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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Zur Frage der zweijährigen Dienstzeit.

Für die große Masse bleiben drei Jahre das knappste Maß, wenn obige
Anforderungen erreicht und die erworbenen Eigenschaften und Fertigkeiten für
die ganze Dauer des Reserve- und Landwehrverhältnisses nur einigermaßen
vorhalten sollen. Einzelne befähigte und besonders eifrige Leute, die den An¬
forderungen rascher genügen, werden ja auch jetzt schon nach zwei Jahren be¬
urlaubt, und die Aussicht auf diese Vergünstigung ist ein vortrefflicher Sporn
zur Anstrengung aller Kräfte. Das Ausbildungspersonal ist schon jetzt fast
überlastet -- man denke nur an die nebenbei noch zu bewältigenden Übungen
der Wehrmänner, Reservisten und Ersatzreservisten der verschiedenen Jahrgänge.

Was diese letztern betrifft, deren rasche Ausbildung oft als Beweismittel
gegen die Notwendigkeit längerer Dienstzeit angeführt wird, so sind sie bekanntlich
garnicht bestimmt, sogleich bei einer Mobilmachung ins Feld zu rücken, noch
weniger kann man daran denken, aus lauter solchen Leuten brauchbare Truppen¬
körper zu bilden, sondern sie sollen zunächst nur in die Ersatzbataillone ein¬
gestellt, dort weiter ausgebildet und dann, auf die verschiednen Kompagnien
ihrer Regimenter verteilt, als erster Ersatz für eingetretene Verluste ins Feld
nachgesandt werden. Für diesen Zweck mag ihre flüchtige Ausbildung, in Er¬
mangelung einer bessern, genügen; es hat sich jedoch längst herausgestellt, daß
den häufig überraschend günstigen Erfolgen bei der ersten Übung die Leistungen
bei den folgenden nicht entsprachen, da die Leute das meiste wieder verlernt
hatten.

Die Frage der zweijährigen Dienstzeit hat aber noch eine ganz andre Seite,
welche weniger mit der Ausbildung als mit der Organisation zusammenhängt.
Hier liegt die Unzweckmäßigkeit derselben auch sür den Laien auf der Hand,
und infolge dessen wird man sie in Agitationsschriften und -Reden stets mit
Stillschweigen übergangen finden. Sind nämlich nur zwei Jahrgänge der dienst¬
tauglichen Mannschaften im Frieden unter den Waffen, so ist natürlich die
Friedenspräsenzstärke um etwa ein Drittel geringer als jetzt. Man hat also
nur die Wahl, alle bestehenden Truppenkörper auf zwei Drittel ihrer jetzigen
Stärke zu setzen oder ein Drittel dieser Truppenkörper selbst sür den Frieden
aufzulösen. Die erstere Maßregel würde die Truppenteile fast zu Kadres Herab¬
drücken. Schon jetzt besteht ein großer Unterschied zwischen einer Friedens¬
kompagnie von 134 und einer Kriegskompagnie von 250 Köpfen. Bei einer
Stärke von nur 90 Mann, von denen noch dazu, nach Abrechnung der Unter¬
offiziere, die Hälfte Rekruten wären, hörte aber überhaupt die Möglichkeit einer
kriegsgemäßen Ausführung von Felddienstübungen auf. Bei einer Mobilmachung
würden alsdann die Reserven nicht als eine hinzutretende Verstärkung zu be¬
trachten sein, sondern die wenigen Stammmannschaften würden sich unter der
Menge der Reservisten verlieren.

Für die Artillerie liegen die Verhältnisse ähnlich; am schlimmsten aber
würde die Kavallerie betroffen werden, welche bei unsrer jetzigen Organisation


GrwMcn I. 1884. 81
Zur Frage der zweijährigen Dienstzeit.

Für die große Masse bleiben drei Jahre das knappste Maß, wenn obige
Anforderungen erreicht und die erworbenen Eigenschaften und Fertigkeiten für
die ganze Dauer des Reserve- und Landwehrverhältnisses nur einigermaßen
vorhalten sollen. Einzelne befähigte und besonders eifrige Leute, die den An¬
forderungen rascher genügen, werden ja auch jetzt schon nach zwei Jahren be¬
urlaubt, und die Aussicht auf diese Vergünstigung ist ein vortrefflicher Sporn
zur Anstrengung aller Kräfte. Das Ausbildungspersonal ist schon jetzt fast
überlastet — man denke nur an die nebenbei noch zu bewältigenden Übungen
der Wehrmänner, Reservisten und Ersatzreservisten der verschiedenen Jahrgänge.

Was diese letztern betrifft, deren rasche Ausbildung oft als Beweismittel
gegen die Notwendigkeit längerer Dienstzeit angeführt wird, so sind sie bekanntlich
garnicht bestimmt, sogleich bei einer Mobilmachung ins Feld zu rücken, noch
weniger kann man daran denken, aus lauter solchen Leuten brauchbare Truppen¬
körper zu bilden, sondern sie sollen zunächst nur in die Ersatzbataillone ein¬
gestellt, dort weiter ausgebildet und dann, auf die verschiednen Kompagnien
ihrer Regimenter verteilt, als erster Ersatz für eingetretene Verluste ins Feld
nachgesandt werden. Für diesen Zweck mag ihre flüchtige Ausbildung, in Er¬
mangelung einer bessern, genügen; es hat sich jedoch längst herausgestellt, daß
den häufig überraschend günstigen Erfolgen bei der ersten Übung die Leistungen
bei den folgenden nicht entsprachen, da die Leute das meiste wieder verlernt
hatten.

Die Frage der zweijährigen Dienstzeit hat aber noch eine ganz andre Seite,
welche weniger mit der Ausbildung als mit der Organisation zusammenhängt.
Hier liegt die Unzweckmäßigkeit derselben auch sür den Laien auf der Hand,
und infolge dessen wird man sie in Agitationsschriften und -Reden stets mit
Stillschweigen übergangen finden. Sind nämlich nur zwei Jahrgänge der dienst¬
tauglichen Mannschaften im Frieden unter den Waffen, so ist natürlich die
Friedenspräsenzstärke um etwa ein Drittel geringer als jetzt. Man hat also
nur die Wahl, alle bestehenden Truppenkörper auf zwei Drittel ihrer jetzigen
Stärke zu setzen oder ein Drittel dieser Truppenkörper selbst sür den Frieden
aufzulösen. Die erstere Maßregel würde die Truppenteile fast zu Kadres Herab¬
drücken. Schon jetzt besteht ein großer Unterschied zwischen einer Friedens¬
kompagnie von 134 und einer Kriegskompagnie von 250 Köpfen. Bei einer
Stärke von nur 90 Mann, von denen noch dazu, nach Abrechnung der Unter¬
offiziere, die Hälfte Rekruten wären, hörte aber überhaupt die Möglichkeit einer
kriegsgemäßen Ausführung von Felddienstübungen auf. Bei einer Mobilmachung
würden alsdann die Reserven nicht als eine hinzutretende Verstärkung zu be¬
trachten sein, sondern die wenigen Stammmannschaften würden sich unter der
Menge der Reservisten verlieren.

Für die Artillerie liegen die Verhältnisse ähnlich; am schlimmsten aber
würde die Kavallerie betroffen werden, welche bei unsrer jetzigen Organisation


GrwMcn I. 1884. 81
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[0651] Zur Frage der zweijährigen Dienstzeit. Für die große Masse bleiben drei Jahre das knappste Maß, wenn obige Anforderungen erreicht und die erworbenen Eigenschaften und Fertigkeiten für die ganze Dauer des Reserve- und Landwehrverhältnisses nur einigermaßen vorhalten sollen. Einzelne befähigte und besonders eifrige Leute, die den An¬ forderungen rascher genügen, werden ja auch jetzt schon nach zwei Jahren be¬ urlaubt, und die Aussicht auf diese Vergünstigung ist ein vortrefflicher Sporn zur Anstrengung aller Kräfte. Das Ausbildungspersonal ist schon jetzt fast überlastet — man denke nur an die nebenbei noch zu bewältigenden Übungen der Wehrmänner, Reservisten und Ersatzreservisten der verschiedenen Jahrgänge. Was diese letztern betrifft, deren rasche Ausbildung oft als Beweismittel gegen die Notwendigkeit längerer Dienstzeit angeführt wird, so sind sie bekanntlich garnicht bestimmt, sogleich bei einer Mobilmachung ins Feld zu rücken, noch weniger kann man daran denken, aus lauter solchen Leuten brauchbare Truppen¬ körper zu bilden, sondern sie sollen zunächst nur in die Ersatzbataillone ein¬ gestellt, dort weiter ausgebildet und dann, auf die verschiednen Kompagnien ihrer Regimenter verteilt, als erster Ersatz für eingetretene Verluste ins Feld nachgesandt werden. Für diesen Zweck mag ihre flüchtige Ausbildung, in Er¬ mangelung einer bessern, genügen; es hat sich jedoch längst herausgestellt, daß den häufig überraschend günstigen Erfolgen bei der ersten Übung die Leistungen bei den folgenden nicht entsprachen, da die Leute das meiste wieder verlernt hatten. Die Frage der zweijährigen Dienstzeit hat aber noch eine ganz andre Seite, welche weniger mit der Ausbildung als mit der Organisation zusammenhängt. Hier liegt die Unzweckmäßigkeit derselben auch sür den Laien auf der Hand, und infolge dessen wird man sie in Agitationsschriften und -Reden stets mit Stillschweigen übergangen finden. Sind nämlich nur zwei Jahrgänge der dienst¬ tauglichen Mannschaften im Frieden unter den Waffen, so ist natürlich die Friedenspräsenzstärke um etwa ein Drittel geringer als jetzt. Man hat also nur die Wahl, alle bestehenden Truppenkörper auf zwei Drittel ihrer jetzigen Stärke zu setzen oder ein Drittel dieser Truppenkörper selbst sür den Frieden aufzulösen. Die erstere Maßregel würde die Truppenteile fast zu Kadres Herab¬ drücken. Schon jetzt besteht ein großer Unterschied zwischen einer Friedens¬ kompagnie von 134 und einer Kriegskompagnie von 250 Köpfen. Bei einer Stärke von nur 90 Mann, von denen noch dazu, nach Abrechnung der Unter¬ offiziere, die Hälfte Rekruten wären, hörte aber überhaupt die Möglichkeit einer kriegsgemäßen Ausführung von Felddienstübungen auf. Bei einer Mobilmachung würden alsdann die Reserven nicht als eine hinzutretende Verstärkung zu be¬ trachten sein, sondern die wenigen Stammmannschaften würden sich unter der Menge der Reservisten verlieren. Für die Artillerie liegen die Verhältnisse ähnlich; am schlimmsten aber würde die Kavallerie betroffen werden, welche bei unsrer jetzigen Organisation GrwMcn I. 1884. 81

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/651>, abgerufen am 16.06.2024.