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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Kirchliches aus tvürtemberg.

sorgfältig vorberatcn und im Grundsatz angenommen worden waren, auch im
Plenum Annahme finden würden; aber es geschah das Gegenteil. Der katholische
Entwurf würde zwar ohne Zweifel durchgegangen sein, wenn er nicht als unlöslich
mit dem evangelischen angesehen worden wäre; die protestantische Mehrheit der
Kammer hätte, da in Würtemberg ja voller konfessioneller Friede herrscht, gern der
katholischen Minderheit einen von derselben sehnlich gewünschten Zustand bewilligt.
Aber der protestantische Entwurf fand viele Gegner, und so wurde am 22. De¬
zember mit 48 gegen 19 Stimmen und 21 Enthaltungen der katholischen Abge¬
ordneten das Eingehen auf beide Entwürfe von der Kammer abgelehnt.

Woher kam dies? Wie konnte ein Gesetz fallen, das doch einem unleug¬
bar ungerechten Zustande abhelfen sollte?

Die Antwort ist eine doppelte. Erstlich erhoben sich gegen die beantragte
Neuordnung alle die, welche überhaupt am Alten hangen, und deren Zahl ist
ja immer und überall groß. Dann setzten sich auch diejenigen zur Wehre,
welche den seitherigen Stand der Dinge deshalb nicht aufgeben wollen, weil er
für die Gemeinden bequem und nützlich war; man hatte so oft schon mit dem
Gelde des "Heiligen" so schöne Dinge möglich gemacht, man wollte sich dies
auch fernerhin nicht versagen, man wollte nicht "depossedirt werden." Zweitens
aber bekam der Entwurf auch von kirchlichen Gesichtspunkten aus Feuer von
rechts und links. Die streng kirchliche Partei und die Liberalen reichten sich
die Hand zum gemeinsamen Ansturm. Dies kam daher, daß der Entwurf aus¬
drücklich als Fortsetzung früherer gesetzgeberischer Akte auf kirchlichem Gebiete
auftrat, daß er die Organisation der evangelischen Kirche weiter entwickeln wollte,
und die Motive es aussprachen, daß die 1867 vom König als Luininu8 vxi-
Moxus eingeführte protestantische Synode zu einer staatlichen Beanstandung keinen
Anlaß biete; die Synode als Schlußstein des ganzen neuen Zustandes wurde
damit staatlich anerkannt. Diese Synode aber, so streng orthodox sie sich be¬
nommen hatte, war aus einem Wahlverfahren erwachsen, das nach modernem
Konstitutionalismus schmeckte; davon wollten aber alle streng Lutherischen nichts
wissen. Und dann verfolgt man auf dieser Seite das Ziel, die politische Ge¬
meinde nicht von der religiösen zu trennen, sondern letztere durch die erstere
wie mit einem Sauerteige zu durchdringen und alles unter den Einfluß der Re¬
ligion zu stellen, nicht aber letzterer ein gesondertes Gebiet abseits von der Welt
anzuweisen. Ein merkwürdiger Standpunkt vielleicht, daß man trotz kirchlichster
Gesinnung ein Stück kirchlicher Selbstverwaltung abzulehnen sich entschließt;
aber ohne Frage ist es doch verständlich und konsequent in sich selbst; seine
Anhänger gaben zu erkennen, daß sie die politischen Gemeinden für das reli¬
giöse Leben in ihrem Sinne nach zu erobern hofften, und warfen sozusagen die
Fahne ins feindliche Lager, um die Soldaten zum Sturm anzufeuern.

Aber noch schwerer wog die Gegnerschaft von links, als dessen hauptsäch¬
lichster Wortführer der frühere Kultusminister Rümelin, seit 1868 Kanzler der


Kirchliches aus tvürtemberg.

sorgfältig vorberatcn und im Grundsatz angenommen worden waren, auch im
Plenum Annahme finden würden; aber es geschah das Gegenteil. Der katholische
Entwurf würde zwar ohne Zweifel durchgegangen sein, wenn er nicht als unlöslich
mit dem evangelischen angesehen worden wäre; die protestantische Mehrheit der
Kammer hätte, da in Würtemberg ja voller konfessioneller Friede herrscht, gern der
katholischen Minderheit einen von derselben sehnlich gewünschten Zustand bewilligt.
Aber der protestantische Entwurf fand viele Gegner, und so wurde am 22. De¬
zember mit 48 gegen 19 Stimmen und 21 Enthaltungen der katholischen Abge¬
ordneten das Eingehen auf beide Entwürfe von der Kammer abgelehnt.

Woher kam dies? Wie konnte ein Gesetz fallen, das doch einem unleug¬
bar ungerechten Zustande abhelfen sollte?

Die Antwort ist eine doppelte. Erstlich erhoben sich gegen die beantragte
Neuordnung alle die, welche überhaupt am Alten hangen, und deren Zahl ist
ja immer und überall groß. Dann setzten sich auch diejenigen zur Wehre,
welche den seitherigen Stand der Dinge deshalb nicht aufgeben wollen, weil er
für die Gemeinden bequem und nützlich war; man hatte so oft schon mit dem
Gelde des „Heiligen" so schöne Dinge möglich gemacht, man wollte sich dies
auch fernerhin nicht versagen, man wollte nicht „depossedirt werden." Zweitens
aber bekam der Entwurf auch von kirchlichen Gesichtspunkten aus Feuer von
rechts und links. Die streng kirchliche Partei und die Liberalen reichten sich
die Hand zum gemeinsamen Ansturm. Dies kam daher, daß der Entwurf aus¬
drücklich als Fortsetzung früherer gesetzgeberischer Akte auf kirchlichem Gebiete
auftrat, daß er die Organisation der evangelischen Kirche weiter entwickeln wollte,
und die Motive es aussprachen, daß die 1867 vom König als Luininu8 vxi-
Moxus eingeführte protestantische Synode zu einer staatlichen Beanstandung keinen
Anlaß biete; die Synode als Schlußstein des ganzen neuen Zustandes wurde
damit staatlich anerkannt. Diese Synode aber, so streng orthodox sie sich be¬
nommen hatte, war aus einem Wahlverfahren erwachsen, das nach modernem
Konstitutionalismus schmeckte; davon wollten aber alle streng Lutherischen nichts
wissen. Und dann verfolgt man auf dieser Seite das Ziel, die politische Ge¬
meinde nicht von der religiösen zu trennen, sondern letztere durch die erstere
wie mit einem Sauerteige zu durchdringen und alles unter den Einfluß der Re¬
ligion zu stellen, nicht aber letzterer ein gesondertes Gebiet abseits von der Welt
anzuweisen. Ein merkwürdiger Standpunkt vielleicht, daß man trotz kirchlichster
Gesinnung ein Stück kirchlicher Selbstverwaltung abzulehnen sich entschließt;
aber ohne Frage ist es doch verständlich und konsequent in sich selbst; seine
Anhänger gaben zu erkennen, daß sie die politischen Gemeinden für das reli¬
giöse Leben in ihrem Sinne nach zu erobern hofften, und warfen sozusagen die
Fahne ins feindliche Lager, um die Soldaten zum Sturm anzufeuern.

Aber noch schwerer wog die Gegnerschaft von links, als dessen hauptsäch¬
lichster Wortführer der frühere Kultusminister Rümelin, seit 1868 Kanzler der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/335>, abgerufen am 05.06.2024.