustav Fischer, 1884. VI, 243 S. und mehrere kartographische Tafeln.
Im folgenden ist, wo nichts andres gesagt ist, immer der Durchschnitt ans den zehn
Semestern 1878/79 bis 1883 dem aus den zehn Semestern 1833/34 bis 1838 gegenüber-
gestellt, was, um es nicht beständig im Texte wiederholen zu müssen, hier ein- für allemal
bemerkt sei.
Grenzboten I. 1884. 57
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[0459] Die deutsche Universitäts - Entwicklung in den letzten fünfzig Jahren, in der That geneigt, zu glauben, daß eine Überproduktion mit den erwähnten Folgen auch bei uns im Anzüge sei. Daß die gewerblichen und kommerziellen Berufsarten überfüllt sind, ist keine neue Klage — daß die liberalen Profes¬ sionen ebenfalls davon bedroht seien, nahm man bisher nicht allgemein an, und doch scheint gleichwohl Anlaß genug zu solcher Befürchtung vorhanden. Von Professor Conrad in Halle, einem als Nationalökonomen und Statistiker gleich angesehenen Universitätsgelehrten, ist diese Gefahr neuerdings zum Gegen¬ stande eingehendster Untersuchungen*) gemacht worden, deren Hauptergebnisse wegen des allgemeinen Interesses, das sich an sie knüpft, wohl verdienen, in weiteren Kreisen bekannt zu werden. Auf sämtlichen deutscheu Universitäten hat im Laufe von hundert Semestern, von 1833/34 bis 1883. die Zahl der Studenten von 13097 bis auf 25084 zugenommen, oder, um Mittelzahlen zu geben, von 11784 im Durchschnitte der zehn Semester 1833/34 bis 1838 auf 22003 im Durchschnitte der zehn Se¬ mester 1878/79 bis 1883. Besonders seit 1860 hat die Steigerung der Fre¬ quenz begonnen, und nach 1870 einen solchen Geschwindschritt angeschlagen, daß in 22 Jahren, von 1860 bis 1883, sich die Zahl verdoppelte. In jedem Se¬ mester vermehrten sich die Studenten um einige hundert Köpfe, und namentlich seit 1877/78 ging die Zunahme so stark vor sich, daß sie den Eindruck hervor¬ ruft, „als ob in jedem Semester eine Universität wie Straßburg neu begründet worden wäre." Eine ähnliche Hochflut wurde vor mehr als fünfzig Jahren beobachtet — im Wintersemester 1830/31. Während unmittelbar nach den Frei¬ heitskriege» der Besuch der Universitäten änßerst schwach gewesen war, drängten sich in den zwanziger Jahren so viele Lernbegierige heran, daß ihre Zahl bis zum genannten Semester auf 15751 stieg, freilich um sich schon in den nächsten Jahren wieder merklich zu verringern. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung waren im Wintersemester 1830/31 ebensoviele Studenten wie im Wintersemester 1882/83 immatrikulirt — 52,5 auf 100000 Einwohner. Faßt man aber die Durchschnittszahlen ins Auge, so gab es in den letzten zehn Semestern durch¬ schnittlich 49 Studenten unter 100000 Einwohnern gegenüber 38 vor fünfzig Jahren.^) Diese Zunahme ist natürlich nicht in allen Fakultäten gleichmäßig gewesen. Im Gegenteil nimmt man wahr, daß im Laufe der Zeit die einzelnen Wissens¬ zweige an der Gesamtzahl aller Studirenden sich sehr verschieden beteiligt zeigen. Während vor fünfzig Jahren unter 100 Studenten 27 Juristen, 21 Mediziner, Das Universitiitsstudium in Deutschland während der letzten fünfzig Jahre. Jena, Gustav Fischer, 1884. VI, 243 S. und mehrere kartographische Tafeln. Im folgenden ist, wo nichts andres gesagt ist, immer der Durchschnitt ans den zehn Semestern 1878/79 bis 1883 dem aus den zehn Semestern 1833/34 bis 1838 gegenüber- gestellt, was, um es nicht beständig im Texte wiederholen zu müssen, hier ein- für allemal bemerkt sei. Grenzboten I. 1884. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/459>, abgerufen am 22.05.2024.