Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Kommilitonen,

deutlich: Hammelrücken mit Gurkensauce. Da glitt ihm die Pfeife aus der
Zahnlücke, er fuhr auf, rieb sich die Augen, schob die Brille vom Munde auf
die Stirn und begann zu reden. Es waren Worte, die anfänglich zusammen¬
hanglos blieben, sich aber dann zu einem Lobe des stillen Familienglückes am
häuslichen Herde zusammenfügten.

Der Schauspieler verhielt sich hierzu äußerst schweigsam. Erst auf instän¬
diges Drängen des Schulfreundes ließ auch er sich zu Äußerungen bewegen.
Ihm fehle gerade dieses Glück, er habe sich spät als Witwer wieder verheiratet,
habe eine bildhübsche, aber unsolide junge Frau an der Seite, durch die er den
durch Jahre so mühsam eroberten Platz in der guten Gesellschaft so ziemlich
wieder eingebüßt habe -- das war der Kern seiner verblümten Rederanken. Der
Pastor verstand ihn und gab die Versicherung seines herzlichsten Bedauerns.
Dann fuhr der Regisseur fort, auch Barbara habe seine hochfliegenden Hoff¬
nungen nicht erfüllt.

Oh! meinte der Pastor, seine Frau habe doch das Mädchen so sehr heraus¬
gestrichen, das und das an ihr gelobt.

Der Regisseur nickte wehmütig und fügte aufklärend hinzu, er hätte sie
gern der Bühne zugeführt und dann vornehm verheiratet; sie habe aber beide
Pläne gekreuzt; in letzterer Beziehung treffe vielleicht auch die Stiefmutter eine
Mitschuld -- so ließ er durchblicken. Dann teilte er in schlichten Worten mit,
Barbara habe sich auf ein an sich gar löbliches, aber für sie aussichtsloses
Gebiet zurückgezogen, nämlich auf das "Sichausbildcn" und "Sichnützlichmachen,"
sie sei im musikalischen Spiel auf mancherlei Instrumenten wie im Gesänge perfekt
und beteilige sich mit Leidenschaft bei seiner Theaterschule, die sie eigentlich
dirigire.

Theaterschule? Du hast eine Theaterschule, unterbrach ihn der Pastor,
und nach einigem Hinundherfragen kam heraus, daß er einen einzigen, sehr
talentvollen Sohn habe -- seine fünf Töchter, wahrhafte Musterkinder, wären
glücklich unter die Haube gebracht. Der liebe Unband von Sohn -- natürlich
Theologe -- sei eben relegirt worden und müsse ein Jahr Pausiren; er habe
aber unter anderm ganz hervorragende Anlage und Liebe zur Schauspielkunst.

So sagte der Vater und hielt es wohl auch für wahr; allein dies Dafür¬
halten hatte keine sachlich zureichenden Gründe. Der Pastvrssvhn liebte nämlich
in Wirklichkeit nicht die Muse, sondern nur die Musenpriesterinnen oder vielmehr
-Dienerinnen, die Choristinnen von Oper und Ballet. Der Vater Pastor aber
machte nun dem biedern Regisseur und Theaterschulvorsteher den Vorschlag,
diesen Sohn aufzunehmen, probeweise auf ein Jahr, da sich hoffentlich inzwischen
ein andrer Ausweg finden würde; die Stichhaltigkeit seiner Kunstneiguug würde
sich aber so am sichersten ermitteln lassen.

Während beide hierüber fortsprachen, erschien Kautschuk, der Geheimrat, und
Archimedes, dieser wieder im Offiziersmantel mit aufgeschlagenen Zinnoberkragen.


Die Kommilitonen,

deutlich: Hammelrücken mit Gurkensauce. Da glitt ihm die Pfeife aus der
Zahnlücke, er fuhr auf, rieb sich die Augen, schob die Brille vom Munde auf
die Stirn und begann zu reden. Es waren Worte, die anfänglich zusammen¬
hanglos blieben, sich aber dann zu einem Lobe des stillen Familienglückes am
häuslichen Herde zusammenfügten.

Der Schauspieler verhielt sich hierzu äußerst schweigsam. Erst auf instän¬
diges Drängen des Schulfreundes ließ auch er sich zu Äußerungen bewegen.
Ihm fehle gerade dieses Glück, er habe sich spät als Witwer wieder verheiratet,
habe eine bildhübsche, aber unsolide junge Frau an der Seite, durch die er den
durch Jahre so mühsam eroberten Platz in der guten Gesellschaft so ziemlich
wieder eingebüßt habe — das war der Kern seiner verblümten Rederanken. Der
Pastor verstand ihn und gab die Versicherung seines herzlichsten Bedauerns.
Dann fuhr der Regisseur fort, auch Barbara habe seine hochfliegenden Hoff¬
nungen nicht erfüllt.

Oh! meinte der Pastor, seine Frau habe doch das Mädchen so sehr heraus¬
gestrichen, das und das an ihr gelobt.

Der Regisseur nickte wehmütig und fügte aufklärend hinzu, er hätte sie
gern der Bühne zugeführt und dann vornehm verheiratet; sie habe aber beide
Pläne gekreuzt; in letzterer Beziehung treffe vielleicht auch die Stiefmutter eine
Mitschuld — so ließ er durchblicken. Dann teilte er in schlichten Worten mit,
Barbara habe sich auf ein an sich gar löbliches, aber für sie aussichtsloses
Gebiet zurückgezogen, nämlich auf das „Sichausbildcn" und „Sichnützlichmachen,"
sie sei im musikalischen Spiel auf mancherlei Instrumenten wie im Gesänge perfekt
und beteilige sich mit Leidenschaft bei seiner Theaterschule, die sie eigentlich
dirigire.

Theaterschule? Du hast eine Theaterschule, unterbrach ihn der Pastor,
und nach einigem Hinundherfragen kam heraus, daß er einen einzigen, sehr
talentvollen Sohn habe — seine fünf Töchter, wahrhafte Musterkinder, wären
glücklich unter die Haube gebracht. Der liebe Unband von Sohn — natürlich
Theologe — sei eben relegirt worden und müsse ein Jahr Pausiren; er habe
aber unter anderm ganz hervorragende Anlage und Liebe zur Schauspielkunst.

So sagte der Vater und hielt es wohl auch für wahr; allein dies Dafür¬
halten hatte keine sachlich zureichenden Gründe. Der Pastvrssvhn liebte nämlich
in Wirklichkeit nicht die Muse, sondern nur die Musenpriesterinnen oder vielmehr
-Dienerinnen, die Choristinnen von Oper und Ballet. Der Vater Pastor aber
machte nun dem biedern Regisseur und Theaterschulvorsteher den Vorschlag,
diesen Sohn aufzunehmen, probeweise auf ein Jahr, da sich hoffentlich inzwischen
ein andrer Ausweg finden würde; die Stichhaltigkeit seiner Kunstneiguug würde
sich aber so am sichersten ermitteln lassen.

Während beide hierüber fortsprachen, erschien Kautschuk, der Geheimrat, und
Archimedes, dieser wieder im Offiziersmantel mit aufgeschlagenen Zinnoberkragen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194885"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Kommilitonen,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_645" prev="#ID_644"> deutlich: Hammelrücken mit Gurkensauce. Da glitt ihm die Pfeife aus der<lb/>
Zahnlücke, er fuhr auf, rieb sich die Augen, schob die Brille vom Munde auf<lb/>
die Stirn und begann zu reden. Es waren Worte, die anfänglich zusammen¬<lb/>
hanglos blieben, sich aber dann zu einem Lobe des stillen Familienglückes am<lb/>
häuslichen Herde zusammenfügten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_646"> Der Schauspieler verhielt sich hierzu äußerst schweigsam. Erst auf instän¬<lb/>
diges Drängen des Schulfreundes ließ auch er sich zu Äußerungen bewegen.<lb/>
Ihm fehle gerade dieses Glück, er habe sich spät als Witwer wieder verheiratet,<lb/>
habe eine bildhübsche, aber unsolide junge Frau an der Seite, durch die er den<lb/>
durch Jahre so mühsam eroberten Platz in der guten Gesellschaft so ziemlich<lb/>
wieder eingebüßt habe &#x2014; das war der Kern seiner verblümten Rederanken. Der<lb/>
Pastor verstand ihn und gab die Versicherung seines herzlichsten Bedauerns.<lb/>
Dann fuhr der Regisseur fort, auch Barbara habe seine hochfliegenden Hoff¬<lb/>
nungen nicht erfüllt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_647"> Oh! meinte der Pastor, seine Frau habe doch das Mädchen so sehr heraus¬<lb/>
gestrichen, das und das an ihr gelobt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_648"> Der Regisseur nickte wehmütig und fügte aufklärend hinzu, er hätte sie<lb/>
gern der Bühne zugeführt und dann vornehm verheiratet; sie habe aber beide<lb/>
Pläne gekreuzt; in letzterer Beziehung treffe vielleicht auch die Stiefmutter eine<lb/>
Mitschuld &#x2014; so ließ er durchblicken. Dann teilte er in schlichten Worten mit,<lb/>
Barbara habe sich auf ein an sich gar löbliches, aber für sie aussichtsloses<lb/>
Gebiet zurückgezogen, nämlich auf das &#x201E;Sichausbildcn" und &#x201E;Sichnützlichmachen,"<lb/>
sie sei im musikalischen Spiel auf mancherlei Instrumenten wie im Gesänge perfekt<lb/>
und beteilige sich mit Leidenschaft bei seiner Theaterschule, die sie eigentlich<lb/>
dirigire.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_649"> Theaterschule? Du hast eine Theaterschule, unterbrach ihn der Pastor,<lb/>
und nach einigem Hinundherfragen kam heraus, daß er einen einzigen, sehr<lb/>
talentvollen Sohn habe &#x2014; seine fünf Töchter, wahrhafte Musterkinder, wären<lb/>
glücklich unter die Haube gebracht. Der liebe Unband von Sohn &#x2014; natürlich<lb/>
Theologe &#x2014; sei eben relegirt worden und müsse ein Jahr Pausiren; er habe<lb/>
aber unter anderm ganz hervorragende Anlage und Liebe zur Schauspielkunst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_650"> So sagte der Vater und hielt es wohl auch für wahr; allein dies Dafür¬<lb/>
halten hatte keine sachlich zureichenden Gründe. Der Pastvrssvhn liebte nämlich<lb/>
in Wirklichkeit nicht die Muse, sondern nur die Musenpriesterinnen oder vielmehr<lb/>
-Dienerinnen, die Choristinnen von Oper und Ballet. Der Vater Pastor aber<lb/>
machte nun dem biedern Regisseur und Theaterschulvorsteher den Vorschlag,<lb/>
diesen Sohn aufzunehmen, probeweise auf ein Jahr, da sich hoffentlich inzwischen<lb/>
ein andrer Ausweg finden würde; die Stichhaltigkeit seiner Kunstneiguug würde<lb/>
sich aber so am sichersten ermitteln lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_651" next="#ID_652"> Während beide hierüber fortsprachen, erschien Kautschuk, der Geheimrat, und<lb/>
Archimedes, dieser wieder im Offiziersmantel mit aufgeschlagenen Zinnoberkragen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0209] Die Kommilitonen, deutlich: Hammelrücken mit Gurkensauce. Da glitt ihm die Pfeife aus der Zahnlücke, er fuhr auf, rieb sich die Augen, schob die Brille vom Munde auf die Stirn und begann zu reden. Es waren Worte, die anfänglich zusammen¬ hanglos blieben, sich aber dann zu einem Lobe des stillen Familienglückes am häuslichen Herde zusammenfügten. Der Schauspieler verhielt sich hierzu äußerst schweigsam. Erst auf instän¬ diges Drängen des Schulfreundes ließ auch er sich zu Äußerungen bewegen. Ihm fehle gerade dieses Glück, er habe sich spät als Witwer wieder verheiratet, habe eine bildhübsche, aber unsolide junge Frau an der Seite, durch die er den durch Jahre so mühsam eroberten Platz in der guten Gesellschaft so ziemlich wieder eingebüßt habe — das war der Kern seiner verblümten Rederanken. Der Pastor verstand ihn und gab die Versicherung seines herzlichsten Bedauerns. Dann fuhr der Regisseur fort, auch Barbara habe seine hochfliegenden Hoff¬ nungen nicht erfüllt. Oh! meinte der Pastor, seine Frau habe doch das Mädchen so sehr heraus¬ gestrichen, das und das an ihr gelobt. Der Regisseur nickte wehmütig und fügte aufklärend hinzu, er hätte sie gern der Bühne zugeführt und dann vornehm verheiratet; sie habe aber beide Pläne gekreuzt; in letzterer Beziehung treffe vielleicht auch die Stiefmutter eine Mitschuld — so ließ er durchblicken. Dann teilte er in schlichten Worten mit, Barbara habe sich auf ein an sich gar löbliches, aber für sie aussichtsloses Gebiet zurückgezogen, nämlich auf das „Sichausbildcn" und „Sichnützlichmachen," sie sei im musikalischen Spiel auf mancherlei Instrumenten wie im Gesänge perfekt und beteilige sich mit Leidenschaft bei seiner Theaterschule, die sie eigentlich dirigire. Theaterschule? Du hast eine Theaterschule, unterbrach ihn der Pastor, und nach einigem Hinundherfragen kam heraus, daß er einen einzigen, sehr talentvollen Sohn habe — seine fünf Töchter, wahrhafte Musterkinder, wären glücklich unter die Haube gebracht. Der liebe Unband von Sohn — natürlich Theologe — sei eben relegirt worden und müsse ein Jahr Pausiren; er habe aber unter anderm ganz hervorragende Anlage und Liebe zur Schauspielkunst. So sagte der Vater und hielt es wohl auch für wahr; allein dies Dafür¬ halten hatte keine sachlich zureichenden Gründe. Der Pastvrssvhn liebte nämlich in Wirklichkeit nicht die Muse, sondern nur die Musenpriesterinnen oder vielmehr -Dienerinnen, die Choristinnen von Oper und Ballet. Der Vater Pastor aber machte nun dem biedern Regisseur und Theaterschulvorsteher den Vorschlag, diesen Sohn aufzunehmen, probeweise auf ein Jahr, da sich hoffentlich inzwischen ein andrer Ausweg finden würde; die Stichhaltigkeit seiner Kunstneiguug würde sich aber so am sichersten ermitteln lassen. Während beide hierüber fortsprachen, erschien Kautschuk, der Geheimrat, und Archimedes, dieser wieder im Offiziersmantel mit aufgeschlagenen Zinnoberkragen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/209
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/209>, abgerufen am 21.05.2024.