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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Aommilitonen,

Der Geheimrat winkte den beiden auf dein Sofci liegenden, sich ja nicht durch
ihn stören zu lassen, was diesen freilich ohnehin nicht einfiel; er selbst setzte sich
mit Archimedes an einen andern Tisch, ließ Licht machen und begann mit dem
Schulfreunde zu verhandeln. Mit Hast nahm Kautschuk das Papier mit dem
Rangkatalog an sich, den dieser ins Reine gebracht hatte, während die übrigen
Kommilitonen ihre Zeit beim Frühschoppen vergeudeten. Über den Verwendungs¬
plan war er inzwischen mit sich einig geworden. Er zischelte Archimedes noch
etwas von Rcchnuugs- oder Steuerrad zu, und der Oberst würde wohl auch
das seinige dazu thun können.

Da kam Genserich herein, wurde von dem Seitentisch in Beschlag genommen,
und nun sprachen Oberst und Geheimrat hin und her; Archimedes saß dabei
und gaffte dem Beginnen der beiden einflußreichen Gönner zu. Auf seinem
ausdruckslose" Gesichte zeigten sich Regungen von ehrerbietiger Scheu, schwach
aufdämmernder Hoffnung, dann von erstarkenden Selbstbewußtsein, wie das
Abendrotleuchten eine trostlose Novemberlandschaft streift.

Hierauf trat Mirbl, der Parlamentarier, geräuschvoll ins Zimmer, brachte
ein Gleichnis von germanischer Zersplitterung vor, forderte zum Zusammenrücken
auf und zum Eintritt in die Tagesordnung, die darin bestand, daß jeder seinen
Lebenslauf erzählen sollte. Kautschuk mahnte noch an Paragraph 1 der
Geschäftsordnung, daß die Politik aus dem Spiele bleibe" solle, und Ratz fügte
hinzu, er müsse bitten, ebenso Paragraph 1a, die Kirche. Der weitere Vorschlag
Kautschuks, einen Präsidenten zu wählen -- er wies auf das Sofa hin, an
das er sich anlehnte --, wurde verworfen. Genserich ließ Karten ziehen, und
die Plätze wurden nach den Nummern verteilt. Dabei trug der Kellner Kaffee
auf und ging wieder ab.

Kautschuk setzte sich übelgelaunt, suchte aber seiue Verstimmung zu verbergen
durch ein in vergnüglichen Tone angeschlagenes: Da wären wir ja unter uns,
Landsleute im engern Sinne, lauter abendländisch Blut, durch keinen Morgen¬
länder versetzt. Der Geistliche fügte gutartig hinzu, ohne an eine bestimmte
Person zu denken, es sei jetzt in der That eine Seltenheit, wenn fünf an einem
Tische säßen "ud kein Jude unter ihnen sei, eine Anmerkung, der Pipin
beipflichtete.

Kautschuk freute sich über den fruchtbaren Boden, auf den sein Körnlein
gefallen war, aber Mirbl verdarb ihm die Freude. Wenn dies unserm lieben
Cohn gilt, begann er, so möchte ich bemerken, daß dieser solche antisemitische
Geschmacksrichtung herausgefühlt hat, denn er läßt sein Ausbleiben hier ent¬
schuldigen -- durch mich, der ich außerhalb dieser Fraktion stehe.

Pipin und Ratz machten lange Gesichter. Genserich aber fuhr auf: Kinder,
was sind das für Plänkeleien! Auf diese Weise werden wir unsern Zweck des
kameradschaftlichen Zusammenseins nicht erreichen.

Mirbl fühlte sich Kautschuk gegenüber im Vorteil lind fügte hinzu, er habe
auch noch einen andern zu entschuldigen, den "blassen Heinrich."


Die Aommilitonen,

Der Geheimrat winkte den beiden auf dein Sofci liegenden, sich ja nicht durch
ihn stören zu lassen, was diesen freilich ohnehin nicht einfiel; er selbst setzte sich
mit Archimedes an einen andern Tisch, ließ Licht machen und begann mit dem
Schulfreunde zu verhandeln. Mit Hast nahm Kautschuk das Papier mit dem
Rangkatalog an sich, den dieser ins Reine gebracht hatte, während die übrigen
Kommilitonen ihre Zeit beim Frühschoppen vergeudeten. Über den Verwendungs¬
plan war er inzwischen mit sich einig geworden. Er zischelte Archimedes noch
etwas von Rcchnuugs- oder Steuerrad zu, und der Oberst würde wohl auch
das seinige dazu thun können.

Da kam Genserich herein, wurde von dem Seitentisch in Beschlag genommen,
und nun sprachen Oberst und Geheimrat hin und her; Archimedes saß dabei
und gaffte dem Beginnen der beiden einflußreichen Gönner zu. Auf seinem
ausdruckslose» Gesichte zeigten sich Regungen von ehrerbietiger Scheu, schwach
aufdämmernder Hoffnung, dann von erstarkenden Selbstbewußtsein, wie das
Abendrotleuchten eine trostlose Novemberlandschaft streift.

Hierauf trat Mirbl, der Parlamentarier, geräuschvoll ins Zimmer, brachte
ein Gleichnis von germanischer Zersplitterung vor, forderte zum Zusammenrücken
auf und zum Eintritt in die Tagesordnung, die darin bestand, daß jeder seinen
Lebenslauf erzählen sollte. Kautschuk mahnte noch an Paragraph 1 der
Geschäftsordnung, daß die Politik aus dem Spiele bleibe« solle, und Ratz fügte
hinzu, er müsse bitten, ebenso Paragraph 1a, die Kirche. Der weitere Vorschlag
Kautschuks, einen Präsidenten zu wählen — er wies auf das Sofa hin, an
das er sich anlehnte —, wurde verworfen. Genserich ließ Karten ziehen, und
die Plätze wurden nach den Nummern verteilt. Dabei trug der Kellner Kaffee
auf und ging wieder ab.

Kautschuk setzte sich übelgelaunt, suchte aber seiue Verstimmung zu verbergen
durch ein in vergnüglichen Tone angeschlagenes: Da wären wir ja unter uns,
Landsleute im engern Sinne, lauter abendländisch Blut, durch keinen Morgen¬
länder versetzt. Der Geistliche fügte gutartig hinzu, ohne an eine bestimmte
Person zu denken, es sei jetzt in der That eine Seltenheit, wenn fünf an einem
Tische säßen »ud kein Jude unter ihnen sei, eine Anmerkung, der Pipin
beipflichtete.

Kautschuk freute sich über den fruchtbaren Boden, auf den sein Körnlein
gefallen war, aber Mirbl verdarb ihm die Freude. Wenn dies unserm lieben
Cohn gilt, begann er, so möchte ich bemerken, daß dieser solche antisemitische
Geschmacksrichtung herausgefühlt hat, denn er läßt sein Ausbleiben hier ent¬
schuldigen — durch mich, der ich außerhalb dieser Fraktion stehe.

Pipin und Ratz machten lange Gesichter. Genserich aber fuhr auf: Kinder,
was sind das für Plänkeleien! Auf diese Weise werden wir unsern Zweck des
kameradschaftlichen Zusammenseins nicht erreichen.

Mirbl fühlte sich Kautschuk gegenüber im Vorteil lind fügte hinzu, er habe
auch noch einen andern zu entschuldigen, den „blassen Heinrich."


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[0210] Die Aommilitonen, Der Geheimrat winkte den beiden auf dein Sofci liegenden, sich ja nicht durch ihn stören zu lassen, was diesen freilich ohnehin nicht einfiel; er selbst setzte sich mit Archimedes an einen andern Tisch, ließ Licht machen und begann mit dem Schulfreunde zu verhandeln. Mit Hast nahm Kautschuk das Papier mit dem Rangkatalog an sich, den dieser ins Reine gebracht hatte, während die übrigen Kommilitonen ihre Zeit beim Frühschoppen vergeudeten. Über den Verwendungs¬ plan war er inzwischen mit sich einig geworden. Er zischelte Archimedes noch etwas von Rcchnuugs- oder Steuerrad zu, und der Oberst würde wohl auch das seinige dazu thun können. Da kam Genserich herein, wurde von dem Seitentisch in Beschlag genommen, und nun sprachen Oberst und Geheimrat hin und her; Archimedes saß dabei und gaffte dem Beginnen der beiden einflußreichen Gönner zu. Auf seinem ausdruckslose» Gesichte zeigten sich Regungen von ehrerbietiger Scheu, schwach aufdämmernder Hoffnung, dann von erstarkenden Selbstbewußtsein, wie das Abendrotleuchten eine trostlose Novemberlandschaft streift. Hierauf trat Mirbl, der Parlamentarier, geräuschvoll ins Zimmer, brachte ein Gleichnis von germanischer Zersplitterung vor, forderte zum Zusammenrücken auf und zum Eintritt in die Tagesordnung, die darin bestand, daß jeder seinen Lebenslauf erzählen sollte. Kautschuk mahnte noch an Paragraph 1 der Geschäftsordnung, daß die Politik aus dem Spiele bleibe« solle, und Ratz fügte hinzu, er müsse bitten, ebenso Paragraph 1a, die Kirche. Der weitere Vorschlag Kautschuks, einen Präsidenten zu wählen — er wies auf das Sofa hin, an das er sich anlehnte —, wurde verworfen. Genserich ließ Karten ziehen, und die Plätze wurden nach den Nummern verteilt. Dabei trug der Kellner Kaffee auf und ging wieder ab. Kautschuk setzte sich übelgelaunt, suchte aber seiue Verstimmung zu verbergen durch ein in vergnüglichen Tone angeschlagenes: Da wären wir ja unter uns, Landsleute im engern Sinne, lauter abendländisch Blut, durch keinen Morgen¬ länder versetzt. Der Geistliche fügte gutartig hinzu, ohne an eine bestimmte Person zu denken, es sei jetzt in der That eine Seltenheit, wenn fünf an einem Tische säßen »ud kein Jude unter ihnen sei, eine Anmerkung, der Pipin beipflichtete. Kautschuk freute sich über den fruchtbaren Boden, auf den sein Körnlein gefallen war, aber Mirbl verdarb ihm die Freude. Wenn dies unserm lieben Cohn gilt, begann er, so möchte ich bemerken, daß dieser solche antisemitische Geschmacksrichtung herausgefühlt hat, denn er läßt sein Ausbleiben hier ent¬ schuldigen — durch mich, der ich außerhalb dieser Fraktion stehe. Pipin und Ratz machten lange Gesichter. Genserich aber fuhr auf: Kinder, was sind das für Plänkeleien! Auf diese Weise werden wir unsern Zweck des kameradschaftlichen Zusammenseins nicht erreichen. Mirbl fühlte sich Kautschuk gegenüber im Vorteil lind fügte hinzu, er habe auch noch einen andern zu entschuldigen, den „blassen Heinrich."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/210>, abgerufen am 14.06.2024.