Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
England und die Boers.

der Absicht eingegeben, eine Handhabe zur Einmischung zu gewinnen nett der
Mehrzahl der Bewohner des neuen Staates als wohlwollender Verteidiger
gegenüber der herrschenden Minderheit zu erscheinen; überdies aber war sie
zweideutig und nach der einen, der englischen Interpretation, unausführbar.
Der Begriff "Sklaverei" wurde in der Übereinkunft am Sandriver unbestimmt
gelassen, und kurze Zeit nach deren Abschluß fanden die Engländer Gelegen¬
heit, über Vertragsverletzung von selten der Boers zu klagen und daraus den
Schluß zu ziehen, daß ihre Anerkennung des Staates derselben als eines un¬
abhängigen hinfällig geworden sei. Die Boers aber konnten das Verfahren,
über das Beschwerde geführt wurde, sehr wohl rechtfertigen. Sie hatten ein
weitgedehutes Gebiet erobert und, da sie zu dessen Bewirtschaftung Knechte be¬
durften, die sie nicht mieten konnten, die unterworfenen Kaffern zu Leibeignen
(^Mvntiocis) gemacht, ungefähr so, wie es Wilhelm der Eroberer nach der
Schlacht bei Hastings mit den Sachsen gehalten hatte und wie die Holländer
und Engländer der Kapkolonie einst mit der dortigen Urbevölkerung verfahren
waren. Diese letztere war allerdings 1838 durch Gesetz zu einer Klasse freier
Tagelöhner geworden. In den Landen nördlich von: Vaal war aber ein der¬
artiges Verhältnis zwischen Siegern und Grundbesitzern und den Unterworfenen,
wenn die Boers sich dort behaupten wollten, deshalb unmöglich, weil diese sich
an Zahl zu der Kasfernbevöllerung innerhalb ihrer Grenzen etwa wie 6 zu 400
verhielten. Die Eingebornen mußten vielmehr gezwungene Arbeiter bleiben,
was nicht ausschloß, daß ihre Leibeigenschaft iaiMöiitiosMx) mild gehandhabt
wurde. Durften die Engländer auch das Sklaverei nennen, so hatten die
Bürger der Republik jenseits des Vaal die Übereinkunft von 1852 freilich ver¬
letzt; es war aber ein wesentlicher Unterschied zwischen dem rechtlosen Neger¬
sklaven und dem zu bestimmtem Dienste verpflichteten Kaffernkncchte des Boeren,
der nicht schlimmer, oft besser daran war als die Kukis, mit denen sich Eng¬
land über die in seinen Kolonien infolge der Abschaffung der Sklaverei ent¬
standene Verlegenheit hinweghalf.

Andries Pretorius, welcher die Südafrikanische Republik gegründet hatte
und dann der erste Präsident derselben gewesen war, starb 1853. Unter ihm
hatte das neue Gemeinwesen Wurzel gefaßt, und es waren innerhalb der Grenzen
desselben mehrere Ortschaften entstanden, unter deuen Pretoria und Potschef-
stroom die größten waren. Sein Sohn, der ihm 1869 auf dem Präsidenten¬
stuhle folgte, erfreute sich nicht des Ansehens, das der Vater genossen, und als
der "Volksraad," das Parlament der Boers, sich weigerte, seinem nicht un¬
verständigen Plane zu einer Vereinigung der beiden Republiken diesseits und
jenseits des Vaal beizustimmen, legte er sein Amt nieder, worauf man einen ge¬
wissen Burgers, der früher Prediger in der Kapstadt gewesen war, zu seinem
Nachfolger wählte. Derselbe war ein unpraktischer Phantast, der verschiedne
grobe Mißgriffe beging und durch unvorsichtige Großsprecherei die Engländer


England und die Boers.

der Absicht eingegeben, eine Handhabe zur Einmischung zu gewinnen nett der
Mehrzahl der Bewohner des neuen Staates als wohlwollender Verteidiger
gegenüber der herrschenden Minderheit zu erscheinen; überdies aber war sie
zweideutig und nach der einen, der englischen Interpretation, unausführbar.
Der Begriff „Sklaverei" wurde in der Übereinkunft am Sandriver unbestimmt
gelassen, und kurze Zeit nach deren Abschluß fanden die Engländer Gelegen¬
heit, über Vertragsverletzung von selten der Boers zu klagen und daraus den
Schluß zu ziehen, daß ihre Anerkennung des Staates derselben als eines un¬
abhängigen hinfällig geworden sei. Die Boers aber konnten das Verfahren,
über das Beschwerde geführt wurde, sehr wohl rechtfertigen. Sie hatten ein
weitgedehutes Gebiet erobert und, da sie zu dessen Bewirtschaftung Knechte be¬
durften, die sie nicht mieten konnten, die unterworfenen Kaffern zu Leibeignen
(^Mvntiocis) gemacht, ungefähr so, wie es Wilhelm der Eroberer nach der
Schlacht bei Hastings mit den Sachsen gehalten hatte und wie die Holländer
und Engländer der Kapkolonie einst mit der dortigen Urbevölkerung verfahren
waren. Diese letztere war allerdings 1838 durch Gesetz zu einer Klasse freier
Tagelöhner geworden. In den Landen nördlich von: Vaal war aber ein der¬
artiges Verhältnis zwischen Siegern und Grundbesitzern und den Unterworfenen,
wenn die Boers sich dort behaupten wollten, deshalb unmöglich, weil diese sich
an Zahl zu der Kasfernbevöllerung innerhalb ihrer Grenzen etwa wie 6 zu 400
verhielten. Die Eingebornen mußten vielmehr gezwungene Arbeiter bleiben,
was nicht ausschloß, daß ihre Leibeigenschaft iaiMöiitiosMx) mild gehandhabt
wurde. Durften die Engländer auch das Sklaverei nennen, so hatten die
Bürger der Republik jenseits des Vaal die Übereinkunft von 1852 freilich ver¬
letzt; es war aber ein wesentlicher Unterschied zwischen dem rechtlosen Neger¬
sklaven und dem zu bestimmtem Dienste verpflichteten Kaffernkncchte des Boeren,
der nicht schlimmer, oft besser daran war als die Kukis, mit denen sich Eng¬
land über die in seinen Kolonien infolge der Abschaffung der Sklaverei ent¬
standene Verlegenheit hinweghalf.

Andries Pretorius, welcher die Südafrikanische Republik gegründet hatte
und dann der erste Präsident derselben gewesen war, starb 1853. Unter ihm
hatte das neue Gemeinwesen Wurzel gefaßt, und es waren innerhalb der Grenzen
desselben mehrere Ortschaften entstanden, unter deuen Pretoria und Potschef-
stroom die größten waren. Sein Sohn, der ihm 1869 auf dem Präsidenten¬
stuhle folgte, erfreute sich nicht des Ansehens, das der Vater genossen, und als
der „Volksraad," das Parlament der Boers, sich weigerte, seinem nicht un¬
verständigen Plane zu einer Vereinigung der beiden Republiken diesseits und
jenseits des Vaal beizustimmen, legte er sein Amt nieder, worauf man einen ge¬
wissen Burgers, der früher Prediger in der Kapstadt gewesen war, zu seinem
Nachfolger wählte. Derselbe war ein unpraktischer Phantast, der verschiedne
grobe Mißgriffe beging und durch unvorsichtige Großsprecherei die Engländer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194693"/>
          <fw type="header" place="top"> England und die Boers.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_25" prev="#ID_24"> der Absicht eingegeben, eine Handhabe zur Einmischung zu gewinnen nett der<lb/>
Mehrzahl der Bewohner des neuen Staates als wohlwollender Verteidiger<lb/>
gegenüber der herrschenden Minderheit zu erscheinen; überdies aber war sie<lb/>
zweideutig und nach der einen, der englischen Interpretation, unausführbar.<lb/>
Der Begriff &#x201E;Sklaverei" wurde in der Übereinkunft am Sandriver unbestimmt<lb/>
gelassen, und kurze Zeit nach deren Abschluß fanden die Engländer Gelegen¬<lb/>
heit, über Vertragsverletzung von selten der Boers zu klagen und daraus den<lb/>
Schluß zu ziehen, daß ihre Anerkennung des Staates derselben als eines un¬<lb/>
abhängigen hinfällig geworden sei. Die Boers aber konnten das Verfahren,<lb/>
über das Beschwerde geführt wurde, sehr wohl rechtfertigen. Sie hatten ein<lb/>
weitgedehutes Gebiet erobert und, da sie zu dessen Bewirtschaftung Knechte be¬<lb/>
durften, die sie nicht mieten konnten, die unterworfenen Kaffern zu Leibeignen<lb/>
(^Mvntiocis) gemacht, ungefähr so, wie es Wilhelm der Eroberer nach der<lb/>
Schlacht bei Hastings mit den Sachsen gehalten hatte und wie die Holländer<lb/>
und Engländer der Kapkolonie einst mit der dortigen Urbevölkerung verfahren<lb/>
waren. Diese letztere war allerdings 1838 durch Gesetz zu einer Klasse freier<lb/>
Tagelöhner geworden. In den Landen nördlich von: Vaal war aber ein der¬<lb/>
artiges Verhältnis zwischen Siegern und Grundbesitzern und den Unterworfenen,<lb/>
wenn die Boers sich dort behaupten wollten, deshalb unmöglich, weil diese sich<lb/>
an Zahl zu der Kasfernbevöllerung innerhalb ihrer Grenzen etwa wie 6 zu 400<lb/>
verhielten. Die Eingebornen mußten vielmehr gezwungene Arbeiter bleiben,<lb/>
was nicht ausschloß, daß ihre Leibeigenschaft iaiMöiitiosMx) mild gehandhabt<lb/>
wurde. Durften die Engländer auch das Sklaverei nennen, so hatten die<lb/>
Bürger der Republik jenseits des Vaal die Übereinkunft von 1852 freilich ver¬<lb/>
letzt; es war aber ein wesentlicher Unterschied zwischen dem rechtlosen Neger¬<lb/>
sklaven und dem zu bestimmtem Dienste verpflichteten Kaffernkncchte des Boeren,<lb/>
der nicht schlimmer, oft besser daran war als die Kukis, mit denen sich Eng¬<lb/>
land über die in seinen Kolonien infolge der Abschaffung der Sklaverei ent¬<lb/>
standene Verlegenheit hinweghalf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_26" next="#ID_27"> Andries Pretorius, welcher die Südafrikanische Republik gegründet hatte<lb/>
und dann der erste Präsident derselben gewesen war, starb 1853. Unter ihm<lb/>
hatte das neue Gemeinwesen Wurzel gefaßt, und es waren innerhalb der Grenzen<lb/>
desselben mehrere Ortschaften entstanden, unter deuen Pretoria und Potschef-<lb/>
stroom die größten waren. Sein Sohn, der ihm 1869 auf dem Präsidenten¬<lb/>
stuhle folgte, erfreute sich nicht des Ansehens, das der Vater genossen, und als<lb/>
der &#x201E;Volksraad," das Parlament der Boers, sich weigerte, seinem nicht un¬<lb/>
verständigen Plane zu einer Vereinigung der beiden Republiken diesseits und<lb/>
jenseits des Vaal beizustimmen, legte er sein Amt nieder, worauf man einen ge¬<lb/>
wissen Burgers, der früher Prediger in der Kapstadt gewesen war, zu seinem<lb/>
Nachfolger wählte. Derselbe war ein unpraktischer Phantast, der verschiedne<lb/>
grobe Mißgriffe beging und durch unvorsichtige Großsprecherei die Engländer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] England und die Boers. der Absicht eingegeben, eine Handhabe zur Einmischung zu gewinnen nett der Mehrzahl der Bewohner des neuen Staates als wohlwollender Verteidiger gegenüber der herrschenden Minderheit zu erscheinen; überdies aber war sie zweideutig und nach der einen, der englischen Interpretation, unausführbar. Der Begriff „Sklaverei" wurde in der Übereinkunft am Sandriver unbestimmt gelassen, und kurze Zeit nach deren Abschluß fanden die Engländer Gelegen¬ heit, über Vertragsverletzung von selten der Boers zu klagen und daraus den Schluß zu ziehen, daß ihre Anerkennung des Staates derselben als eines un¬ abhängigen hinfällig geworden sei. Die Boers aber konnten das Verfahren, über das Beschwerde geführt wurde, sehr wohl rechtfertigen. Sie hatten ein weitgedehutes Gebiet erobert und, da sie zu dessen Bewirtschaftung Knechte be¬ durften, die sie nicht mieten konnten, die unterworfenen Kaffern zu Leibeignen (^Mvntiocis) gemacht, ungefähr so, wie es Wilhelm der Eroberer nach der Schlacht bei Hastings mit den Sachsen gehalten hatte und wie die Holländer und Engländer der Kapkolonie einst mit der dortigen Urbevölkerung verfahren waren. Diese letztere war allerdings 1838 durch Gesetz zu einer Klasse freier Tagelöhner geworden. In den Landen nördlich von: Vaal war aber ein der¬ artiges Verhältnis zwischen Siegern und Grundbesitzern und den Unterworfenen, wenn die Boers sich dort behaupten wollten, deshalb unmöglich, weil diese sich an Zahl zu der Kasfernbevöllerung innerhalb ihrer Grenzen etwa wie 6 zu 400 verhielten. Die Eingebornen mußten vielmehr gezwungene Arbeiter bleiben, was nicht ausschloß, daß ihre Leibeigenschaft iaiMöiitiosMx) mild gehandhabt wurde. Durften die Engländer auch das Sklaverei nennen, so hatten die Bürger der Republik jenseits des Vaal die Übereinkunft von 1852 freilich ver¬ letzt; es war aber ein wesentlicher Unterschied zwischen dem rechtlosen Neger¬ sklaven und dem zu bestimmtem Dienste verpflichteten Kaffernkncchte des Boeren, der nicht schlimmer, oft besser daran war als die Kukis, mit denen sich Eng¬ land über die in seinen Kolonien infolge der Abschaffung der Sklaverei ent¬ standene Verlegenheit hinweghalf. Andries Pretorius, welcher die Südafrikanische Republik gegründet hatte und dann der erste Präsident derselben gewesen war, starb 1853. Unter ihm hatte das neue Gemeinwesen Wurzel gefaßt, und es waren innerhalb der Grenzen desselben mehrere Ortschaften entstanden, unter deuen Pretoria und Potschef- stroom die größten waren. Sein Sohn, der ihm 1869 auf dem Präsidenten¬ stuhle folgte, erfreute sich nicht des Ansehens, das der Vater genossen, und als der „Volksraad," das Parlament der Boers, sich weigerte, seinem nicht un¬ verständigen Plane zu einer Vereinigung der beiden Republiken diesseits und jenseits des Vaal beizustimmen, legte er sein Amt nieder, worauf man einen ge¬ wissen Burgers, der früher Prediger in der Kapstadt gewesen war, zu seinem Nachfolger wählte. Derselbe war ein unpraktischer Phantast, der verschiedne grobe Mißgriffe beging und durch unvorsichtige Großsprecherei die Engländer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/17>, abgerufen am 21.05.2024.