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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die deutsche Universität?-Entwicklung in den letzten fünfzig Jahren.

23 evangelische und 9 katholische Theologen und 20 sogenannte Philosophen
waren, setzt sich gegenwärtig die glas, rrmtsr aus 24 Prozent Juristen, 21 Pro¬
zent Medizinern, 12 Prozent evangelischen, 3 Prozent katholischen Theologen
und 40 Prozent Philosophen zusammen. Demnach hat sich die Zahl der Theo¬
logen und Juristen verringert, die Zahl der Mediziner ist gleich geblieben und
die der Philosophen gestiegen. Übrigens ist dieses Ergebnis nicht die Folge
eines regelmäßigen Steigens oder Fallens, sondern es treten in den einzelnen
Fakultäten beträchtliche Schwankungen auf. Die Juristen betrugen zuweilen
schon 34 Prozent aller Studirenden, und die Zahl der Theologen zeigt bald
Zunahme, bald Abnahme.

Eine Fakultät hat an der geistigen Überproduktion keinen Teil -- die theo¬
logische. Die Zahl der evangelischen Theologen hat sich von 2674 auf 2569,
die der katholischen von 1031 auf 696 gemindert, ja es gab sogar Perioden,
wo die Zahl der ersteren wenig über 1600 im Semester hinausging, so 1850
bis 1853/54 und 1874/76 bis 1878. Während vor fünfzig Jahren auf 100000
Einwohner 9 evangelische und 3 katholische Theologen kamen, sind es jetzt deren
nur 6 und 1^/z, und diese Zahlen würden noch niedriger ausfallen, wenn nicht
in den letzten Semestern ein bemerkenswerter Aufschwung eingetreten wäre.
Nachdem nämlich im Wintersemester 1876/77 die Zahl der evangelischen Theo¬
logen auf 1539 gesunken war, sodaß statt der 16 Theologie Studirenden auf
100000 protestantische Einwohner am Anfang der dreißiger Jahre nur 7 am
Ende der siebziger Jahre kamen, vollzog sich eine erfreuliche Wendung. "Es
ist, wie Professor Conrad sich ausdrückt, als ob die Jugend plötzlich erschrocken
wäre über den exorbitanten Rückschritt und mit einemmale versucht hätte, den
Ausfall auszugleichen." Vorübergehend war durch diese Erscheinung ein Mangel
an Geistlichen, wenn auch nicht in allen Teilen Deutschlands, hervorgerufen.
Gegenwärtig ist indes der Bedarf gedeckt, die frühere Sorge um den Nachwuchs
ist gegenstandslos geworden, ja es ist sogar ans diesem Gebiete in nächster Zeit
eher eine Überfüllung zu vermuten.

Die zeitweilige Verminderung der Theologen beruhte auf verschiednen Ur¬
sachen. Die große Rolle, welche in früheren Jahrhunderten die theologische
Fakultät an den Universitäten spielte, spielt sie heute nicht mehr. Galt es früher
als eine besondre Ehre, dieser Fakultät anzugehören -- ließen sich doch Philo¬
sophen und Philologen bei ihr einschreiben --, so hat sich diese Tradition mit
der Zeit verloren. Weiter schreckte der unzulängliche Gehalt an den meisten
Pfarren, "von denen eine große Zahl wahre Hungerlöhne gewährte," viele ab,
sowie auch uach der Auffassung der deutsch-evangelischen Kirchenkonferenz in
Eisenach vom Jahre 1874 "die Unzulänglichkeit der vorhandnen Unterstützungs¬
mittel für die Gymnasialvvrbildung und die Subsistenz der Theologie Studi¬
renden auf den Universitäten" von Einfluß war. In der That weist Conrad
wenigstens für Halle nach, daß Söhne.von Handwerkern und Bauern relativ


Die deutsche Universität?-Entwicklung in den letzten fünfzig Jahren.

23 evangelische und 9 katholische Theologen und 20 sogenannte Philosophen
waren, setzt sich gegenwärtig die glas, rrmtsr aus 24 Prozent Juristen, 21 Pro¬
zent Medizinern, 12 Prozent evangelischen, 3 Prozent katholischen Theologen
und 40 Prozent Philosophen zusammen. Demnach hat sich die Zahl der Theo¬
logen und Juristen verringert, die Zahl der Mediziner ist gleich geblieben und
die der Philosophen gestiegen. Übrigens ist dieses Ergebnis nicht die Folge
eines regelmäßigen Steigens oder Fallens, sondern es treten in den einzelnen
Fakultäten beträchtliche Schwankungen auf. Die Juristen betrugen zuweilen
schon 34 Prozent aller Studirenden, und die Zahl der Theologen zeigt bald
Zunahme, bald Abnahme.

Eine Fakultät hat an der geistigen Überproduktion keinen Teil — die theo¬
logische. Die Zahl der evangelischen Theologen hat sich von 2674 auf 2569,
die der katholischen von 1031 auf 696 gemindert, ja es gab sogar Perioden,
wo die Zahl der ersteren wenig über 1600 im Semester hinausging, so 1850
bis 1853/54 und 1874/76 bis 1878. Während vor fünfzig Jahren auf 100000
Einwohner 9 evangelische und 3 katholische Theologen kamen, sind es jetzt deren
nur 6 und 1^/z, und diese Zahlen würden noch niedriger ausfallen, wenn nicht
in den letzten Semestern ein bemerkenswerter Aufschwung eingetreten wäre.
Nachdem nämlich im Wintersemester 1876/77 die Zahl der evangelischen Theo¬
logen auf 1539 gesunken war, sodaß statt der 16 Theologie Studirenden auf
100000 protestantische Einwohner am Anfang der dreißiger Jahre nur 7 am
Ende der siebziger Jahre kamen, vollzog sich eine erfreuliche Wendung. „Es
ist, wie Professor Conrad sich ausdrückt, als ob die Jugend plötzlich erschrocken
wäre über den exorbitanten Rückschritt und mit einemmale versucht hätte, den
Ausfall auszugleichen." Vorübergehend war durch diese Erscheinung ein Mangel
an Geistlichen, wenn auch nicht in allen Teilen Deutschlands, hervorgerufen.
Gegenwärtig ist indes der Bedarf gedeckt, die frühere Sorge um den Nachwuchs
ist gegenstandslos geworden, ja es ist sogar ans diesem Gebiete in nächster Zeit
eher eine Überfüllung zu vermuten.

Die zeitweilige Verminderung der Theologen beruhte auf verschiednen Ur¬
sachen. Die große Rolle, welche in früheren Jahrhunderten die theologische
Fakultät an den Universitäten spielte, spielt sie heute nicht mehr. Galt es früher
als eine besondre Ehre, dieser Fakultät anzugehören — ließen sich doch Philo¬
sophen und Philologen bei ihr einschreiben —, so hat sich diese Tradition mit
der Zeit verloren. Weiter schreckte der unzulängliche Gehalt an den meisten
Pfarren, „von denen eine große Zahl wahre Hungerlöhne gewährte," viele ab,
sowie auch uach der Auffassung der deutsch-evangelischen Kirchenkonferenz in
Eisenach vom Jahre 1874 „die Unzulänglichkeit der vorhandnen Unterstützungs¬
mittel für die Gymnasialvvrbildung und die Subsistenz der Theologie Studi¬
renden auf den Universitäten" von Einfluß war. In der That weist Conrad
wenigstens für Halle nach, daß Söhne.von Handwerkern und Bauern relativ


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[0460] Die deutsche Universität?-Entwicklung in den letzten fünfzig Jahren. 23 evangelische und 9 katholische Theologen und 20 sogenannte Philosophen waren, setzt sich gegenwärtig die glas, rrmtsr aus 24 Prozent Juristen, 21 Pro¬ zent Medizinern, 12 Prozent evangelischen, 3 Prozent katholischen Theologen und 40 Prozent Philosophen zusammen. Demnach hat sich die Zahl der Theo¬ logen und Juristen verringert, die Zahl der Mediziner ist gleich geblieben und die der Philosophen gestiegen. Übrigens ist dieses Ergebnis nicht die Folge eines regelmäßigen Steigens oder Fallens, sondern es treten in den einzelnen Fakultäten beträchtliche Schwankungen auf. Die Juristen betrugen zuweilen schon 34 Prozent aller Studirenden, und die Zahl der Theologen zeigt bald Zunahme, bald Abnahme. Eine Fakultät hat an der geistigen Überproduktion keinen Teil — die theo¬ logische. Die Zahl der evangelischen Theologen hat sich von 2674 auf 2569, die der katholischen von 1031 auf 696 gemindert, ja es gab sogar Perioden, wo die Zahl der ersteren wenig über 1600 im Semester hinausging, so 1850 bis 1853/54 und 1874/76 bis 1878. Während vor fünfzig Jahren auf 100000 Einwohner 9 evangelische und 3 katholische Theologen kamen, sind es jetzt deren nur 6 und 1^/z, und diese Zahlen würden noch niedriger ausfallen, wenn nicht in den letzten Semestern ein bemerkenswerter Aufschwung eingetreten wäre. Nachdem nämlich im Wintersemester 1876/77 die Zahl der evangelischen Theo¬ logen auf 1539 gesunken war, sodaß statt der 16 Theologie Studirenden auf 100000 protestantische Einwohner am Anfang der dreißiger Jahre nur 7 am Ende der siebziger Jahre kamen, vollzog sich eine erfreuliche Wendung. „Es ist, wie Professor Conrad sich ausdrückt, als ob die Jugend plötzlich erschrocken wäre über den exorbitanten Rückschritt und mit einemmale versucht hätte, den Ausfall auszugleichen." Vorübergehend war durch diese Erscheinung ein Mangel an Geistlichen, wenn auch nicht in allen Teilen Deutschlands, hervorgerufen. Gegenwärtig ist indes der Bedarf gedeckt, die frühere Sorge um den Nachwuchs ist gegenstandslos geworden, ja es ist sogar ans diesem Gebiete in nächster Zeit eher eine Überfüllung zu vermuten. Die zeitweilige Verminderung der Theologen beruhte auf verschiednen Ur¬ sachen. Die große Rolle, welche in früheren Jahrhunderten die theologische Fakultät an den Universitäten spielte, spielt sie heute nicht mehr. Galt es früher als eine besondre Ehre, dieser Fakultät anzugehören — ließen sich doch Philo¬ sophen und Philologen bei ihr einschreiben —, so hat sich diese Tradition mit der Zeit verloren. Weiter schreckte der unzulängliche Gehalt an den meisten Pfarren, „von denen eine große Zahl wahre Hungerlöhne gewährte," viele ab, sowie auch uach der Auffassung der deutsch-evangelischen Kirchenkonferenz in Eisenach vom Jahre 1874 „die Unzulänglichkeit der vorhandnen Unterstützungs¬ mittel für die Gymnasialvvrbildung und die Subsistenz der Theologie Studi¬ renden auf den Universitäten" von Einfluß war. In der That weist Conrad wenigstens für Halle nach, daß Söhne.von Handwerkern und Bauern relativ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/460>, abgerufen am 15.06.2024.