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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Heuchler auf die Bühne zu bringen gewagt, der so sehr von seiner eignen Auf¬
richtigkeit überzeugt ist, einen solchen Kam, der sich für Abel hält. Er ist es
auch, der wegen seiner großen republikanischen Tugenden der Würdigste zu sein
glaubt, um der Farce zu Präsidiren, die zu Ehren des höchsten Wesens in Szene
gesetzt wird.

Nach diesen Größen der Revolution kann man das Kaliber derjenigen
messen, die unter ihrer Direktive und vor ihren Augen als Gesetzgeber, Ver-
waltungsbeamte und Richter den Staat und dessen einzelne Teile leiteten.
Unter den Kränzen, die sie sich zuerkennen, und unter den Titeln, mit denen
sie sich schmücken, zeigt sich zu gleicher Zeit das Stigma des Sklaven und des
Tyrannen. Im Konvent ist neben dem jakobinischen Berg jede andre Partei
geschwunden, die übrigen Deputaten wagen es nicht, eine entgegengesetzte Meinung
zu bekunden, oder lassen sich, soweit es möglich ist, in den Sitzungen überhaupt
nicht scheu. Zu den Einschüchternngcn durch die Kollegen gesellt sich diejenige
durch den Mob, der in verschiednen von dem Klub in Szene gesetzten Paraden
dem Konvent und der Regierung zeigt, daß sie -- wie dies noch vor einigen
Tagen der Abgeordnete von Vollmar dem größten Staatsmanne der Welt
gegenüber auszusprechen wagte -- nur die Kommis und Untergebenen des
souveränen Pöbels sind. Im Zentrum liegt das Schwergewicht des Ganzen
im Wohlfahrtsausschuß, in welchem jedoch nur wenige Leute von Bedeutung,
wie Carnot, imstande sind, die eigentlichen Geschäfte zu führen, gegenüber den
Hanptmatadvrcn, die, teils aus der Hefe des Volkes hervorgegangen, teils schon
im ÄiroiöQ rögwis durch Verbrechen gebrandmarkt, nichts verstehen als in die
Trompete ihrer Führer zu stoßen. Dabei schweben sie gegenseitig und vor
einander in fortwährender Angst; jeder wittert in seinem Genossen seinen Gegner
und einen Verräter; jeder empfindet, daß wenn er selbst nicht köpfe, er geköpft
werden wird; jeder ahnt das Ende mit Schrecken. Daher die Brutalitäten,
die Grausamkeit und die Wollust, die Todesfurcht und die Genußsucht, die
Gleichgiltigkeit gegen das Leben und die Eitelkeit. Überall entwickeln sich die
bestialischer Instinkte des Menschen, welche tausendjährige Erziehung, Religion
und Philosophie uicht zu beseitigen, sondern nur abzuschwächen imstande gewesen
waren. Die Revolution fördert alle Bestialitäten wie aus dem Höllenkrater ans
Tageslicht. Am schlimmsten Hausen die Prvkonsuln in den Provinzen; delegirt
vom Konvent, um die Revolution in den Departements in Permanenz zu halte:,,
wächst ihre Unmenschlichkeit, je eingeschüchterter die Massen sind, und im Besitz
einer unbeschränkten Macht suchen sie jede Gelegenheit, sie zu üben und sich
zu zeigen. Einzelheiten hier aufzuzählen ist unmöglich, so groß sind die Greuel,
so zahlreich und so systematisch begangen, daß die Wahl schwer hält, auch nur
das schlimmste zu zeigen. Die Gradunterschiede, welche die menschliche Em¬
pfindung zu machen versteht, schwinden gegenüber diesen Berichten, die als
unzählige Blutzeugen uns auf jeder Seite des Buches begegnen.


Heuchler auf die Bühne zu bringen gewagt, der so sehr von seiner eignen Auf¬
richtigkeit überzeugt ist, einen solchen Kam, der sich für Abel hält. Er ist es
auch, der wegen seiner großen republikanischen Tugenden der Würdigste zu sein
glaubt, um der Farce zu Präsidiren, die zu Ehren des höchsten Wesens in Szene
gesetzt wird.

Nach diesen Größen der Revolution kann man das Kaliber derjenigen
messen, die unter ihrer Direktive und vor ihren Augen als Gesetzgeber, Ver-
waltungsbeamte und Richter den Staat und dessen einzelne Teile leiteten.
Unter den Kränzen, die sie sich zuerkennen, und unter den Titeln, mit denen
sie sich schmücken, zeigt sich zu gleicher Zeit das Stigma des Sklaven und des
Tyrannen. Im Konvent ist neben dem jakobinischen Berg jede andre Partei
geschwunden, die übrigen Deputaten wagen es nicht, eine entgegengesetzte Meinung
zu bekunden, oder lassen sich, soweit es möglich ist, in den Sitzungen überhaupt
nicht scheu. Zu den Einschüchternngcn durch die Kollegen gesellt sich diejenige
durch den Mob, der in verschiednen von dem Klub in Szene gesetzten Paraden
dem Konvent und der Regierung zeigt, daß sie — wie dies noch vor einigen
Tagen der Abgeordnete von Vollmar dem größten Staatsmanne der Welt
gegenüber auszusprechen wagte — nur die Kommis und Untergebenen des
souveränen Pöbels sind. Im Zentrum liegt das Schwergewicht des Ganzen
im Wohlfahrtsausschuß, in welchem jedoch nur wenige Leute von Bedeutung,
wie Carnot, imstande sind, die eigentlichen Geschäfte zu führen, gegenüber den
Hanptmatadvrcn, die, teils aus der Hefe des Volkes hervorgegangen, teils schon
im ÄiroiöQ rögwis durch Verbrechen gebrandmarkt, nichts verstehen als in die
Trompete ihrer Führer zu stoßen. Dabei schweben sie gegenseitig und vor
einander in fortwährender Angst; jeder wittert in seinem Genossen seinen Gegner
und einen Verräter; jeder empfindet, daß wenn er selbst nicht köpfe, er geköpft
werden wird; jeder ahnt das Ende mit Schrecken. Daher die Brutalitäten,
die Grausamkeit und die Wollust, die Todesfurcht und die Genußsucht, die
Gleichgiltigkeit gegen das Leben und die Eitelkeit. Überall entwickeln sich die
bestialischer Instinkte des Menschen, welche tausendjährige Erziehung, Religion
und Philosophie uicht zu beseitigen, sondern nur abzuschwächen imstande gewesen
waren. Die Revolution fördert alle Bestialitäten wie aus dem Höllenkrater ans
Tageslicht. Am schlimmsten Hausen die Prvkonsuln in den Provinzen; delegirt
vom Konvent, um die Revolution in den Departements in Permanenz zu halte:,,
wächst ihre Unmenschlichkeit, je eingeschüchterter die Massen sind, und im Besitz
einer unbeschränkten Macht suchen sie jede Gelegenheit, sie zu üben und sich
zu zeigen. Einzelheiten hier aufzuzählen ist unmöglich, so groß sind die Greuel,
so zahlreich und so systematisch begangen, daß die Wahl schwer hält, auch nur
das schlimmste zu zeigen. Die Gradunterschiede, welche die menschliche Em¬
pfindung zu machen versteht, schwinden gegenüber diesen Berichten, die als
unzählige Blutzeugen uns auf jeder Seite des Buches begegnen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/28>, abgerufen am 21.05.2024.