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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

mit lateinischen Sentenzen und Versen auszustatten. Die antike Mythologie
wurde den Niederländern bald geläufiger als die christliche Legende, und wo die
Gestalten der ersteren nicht ausreichten, um abstrakte, aus der modernen Spe¬
kulation erwachsene Begriffe zu versinnlichen, wurden allegorische Figuren er¬
funden, die häufig zu umständlichen und höchst komplizirten Darstellungen
sinnbildlichen Inhalts vereinigt wurden. Es war ein angenehmes Spiel des
Verstandes, solche Darstellungen, Embleme oder Symbole, wie man sie nannte,
zu entziffern. Unsre Zeit findet an diesem trocknen Gedankenspiel keine Freude;
aber damals widmeten sich gerade die erlesensten Geister der Beschäftigung mit
Allegorien, und das merkwürdigste an dieser Erscheinung ist, daß diese Neigung
zum Allegoristren mit einer nach unsern Begriffen durchaus realistischen Kunst¬
übung parallel lief. Schon in dem gedankenreichsten und universellsten Künstler
germanischen Stammes, welchen das sechzehnte Jahrhundert hervorgebracht hat,
in Albrecht Dürer, finden sich beide Strömungen neben einander. Derselbe
Meister, welcher das lebendige Treiben der Marktbauern mit unübertrefflicher
Wahrheit schilderte, schuf so tiefsinnige und deutungsreiche Allegorien wie die
Fortuna, die Melancholie und Ritter, Tod und Teufel. Wir haben gesehen,
daß sich in den Niederlanden die ersten Regungen der Genremalerei unter
moralischen Devisen verbargen. Das rasch aufblühende Buchdruckergewerbe, dessen
Hauptsitze Leyden, Harlem, Amsterdam und Antwerpen waren -- in letzterer Stadt
gewann die Buchdruckerfamilie Plantin-Moretus sogar einen bedeutenden Einfluß
auf die Förderung der Wissenschaften und Künste --, begünstigte ganz besonders
die Produktion von allegorischen, symbolischen und emblematischen Zeichnungen.
Wenn man die Säle und Zimmer des in dem alten Hause der Plantin-Moretus
eingerichteten Museums durchwandert und die erstaunliche Menge von solchen
Zeichnungen, Kupferstichen und Holzschnitten und die Rechnungen und Quittungen
für diese künstlerischen Leistungen durchmustert, kann man sich eine Vorstellung
von dem Umfange machen, in welchem dieser Zweig der Kunst kultivirt wurde,
und zugleich von dem Werte, welchen man auf derartige Darstellungen legte.
Rubens' Lehrmeister Otto Vaenius, ein Künstler von hervorragender Gelehr¬
samkeit, war nach dieser Richtung von außerordentlicher Fruchtbarkeit. Rubens
selbst war für den Buchverlag der Moretus ebenfalls in ausgedehnter Weise,
wie wir sagen würden, als Illustrator thätig. Wie tief diese Neigung aber
auch in das Volk eingedrungen war, dafür spricht am deutlichsten die Sitte,
bei feierlichen Einholungen fürstlicher Persönlichkeiten, bei Umzügen und Volks¬
festen Schaugerüste, Triumphbogen und Triumphwagen mit allegorischen Figuren,
mit lebendigen, plastischen oder gemalten, zu besetzen. Diese Sitte ist allerdings
schon aus dem Mittelalter übernommen worden und vermutlich auf die mittel¬
alterlichen Mysterienspiele zurückzuführen. In ein festes System wurde sie
jedoch erst seit dem Anschwellen der humanistischen Bewegung gebracht. Aus
der literarischen Überlieferung ist uns das feierliche Einreiten Karls des Fünften


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

mit lateinischen Sentenzen und Versen auszustatten. Die antike Mythologie
wurde den Niederländern bald geläufiger als die christliche Legende, und wo die
Gestalten der ersteren nicht ausreichten, um abstrakte, aus der modernen Spe¬
kulation erwachsene Begriffe zu versinnlichen, wurden allegorische Figuren er¬
funden, die häufig zu umständlichen und höchst komplizirten Darstellungen
sinnbildlichen Inhalts vereinigt wurden. Es war ein angenehmes Spiel des
Verstandes, solche Darstellungen, Embleme oder Symbole, wie man sie nannte,
zu entziffern. Unsre Zeit findet an diesem trocknen Gedankenspiel keine Freude;
aber damals widmeten sich gerade die erlesensten Geister der Beschäftigung mit
Allegorien, und das merkwürdigste an dieser Erscheinung ist, daß diese Neigung
zum Allegoristren mit einer nach unsern Begriffen durchaus realistischen Kunst¬
übung parallel lief. Schon in dem gedankenreichsten und universellsten Künstler
germanischen Stammes, welchen das sechzehnte Jahrhundert hervorgebracht hat,
in Albrecht Dürer, finden sich beide Strömungen neben einander. Derselbe
Meister, welcher das lebendige Treiben der Marktbauern mit unübertrefflicher
Wahrheit schilderte, schuf so tiefsinnige und deutungsreiche Allegorien wie die
Fortuna, die Melancholie und Ritter, Tod und Teufel. Wir haben gesehen,
daß sich in den Niederlanden die ersten Regungen der Genremalerei unter
moralischen Devisen verbargen. Das rasch aufblühende Buchdruckergewerbe, dessen
Hauptsitze Leyden, Harlem, Amsterdam und Antwerpen waren — in letzterer Stadt
gewann die Buchdruckerfamilie Plantin-Moretus sogar einen bedeutenden Einfluß
auf die Förderung der Wissenschaften und Künste —, begünstigte ganz besonders
die Produktion von allegorischen, symbolischen und emblematischen Zeichnungen.
Wenn man die Säle und Zimmer des in dem alten Hause der Plantin-Moretus
eingerichteten Museums durchwandert und die erstaunliche Menge von solchen
Zeichnungen, Kupferstichen und Holzschnitten und die Rechnungen und Quittungen
für diese künstlerischen Leistungen durchmustert, kann man sich eine Vorstellung
von dem Umfange machen, in welchem dieser Zweig der Kunst kultivirt wurde,
und zugleich von dem Werte, welchen man auf derartige Darstellungen legte.
Rubens' Lehrmeister Otto Vaenius, ein Künstler von hervorragender Gelehr¬
samkeit, war nach dieser Richtung von außerordentlicher Fruchtbarkeit. Rubens
selbst war für den Buchverlag der Moretus ebenfalls in ausgedehnter Weise,
wie wir sagen würden, als Illustrator thätig. Wie tief diese Neigung aber
auch in das Volk eingedrungen war, dafür spricht am deutlichsten die Sitte,
bei feierlichen Einholungen fürstlicher Persönlichkeiten, bei Umzügen und Volks¬
festen Schaugerüste, Triumphbogen und Triumphwagen mit allegorischen Figuren,
mit lebendigen, plastischen oder gemalten, zu besetzen. Diese Sitte ist allerdings
schon aus dem Mittelalter übernommen worden und vermutlich auf die mittel¬
alterlichen Mysterienspiele zurückzuführen. In ein festes System wurde sie
jedoch erst seit dem Anschwellen der humanistischen Bewegung gebracht. Aus
der literarischen Überlieferung ist uns das feierliche Einreiten Karls des Fünften


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[0308] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. mit lateinischen Sentenzen und Versen auszustatten. Die antike Mythologie wurde den Niederländern bald geläufiger als die christliche Legende, und wo die Gestalten der ersteren nicht ausreichten, um abstrakte, aus der modernen Spe¬ kulation erwachsene Begriffe zu versinnlichen, wurden allegorische Figuren er¬ funden, die häufig zu umständlichen und höchst komplizirten Darstellungen sinnbildlichen Inhalts vereinigt wurden. Es war ein angenehmes Spiel des Verstandes, solche Darstellungen, Embleme oder Symbole, wie man sie nannte, zu entziffern. Unsre Zeit findet an diesem trocknen Gedankenspiel keine Freude; aber damals widmeten sich gerade die erlesensten Geister der Beschäftigung mit Allegorien, und das merkwürdigste an dieser Erscheinung ist, daß diese Neigung zum Allegoristren mit einer nach unsern Begriffen durchaus realistischen Kunst¬ übung parallel lief. Schon in dem gedankenreichsten und universellsten Künstler germanischen Stammes, welchen das sechzehnte Jahrhundert hervorgebracht hat, in Albrecht Dürer, finden sich beide Strömungen neben einander. Derselbe Meister, welcher das lebendige Treiben der Marktbauern mit unübertrefflicher Wahrheit schilderte, schuf so tiefsinnige und deutungsreiche Allegorien wie die Fortuna, die Melancholie und Ritter, Tod und Teufel. Wir haben gesehen, daß sich in den Niederlanden die ersten Regungen der Genremalerei unter moralischen Devisen verbargen. Das rasch aufblühende Buchdruckergewerbe, dessen Hauptsitze Leyden, Harlem, Amsterdam und Antwerpen waren — in letzterer Stadt gewann die Buchdruckerfamilie Plantin-Moretus sogar einen bedeutenden Einfluß auf die Förderung der Wissenschaften und Künste —, begünstigte ganz besonders die Produktion von allegorischen, symbolischen und emblematischen Zeichnungen. Wenn man die Säle und Zimmer des in dem alten Hause der Plantin-Moretus eingerichteten Museums durchwandert und die erstaunliche Menge von solchen Zeichnungen, Kupferstichen und Holzschnitten und die Rechnungen und Quittungen für diese künstlerischen Leistungen durchmustert, kann man sich eine Vorstellung von dem Umfange machen, in welchem dieser Zweig der Kunst kultivirt wurde, und zugleich von dem Werte, welchen man auf derartige Darstellungen legte. Rubens' Lehrmeister Otto Vaenius, ein Künstler von hervorragender Gelehr¬ samkeit, war nach dieser Richtung von außerordentlicher Fruchtbarkeit. Rubens selbst war für den Buchverlag der Moretus ebenfalls in ausgedehnter Weise, wie wir sagen würden, als Illustrator thätig. Wie tief diese Neigung aber auch in das Volk eingedrungen war, dafür spricht am deutlichsten die Sitte, bei feierlichen Einholungen fürstlicher Persönlichkeiten, bei Umzügen und Volks¬ festen Schaugerüste, Triumphbogen und Triumphwagen mit allegorischen Figuren, mit lebendigen, plastischen oder gemalten, zu besetzen. Diese Sitte ist allerdings schon aus dem Mittelalter übernommen worden und vermutlich auf die mittel¬ alterlichen Mysterienspiele zurückzuführen. In ein festes System wurde sie jedoch erst seit dem Anschwellen der humanistischen Bewegung gebracht. Aus der literarischen Überlieferung ist uns das feierliche Einreiten Karls des Fünften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/308>, abgerufen am 26.05.2024.