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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Stellung der Polizei im Strafverfahren.

nachzukommen. Dies Mißtrauen mag dadurch noch verstärkt werden, daß
die Polizei ihre Verfügungen bisher regelmäßig ohne vorhergehendes kontra-
diktorisches oder gar öffentliches Verfahren ergehen ließ, sodnß die Beteiligten
über die Entstehung einer solchen Verfügung oft im Dunkeln waren, weshalb
man nicht selten hören konnte: Wer weiß, wie die Verfügung entstanden ist!
Und da auch die Entscheidungen der Beschwerdeinstanz in gleicher Weise er¬
folgten, so übertrug sich dies Mißtrauen naturgemäß auch auf diese. Als ein
einziges, aber wohl recht bezeichnendes Beispiel, wie weit dies Aburteilen liber
die Polizei ging, mag eine Stelle aus Adolf Stahrs Lebensbeschreibung des
Kaisers Tiberius dienen, wo Stahr bei der Schilderung des vortrefflichen Cha¬
rakters des Stadtpräfekten L. Piso und seiner wackern Amtsführung ohne allen
Zusammenhang ausrufen zu müssen glaubt: "Wie sticht gegen solche Charak¬
teristik das BeHaben unsrer modernen Hinckeldeys ab!" Nach den Erfahrungen
Greises*) hat sich in Preußen infolge der neueren Verwaltungsgesetze in wunder¬
barem Kontraste mit den Zuständen von 1850 bis 1858 "das Vertrauen auf
die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wiederhergestellt," und wir dürfen daher
annehmen, daß eine gleiche angenehme Wahrnehmung in den übrigen deutschen
Ländern, welche gleiche Systeme durchgeführt haben, gemacht worden ist, und in
den preußischen Provinzen, in welchen diese Gesetzgebung eingeführt werden wird,
mit dieser Einführung ebenfalls gemacht werden wird. Wunderbar aber erscheint
es im Gegensatze dazu, welches großartige Mißtrauen den Verwaltungsbehörden
und insbesondre den dabei am meisten in Betracht kommenden Polizeibehörden
im engern Sinne des Wortes in der großen Justizgesetzgebung, welche am
1. Oktober 1879 ins Leben trat, entgegengebracht wird. Es hat dies zu ganz
schiefen und unhaltbaren Zuständen bezüglich der Stellung der Polizei im
Strafverfahren geführt. Auf den folgenden Blättern sollen einige Punkte in
dieser Richtung beleuchtet werden. Bei allen diesen Punkten wird sich zeigen,
daß die Gesetzgebung die Polizeibehörden nicht als ein ebenbürtiges Glied des
Staatsorganismus, sondern als ein der speziellen Aufsicht durch andre Behörden
bedürftiges Institut betrachtet. "Durch die ganze einschlagende Gesetzgebung
der neueren Zeit, klagt das Berliner Polizeipräsidium,"*) zieht sich wie ein
roter Faden eine gewisse Besorgnis vor möglichen Willkürlichkeiten der Polizei
und das Streben, jede polizeiliche Thätigkeit mit Vorsichtsmaßregeln zu um¬
geben, die das Publikum vor dieser vermeinten Willkür schützen sollen. Leider
wird mit dieser übergroßen Vorsorge auch die Thätigkeit der Polizei gelähmt,
ihr Ansehen untergraben und gerade das bei ihr verhindert, was man an der
englischen Polizei so lobt und als musterhaft anerkennt, jenes Ansehen, jene




*) Das englische Verwaltungsrecht der Gegenwart in Vergleichung mit den deutschen
Verwaltungssystemen. Berlin, 1883. 1. Teil, S. 420.
**) Verwaltungsbericht des königlichen Polizeipräsidiums von Berlin sür die Jahre 1871
bis 1880. Berlin, 1332. S. 29.
Die Stellung der Polizei im Strafverfahren.

nachzukommen. Dies Mißtrauen mag dadurch noch verstärkt werden, daß
die Polizei ihre Verfügungen bisher regelmäßig ohne vorhergehendes kontra-
diktorisches oder gar öffentliches Verfahren ergehen ließ, sodnß die Beteiligten
über die Entstehung einer solchen Verfügung oft im Dunkeln waren, weshalb
man nicht selten hören konnte: Wer weiß, wie die Verfügung entstanden ist!
Und da auch die Entscheidungen der Beschwerdeinstanz in gleicher Weise er¬
folgten, so übertrug sich dies Mißtrauen naturgemäß auch auf diese. Als ein
einziges, aber wohl recht bezeichnendes Beispiel, wie weit dies Aburteilen liber
die Polizei ging, mag eine Stelle aus Adolf Stahrs Lebensbeschreibung des
Kaisers Tiberius dienen, wo Stahr bei der Schilderung des vortrefflichen Cha¬
rakters des Stadtpräfekten L. Piso und seiner wackern Amtsführung ohne allen
Zusammenhang ausrufen zu müssen glaubt: „Wie sticht gegen solche Charak¬
teristik das BeHaben unsrer modernen Hinckeldeys ab!" Nach den Erfahrungen
Greises*) hat sich in Preußen infolge der neueren Verwaltungsgesetze in wunder¬
barem Kontraste mit den Zuständen von 1850 bis 1858 „das Vertrauen auf
die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wiederhergestellt," und wir dürfen daher
annehmen, daß eine gleiche angenehme Wahrnehmung in den übrigen deutschen
Ländern, welche gleiche Systeme durchgeführt haben, gemacht worden ist, und in
den preußischen Provinzen, in welchen diese Gesetzgebung eingeführt werden wird,
mit dieser Einführung ebenfalls gemacht werden wird. Wunderbar aber erscheint
es im Gegensatze dazu, welches großartige Mißtrauen den Verwaltungsbehörden
und insbesondre den dabei am meisten in Betracht kommenden Polizeibehörden
im engern Sinne des Wortes in der großen Justizgesetzgebung, welche am
1. Oktober 1879 ins Leben trat, entgegengebracht wird. Es hat dies zu ganz
schiefen und unhaltbaren Zuständen bezüglich der Stellung der Polizei im
Strafverfahren geführt. Auf den folgenden Blättern sollen einige Punkte in
dieser Richtung beleuchtet werden. Bei allen diesen Punkten wird sich zeigen,
daß die Gesetzgebung die Polizeibehörden nicht als ein ebenbürtiges Glied des
Staatsorganismus, sondern als ein der speziellen Aufsicht durch andre Behörden
bedürftiges Institut betrachtet. „Durch die ganze einschlagende Gesetzgebung
der neueren Zeit, klagt das Berliner Polizeipräsidium,"*) zieht sich wie ein
roter Faden eine gewisse Besorgnis vor möglichen Willkürlichkeiten der Polizei
und das Streben, jede polizeiliche Thätigkeit mit Vorsichtsmaßregeln zu um¬
geben, die das Publikum vor dieser vermeinten Willkür schützen sollen. Leider
wird mit dieser übergroßen Vorsorge auch die Thätigkeit der Polizei gelähmt,
ihr Ansehen untergraben und gerade das bei ihr verhindert, was man an der
englischen Polizei so lobt und als musterhaft anerkennt, jenes Ansehen, jene




*) Das englische Verwaltungsrecht der Gegenwart in Vergleichung mit den deutschen
Verwaltungssystemen. Berlin, 1883. 1. Teil, S. 420.
**) Verwaltungsbericht des königlichen Polizeipräsidiums von Berlin sür die Jahre 1871
bis 1880. Berlin, 1332. S. 29.
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[0338] Die Stellung der Polizei im Strafverfahren. nachzukommen. Dies Mißtrauen mag dadurch noch verstärkt werden, daß die Polizei ihre Verfügungen bisher regelmäßig ohne vorhergehendes kontra- diktorisches oder gar öffentliches Verfahren ergehen ließ, sodnß die Beteiligten über die Entstehung einer solchen Verfügung oft im Dunkeln waren, weshalb man nicht selten hören konnte: Wer weiß, wie die Verfügung entstanden ist! Und da auch die Entscheidungen der Beschwerdeinstanz in gleicher Weise er¬ folgten, so übertrug sich dies Mißtrauen naturgemäß auch auf diese. Als ein einziges, aber wohl recht bezeichnendes Beispiel, wie weit dies Aburteilen liber die Polizei ging, mag eine Stelle aus Adolf Stahrs Lebensbeschreibung des Kaisers Tiberius dienen, wo Stahr bei der Schilderung des vortrefflichen Cha¬ rakters des Stadtpräfekten L. Piso und seiner wackern Amtsführung ohne allen Zusammenhang ausrufen zu müssen glaubt: „Wie sticht gegen solche Charak¬ teristik das BeHaben unsrer modernen Hinckeldeys ab!" Nach den Erfahrungen Greises*) hat sich in Preußen infolge der neueren Verwaltungsgesetze in wunder¬ barem Kontraste mit den Zuständen von 1850 bis 1858 „das Vertrauen auf die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wiederhergestellt," und wir dürfen daher annehmen, daß eine gleiche angenehme Wahrnehmung in den übrigen deutschen Ländern, welche gleiche Systeme durchgeführt haben, gemacht worden ist, und in den preußischen Provinzen, in welchen diese Gesetzgebung eingeführt werden wird, mit dieser Einführung ebenfalls gemacht werden wird. Wunderbar aber erscheint es im Gegensatze dazu, welches großartige Mißtrauen den Verwaltungsbehörden und insbesondre den dabei am meisten in Betracht kommenden Polizeibehörden im engern Sinne des Wortes in der großen Justizgesetzgebung, welche am 1. Oktober 1879 ins Leben trat, entgegengebracht wird. Es hat dies zu ganz schiefen und unhaltbaren Zuständen bezüglich der Stellung der Polizei im Strafverfahren geführt. Auf den folgenden Blättern sollen einige Punkte in dieser Richtung beleuchtet werden. Bei allen diesen Punkten wird sich zeigen, daß die Gesetzgebung die Polizeibehörden nicht als ein ebenbürtiges Glied des Staatsorganismus, sondern als ein der speziellen Aufsicht durch andre Behörden bedürftiges Institut betrachtet. „Durch die ganze einschlagende Gesetzgebung der neueren Zeit, klagt das Berliner Polizeipräsidium,"*) zieht sich wie ein roter Faden eine gewisse Besorgnis vor möglichen Willkürlichkeiten der Polizei und das Streben, jede polizeiliche Thätigkeit mit Vorsichtsmaßregeln zu um¬ geben, die das Publikum vor dieser vermeinten Willkür schützen sollen. Leider wird mit dieser übergroßen Vorsorge auch die Thätigkeit der Polizei gelähmt, ihr Ansehen untergraben und gerade das bei ihr verhindert, was man an der englischen Polizei so lobt und als musterhaft anerkennt, jenes Ansehen, jene *) Das englische Verwaltungsrecht der Gegenwart in Vergleichung mit den deutschen Verwaltungssystemen. Berlin, 1883. 1. Teil, S. 420. **) Verwaltungsbericht des königlichen Polizeipräsidiums von Berlin sür die Jahre 1871 bis 1880. Berlin, 1332. S. 29.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/338>, abgerufen am 16.05.2024.