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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Stellung der Polizei im Strafverfahre".

amtliche Würde, mit der der Konstabler dem Publikum entgegentritt und ihm
gegenübersteht."

Drei Punkte mögen hier speziell erörtert werden: 1. Die Stellung der
Polizei im Ermittlungsverfahren, 2. die Vertretung der polizeilichen Interessen
vor Gericht, namentlich nach vorausgegangener polizeilicher Strafverfügung, und
3. die richterliche Prüfung von Polizeiverordnungen.

1. Ganz mit Recht legt die "Begründung" des dem Reichstage vorgelegten
Entwurfs eines Gerichtsverfassungsgesctzes (zu Paragraph 123 des Entwurfs)
einen entscheidenden Wert darauf, auch "ohne gerichtliches Verfahren die Grund¬
losigkeit einer Denunziation oder eines angeregten Verdachtes zu erkennen und
also ergebnislose Untersuchungen zu vermeiden." Es ist nun die Frage, auf
welchem Wege man dies Ziel am besten erreicht. Selbstverständlich muß in
allen Fällen das Ermittlungsverfahren in der von der Staatsanwaltschaft an¬
gegebenen Richtung -- im allgemeinen und im speziellen -- geführt werden,
oder, um mit der "Begründung" zu reden, es ist unzweifelhaft, daß der Staats¬
anwaltschaft als "derjenigen Behörde, welcher die Verantwortlichkeit für die Ver¬
folgung strafbarer Handlungen zugewiesen ist, notwendig auch die Organe zu
Dienste stehen müssen, deren sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe bedarf."

Man kann nun das Ermittlungsverfahren den Gerichten überlassen, man
kann es den Polizeibehörden übertragen, man kann auch, dem von Robert von Mohl
in seinem Lehrbuch der Polizeiwissenschaft entwickelten System folgend, dafür
eine eigne Behörde der Prüventivjustiz oder gerichtlichen Polizei schaffen. Das
erste System, auf welches wir weiter unten noch zurückkommen werden, war
bei Erlaß der Juftizgesetze nirgends mehr in Übung, sämtliche damals giltigen
Strafprozeßordnungen kannten nur ein polizeiliches Ermittlungsverfahren. Ein
solches wird nun theoretisch am richtigsten nach dem Mohlschen System ein¬
gerichtet, da nach diesem der für die Ermittlung der Gesetzesübertretungen Ver¬
antwortlicher Staatsanwaltschaft auch das Ermittlungsverfahren vollständig
überlassen wird, sodaß dann das Ermittlungsverfahren als eine Justizsache auch
nur in den Händen von Justizbehörden unter Ausschluß aller Verwaltungs¬
behörden liegt. So theoretisch richtig aber dieser Gedanke auch ist, so wenig
ist er praktisch durchführbar; denn bei ganz konsequenter Durchführung des¬
selben muß auch die Sicherheitspolizei unter die Staatsanwaltschaft gestellt
werden, wodurch diese mit einer Menge von Dingen belastet wird, welche mit
ihrer eigentlichen Thätigkeit nichts gemein haben, vielmehr wiederum in das
Gebiet der Verwaltung übergreifen. Will man aber die Gerichts- und die
Sicherheitspolizei trennen und unter verschiedne Behörden stellen, so erhält man
-- neben einer ganz bedeutenden Belastung des Staatsbudgets -- zwei kon-
kurrirende Arten von Polizei, welche sich mit ihrer Thätigkeit gegenseitig kreuzen
und hemmen. Es ist daher dies System, obwohl es von einer so bedeutenden
Autorität wie Mohl lebhaft verteidigt worden ist, nirgends zur Durchführung


Die Stellung der Polizei im Strafverfahre».

amtliche Würde, mit der der Konstabler dem Publikum entgegentritt und ihm
gegenübersteht."

Drei Punkte mögen hier speziell erörtert werden: 1. Die Stellung der
Polizei im Ermittlungsverfahren, 2. die Vertretung der polizeilichen Interessen
vor Gericht, namentlich nach vorausgegangener polizeilicher Strafverfügung, und
3. die richterliche Prüfung von Polizeiverordnungen.

1. Ganz mit Recht legt die „Begründung" des dem Reichstage vorgelegten
Entwurfs eines Gerichtsverfassungsgesctzes (zu Paragraph 123 des Entwurfs)
einen entscheidenden Wert darauf, auch „ohne gerichtliches Verfahren die Grund¬
losigkeit einer Denunziation oder eines angeregten Verdachtes zu erkennen und
also ergebnislose Untersuchungen zu vermeiden." Es ist nun die Frage, auf
welchem Wege man dies Ziel am besten erreicht. Selbstverständlich muß in
allen Fällen das Ermittlungsverfahren in der von der Staatsanwaltschaft an¬
gegebenen Richtung — im allgemeinen und im speziellen — geführt werden,
oder, um mit der „Begründung" zu reden, es ist unzweifelhaft, daß der Staats¬
anwaltschaft als „derjenigen Behörde, welcher die Verantwortlichkeit für die Ver¬
folgung strafbarer Handlungen zugewiesen ist, notwendig auch die Organe zu
Dienste stehen müssen, deren sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe bedarf."

Man kann nun das Ermittlungsverfahren den Gerichten überlassen, man
kann es den Polizeibehörden übertragen, man kann auch, dem von Robert von Mohl
in seinem Lehrbuch der Polizeiwissenschaft entwickelten System folgend, dafür
eine eigne Behörde der Prüventivjustiz oder gerichtlichen Polizei schaffen. Das
erste System, auf welches wir weiter unten noch zurückkommen werden, war
bei Erlaß der Juftizgesetze nirgends mehr in Übung, sämtliche damals giltigen
Strafprozeßordnungen kannten nur ein polizeiliches Ermittlungsverfahren. Ein
solches wird nun theoretisch am richtigsten nach dem Mohlschen System ein¬
gerichtet, da nach diesem der für die Ermittlung der Gesetzesübertretungen Ver¬
antwortlicher Staatsanwaltschaft auch das Ermittlungsverfahren vollständig
überlassen wird, sodaß dann das Ermittlungsverfahren als eine Justizsache auch
nur in den Händen von Justizbehörden unter Ausschluß aller Verwaltungs¬
behörden liegt. So theoretisch richtig aber dieser Gedanke auch ist, so wenig
ist er praktisch durchführbar; denn bei ganz konsequenter Durchführung des¬
selben muß auch die Sicherheitspolizei unter die Staatsanwaltschaft gestellt
werden, wodurch diese mit einer Menge von Dingen belastet wird, welche mit
ihrer eigentlichen Thätigkeit nichts gemein haben, vielmehr wiederum in das
Gebiet der Verwaltung übergreifen. Will man aber die Gerichts- und die
Sicherheitspolizei trennen und unter verschiedne Behörden stellen, so erhält man
— neben einer ganz bedeutenden Belastung des Staatsbudgets — zwei kon-
kurrirende Arten von Polizei, welche sich mit ihrer Thätigkeit gegenseitig kreuzen
und hemmen. Es ist daher dies System, obwohl es von einer so bedeutenden
Autorität wie Mohl lebhaft verteidigt worden ist, nirgends zur Durchführung


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[0339] Die Stellung der Polizei im Strafverfahre». amtliche Würde, mit der der Konstabler dem Publikum entgegentritt und ihm gegenübersteht." Drei Punkte mögen hier speziell erörtert werden: 1. Die Stellung der Polizei im Ermittlungsverfahren, 2. die Vertretung der polizeilichen Interessen vor Gericht, namentlich nach vorausgegangener polizeilicher Strafverfügung, und 3. die richterliche Prüfung von Polizeiverordnungen. 1. Ganz mit Recht legt die „Begründung" des dem Reichstage vorgelegten Entwurfs eines Gerichtsverfassungsgesctzes (zu Paragraph 123 des Entwurfs) einen entscheidenden Wert darauf, auch „ohne gerichtliches Verfahren die Grund¬ losigkeit einer Denunziation oder eines angeregten Verdachtes zu erkennen und also ergebnislose Untersuchungen zu vermeiden." Es ist nun die Frage, auf welchem Wege man dies Ziel am besten erreicht. Selbstverständlich muß in allen Fällen das Ermittlungsverfahren in der von der Staatsanwaltschaft an¬ gegebenen Richtung — im allgemeinen und im speziellen — geführt werden, oder, um mit der „Begründung" zu reden, es ist unzweifelhaft, daß der Staats¬ anwaltschaft als „derjenigen Behörde, welcher die Verantwortlichkeit für die Ver¬ folgung strafbarer Handlungen zugewiesen ist, notwendig auch die Organe zu Dienste stehen müssen, deren sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe bedarf." Man kann nun das Ermittlungsverfahren den Gerichten überlassen, man kann es den Polizeibehörden übertragen, man kann auch, dem von Robert von Mohl in seinem Lehrbuch der Polizeiwissenschaft entwickelten System folgend, dafür eine eigne Behörde der Prüventivjustiz oder gerichtlichen Polizei schaffen. Das erste System, auf welches wir weiter unten noch zurückkommen werden, war bei Erlaß der Juftizgesetze nirgends mehr in Übung, sämtliche damals giltigen Strafprozeßordnungen kannten nur ein polizeiliches Ermittlungsverfahren. Ein solches wird nun theoretisch am richtigsten nach dem Mohlschen System ein¬ gerichtet, da nach diesem der für die Ermittlung der Gesetzesübertretungen Ver¬ antwortlicher Staatsanwaltschaft auch das Ermittlungsverfahren vollständig überlassen wird, sodaß dann das Ermittlungsverfahren als eine Justizsache auch nur in den Händen von Justizbehörden unter Ausschluß aller Verwaltungs¬ behörden liegt. So theoretisch richtig aber dieser Gedanke auch ist, so wenig ist er praktisch durchführbar; denn bei ganz konsequenter Durchführung des¬ selben muß auch die Sicherheitspolizei unter die Staatsanwaltschaft gestellt werden, wodurch diese mit einer Menge von Dingen belastet wird, welche mit ihrer eigentlichen Thätigkeit nichts gemein haben, vielmehr wiederum in das Gebiet der Verwaltung übergreifen. Will man aber die Gerichts- und die Sicherheitspolizei trennen und unter verschiedne Behörden stellen, so erhält man — neben einer ganz bedeutenden Belastung des Staatsbudgets — zwei kon- kurrirende Arten von Polizei, welche sich mit ihrer Thätigkeit gegenseitig kreuzen und hemmen. Es ist daher dies System, obwohl es von einer so bedeutenden Autorität wie Mohl lebhaft verteidigt worden ist, nirgends zur Durchführung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/339>, abgerufen am 01.11.2024.