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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Polizei, welche noch dazu durch die Vornahme der weiteren Ermittlungen nur
von ihrer eigentlichen Thätigkeit abgezogen wird, giebt es auch kaum eine
unerquicklichere Thätigkeit als diese Ermittlungen, da sie vom Ergebnis derselben
nie etwas mitgeteilt erhält, höchstens den inhaltsleeren Tenor des Urteils über
einen in ihrem Bezirk angesessenen Übelthäter zur Aufnahme in die Personal¬
akten desselben, sodaß sie nie erfährt, ob sie mit Erfolg und den Fortschritten
der Rechtswissenschaft entsprechend gearbeitet hat oder nicht. Ja es kommt vor,
daß die Polizei nach Abgabe der Akten an die Staatsanwaltschaft gemäß ihrer
Verpflichtung aus § 161 der Strafprozeßordnung") immer fort weitere Er¬
mittlungen versucht, während der Verbrecher, ohne daß es die Polizei erfährt,
an einem andern Orte verhaftet ist oder die Sache sonst ihre Erledigung gefunden
hat. Aber das Ermittlungsverfahren gewinnt auch materiell in den Händen
der Gerichte, da der Richter Fühlung mit der Fortentwicklung der Rechts¬
wissenschaft hat, die gerichtlichen Protokolle im Gegensatz zu den polizeilich
aufgenommenen volle Glaubwürdigkeit besitzen, vor Gericht der Zeuge die Wahr¬
heit reden muß und der Richter nach K 65 der Strafprozeßordnung den
Zeugen vereidigen kann, was selbstverständlich der Polizei versagt sein muß.
Es liegt sonach geradezu im Interesse der Autorität der Polizei, wenn ihr
das Ermittlungsverfahren abgenommen wird, da diese Autorität nur leidet,
wenn in der gerichtlichen Hauptverhandlung die größere oder geringere Wert-
losigkeit der Handlungen und Protokolle der Polizei in Gestalt der Erörte¬
rungen über die Glaubwürdigkeit der von der Polizei abgegebenen Aussagen
einen Gegenstand der Erörterung bilden kann und muß.

Aus alledem erhellt, daß das Ermittlungsverfahren, soweit es über die
erste Ermittlung hinausgeht, den Gerichten zu übertragen ist; will man dies
aber nicht, dann beseitige man die durch die Strafprozeßordnung eingeführten
Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft wieder und gebe der Polizei die Stellung
zurück, welche sie vor dem 1. Oktober 1879 einnahm. Es wird sich anch auf
diesem Boden durch spezielle Vorschriften über die Befolgung ergehender Er¬
suchen ein organisches Verhältnis zwischen Polizei lind Staatsanwaltschaft
herstellen lassen.

2. Gleichfalls sehr bedenklich ist die Vertretung polizeilicher Interessen vor
Gericht, namentlich nach vorausgegangener polizeilicher Strafverfolgung, und
zwar in doppelter Richtung: bezüglich des Verhältnisses der Polizei zur
Staatsanwaltschaft und bezüglich der gerichtlichen Verhandlung selbst.

Zunächst muß hervorgehoben werden, daß der Staatsanwalt (Staatscmwnlt
im engeren Sinne und Amtscinwalt) nicht verpflichtet ist, polizeiliche Ersuchen
auszuführen, die Polizei aber auch nicht berechtigt ist, etwaige ihr notwendig
erscheinende Anträge selbst zum gerichtlichen Austrage zu bringen. Der Privat-



") Schwarze, Kommentar zu Z 161 Anmerkung,

Polizei, welche noch dazu durch die Vornahme der weiteren Ermittlungen nur
von ihrer eigentlichen Thätigkeit abgezogen wird, giebt es auch kaum eine
unerquicklichere Thätigkeit als diese Ermittlungen, da sie vom Ergebnis derselben
nie etwas mitgeteilt erhält, höchstens den inhaltsleeren Tenor des Urteils über
einen in ihrem Bezirk angesessenen Übelthäter zur Aufnahme in die Personal¬
akten desselben, sodaß sie nie erfährt, ob sie mit Erfolg und den Fortschritten
der Rechtswissenschaft entsprechend gearbeitet hat oder nicht. Ja es kommt vor,
daß die Polizei nach Abgabe der Akten an die Staatsanwaltschaft gemäß ihrer
Verpflichtung aus § 161 der Strafprozeßordnung") immer fort weitere Er¬
mittlungen versucht, während der Verbrecher, ohne daß es die Polizei erfährt,
an einem andern Orte verhaftet ist oder die Sache sonst ihre Erledigung gefunden
hat. Aber das Ermittlungsverfahren gewinnt auch materiell in den Händen
der Gerichte, da der Richter Fühlung mit der Fortentwicklung der Rechts¬
wissenschaft hat, die gerichtlichen Protokolle im Gegensatz zu den polizeilich
aufgenommenen volle Glaubwürdigkeit besitzen, vor Gericht der Zeuge die Wahr¬
heit reden muß und der Richter nach K 65 der Strafprozeßordnung den
Zeugen vereidigen kann, was selbstverständlich der Polizei versagt sein muß.
Es liegt sonach geradezu im Interesse der Autorität der Polizei, wenn ihr
das Ermittlungsverfahren abgenommen wird, da diese Autorität nur leidet,
wenn in der gerichtlichen Hauptverhandlung die größere oder geringere Wert-
losigkeit der Handlungen und Protokolle der Polizei in Gestalt der Erörte¬
rungen über die Glaubwürdigkeit der von der Polizei abgegebenen Aussagen
einen Gegenstand der Erörterung bilden kann und muß.

Aus alledem erhellt, daß das Ermittlungsverfahren, soweit es über die
erste Ermittlung hinausgeht, den Gerichten zu übertragen ist; will man dies
aber nicht, dann beseitige man die durch die Strafprozeßordnung eingeführten
Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft wieder und gebe der Polizei die Stellung
zurück, welche sie vor dem 1. Oktober 1879 einnahm. Es wird sich anch auf
diesem Boden durch spezielle Vorschriften über die Befolgung ergehender Er¬
suchen ein organisches Verhältnis zwischen Polizei lind Staatsanwaltschaft
herstellen lassen.

2. Gleichfalls sehr bedenklich ist die Vertretung polizeilicher Interessen vor
Gericht, namentlich nach vorausgegangener polizeilicher Strafverfolgung, und
zwar in doppelter Richtung: bezüglich des Verhältnisses der Polizei zur
Staatsanwaltschaft und bezüglich der gerichtlichen Verhandlung selbst.

Zunächst muß hervorgehoben werden, daß der Staatsanwalt (Staatscmwnlt
im engeren Sinne und Amtscinwalt) nicht verpflichtet ist, polizeiliche Ersuchen
auszuführen, die Polizei aber auch nicht berechtigt ist, etwaige ihr notwendig
erscheinende Anträge selbst zum gerichtlichen Austrage zu bringen. Der Privat-



") Schwarze, Kommentar zu Z 161 Anmerkung,
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[0345] Polizei, welche noch dazu durch die Vornahme der weiteren Ermittlungen nur von ihrer eigentlichen Thätigkeit abgezogen wird, giebt es auch kaum eine unerquicklichere Thätigkeit als diese Ermittlungen, da sie vom Ergebnis derselben nie etwas mitgeteilt erhält, höchstens den inhaltsleeren Tenor des Urteils über einen in ihrem Bezirk angesessenen Übelthäter zur Aufnahme in die Personal¬ akten desselben, sodaß sie nie erfährt, ob sie mit Erfolg und den Fortschritten der Rechtswissenschaft entsprechend gearbeitet hat oder nicht. Ja es kommt vor, daß die Polizei nach Abgabe der Akten an die Staatsanwaltschaft gemäß ihrer Verpflichtung aus § 161 der Strafprozeßordnung") immer fort weitere Er¬ mittlungen versucht, während der Verbrecher, ohne daß es die Polizei erfährt, an einem andern Orte verhaftet ist oder die Sache sonst ihre Erledigung gefunden hat. Aber das Ermittlungsverfahren gewinnt auch materiell in den Händen der Gerichte, da der Richter Fühlung mit der Fortentwicklung der Rechts¬ wissenschaft hat, die gerichtlichen Protokolle im Gegensatz zu den polizeilich aufgenommenen volle Glaubwürdigkeit besitzen, vor Gericht der Zeuge die Wahr¬ heit reden muß und der Richter nach K 65 der Strafprozeßordnung den Zeugen vereidigen kann, was selbstverständlich der Polizei versagt sein muß. Es liegt sonach geradezu im Interesse der Autorität der Polizei, wenn ihr das Ermittlungsverfahren abgenommen wird, da diese Autorität nur leidet, wenn in der gerichtlichen Hauptverhandlung die größere oder geringere Wert- losigkeit der Handlungen und Protokolle der Polizei in Gestalt der Erörte¬ rungen über die Glaubwürdigkeit der von der Polizei abgegebenen Aussagen einen Gegenstand der Erörterung bilden kann und muß. Aus alledem erhellt, daß das Ermittlungsverfahren, soweit es über die erste Ermittlung hinausgeht, den Gerichten zu übertragen ist; will man dies aber nicht, dann beseitige man die durch die Strafprozeßordnung eingeführten Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft wieder und gebe der Polizei die Stellung zurück, welche sie vor dem 1. Oktober 1879 einnahm. Es wird sich anch auf diesem Boden durch spezielle Vorschriften über die Befolgung ergehender Er¬ suchen ein organisches Verhältnis zwischen Polizei lind Staatsanwaltschaft herstellen lassen. 2. Gleichfalls sehr bedenklich ist die Vertretung polizeilicher Interessen vor Gericht, namentlich nach vorausgegangener polizeilicher Strafverfolgung, und zwar in doppelter Richtung: bezüglich des Verhältnisses der Polizei zur Staatsanwaltschaft und bezüglich der gerichtlichen Verhandlung selbst. Zunächst muß hervorgehoben werden, daß der Staatsanwalt (Staatscmwnlt im engeren Sinne und Amtscinwalt) nicht verpflichtet ist, polizeiliche Ersuchen auszuführen, die Polizei aber auch nicht berechtigt ist, etwaige ihr notwendig erscheinende Anträge selbst zum gerichtlichen Austrage zu bringen. Der Privat- ") Schwarze, Kommentar zu Z 161 Anmerkung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/345>, abgerufen am 29.05.2024.