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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Stellung der Polizei im Strafverfahren.

manu kann Privatklage erheben und als Nebenkläger auftreten, in allen hierzu
nicht geeigneten Fällen nach 8 170 der Strafprozeßordnung den Staats-
anwalt durch das Gericht zur Erhebung der Anklage zwingen lassen, der
ihn vertretende Rechtsanwalt mus; nach seinen Instruktionen handeln. Die
Steuerbehörden, welche doch gewiß auch einen mehr einseitigen Standpunkt,
die Vertretung des pekuniären Interesses des Fiskus haben, können nach
Z 459 ff. der Strafprozeßordnung neben dem Staatsanwalt als Nebenkläger
auftreten oder, wenn der Staatsanwalt die Klcigerhcbnng verweigert, selbst
klagend auftreten. Die Polizei aber ist schlechter als der Privatmann und als
die Steuerbehörde gestellt, sie ist vollständig abhängig von dem Ermessen der
Staats- (und Amts)anwaltschaft hingestellt worden, und es ist dies auch nach
dem Grundgedanken der Strafprozeßordnung ganz konsequent, da ja darnach
nur durch Unterordnung unter die Staatsanwaltschaft der Polizei eine "gesetzliche
Haltung" verliehen werden konnte. Aber trotz aller Konsequenz in der Durch¬
führung des Systems führt diese Bestimmung doch zu sehr eigentümlichen
weiteren Konsequenzen. Keine Polizeibehörde kann in Angelegenheiten, welche
ihr Ressort betreffen, eine richterliche Entscheidung herbeiführen oder gegen eine
Entscheidung der unteren Instanz die einer höheren Instanz anrufen, wenn der
Staats- oder Amtscmwalt nicht will; der Regierungspräsident hängt z. B. von
dem Büreaugehilfcn oder dem in der Justiz und Verwaltung vollständig unaus-
gebildeten Privatmanne ab, welchem man in Ermangelung geeigneter anderweiter
Personen die Thätigkeit des Nmtsanwalts bei einem kleineren Gerichte übertragen
hat. Nun haben die Polizeibehörden (Landes- und Ortspolizeibehörden) doch
sehr oft ein bedeutendes Interesse daran, über eine bestimmte Frage überhaupt
eine richterliche Entscheidung oder gar eine solche präjudizieller Natur zu er¬
wirken, teils um ihre Praxis darnach einzurichten, teils um vielleicht die Ab¬
änderung unhaltbar erwiesener Bestimmungen herbeizuführen. Wenn aber die
Staatsanwaltschaft nicht will, so ist die Polizei vollständig machtlos, und selbst
eine Beschwerde an die höhere Instanz der Staatsanwaltschaft kann nicht immer
helfen, da bis zu deren Erledigung die Verjährung der Übertretung vollendet
sein kaun, die Berufungsfrist immer verstrichen sein wird.

Ganz besonders treten aber diese Übelstände im Verfahren nach voraus¬
gegangene" polizeilichen Strafverfüguugeu hervor, deren Mehrzahl doch "zur
Aufrechterhaltung der polizeilichen Ordnung, nicht zur Sühne eines Rechts-
bruches" dient, "wenn auch der Form nach die VerHandlungsweise eines Kri¬
minalprozesses daraus übertragen worden ist."*) Wird gegen diese Strafver¬
fügungen Widerspruch, d. h. Berufung an das Schöffengericht erhoben, worauf
wir später noch spezieller zurückkommen werden, so kann die Polizei nicht selbst
handelnd auftreten, es kommt auf den Amtsanwalt an, ob er die Strafver-



") S. Gneist a. a. O., Bd. 1, S. 267, Anm. 1.
Die Stellung der Polizei im Strafverfahren.

manu kann Privatklage erheben und als Nebenkläger auftreten, in allen hierzu
nicht geeigneten Fällen nach 8 170 der Strafprozeßordnung den Staats-
anwalt durch das Gericht zur Erhebung der Anklage zwingen lassen, der
ihn vertretende Rechtsanwalt mus; nach seinen Instruktionen handeln. Die
Steuerbehörden, welche doch gewiß auch einen mehr einseitigen Standpunkt,
die Vertretung des pekuniären Interesses des Fiskus haben, können nach
Z 459 ff. der Strafprozeßordnung neben dem Staatsanwalt als Nebenkläger
auftreten oder, wenn der Staatsanwalt die Klcigerhcbnng verweigert, selbst
klagend auftreten. Die Polizei aber ist schlechter als der Privatmann und als
die Steuerbehörde gestellt, sie ist vollständig abhängig von dem Ermessen der
Staats- (und Amts)anwaltschaft hingestellt worden, und es ist dies auch nach
dem Grundgedanken der Strafprozeßordnung ganz konsequent, da ja darnach
nur durch Unterordnung unter die Staatsanwaltschaft der Polizei eine „gesetzliche
Haltung" verliehen werden konnte. Aber trotz aller Konsequenz in der Durch¬
führung des Systems führt diese Bestimmung doch zu sehr eigentümlichen
weiteren Konsequenzen. Keine Polizeibehörde kann in Angelegenheiten, welche
ihr Ressort betreffen, eine richterliche Entscheidung herbeiführen oder gegen eine
Entscheidung der unteren Instanz die einer höheren Instanz anrufen, wenn der
Staats- oder Amtscmwalt nicht will; der Regierungspräsident hängt z. B. von
dem Büreaugehilfcn oder dem in der Justiz und Verwaltung vollständig unaus-
gebildeten Privatmanne ab, welchem man in Ermangelung geeigneter anderweiter
Personen die Thätigkeit des Nmtsanwalts bei einem kleineren Gerichte übertragen
hat. Nun haben die Polizeibehörden (Landes- und Ortspolizeibehörden) doch
sehr oft ein bedeutendes Interesse daran, über eine bestimmte Frage überhaupt
eine richterliche Entscheidung oder gar eine solche präjudizieller Natur zu er¬
wirken, teils um ihre Praxis darnach einzurichten, teils um vielleicht die Ab¬
änderung unhaltbar erwiesener Bestimmungen herbeizuführen. Wenn aber die
Staatsanwaltschaft nicht will, so ist die Polizei vollständig machtlos, und selbst
eine Beschwerde an die höhere Instanz der Staatsanwaltschaft kann nicht immer
helfen, da bis zu deren Erledigung die Verjährung der Übertretung vollendet
sein kaun, die Berufungsfrist immer verstrichen sein wird.

Ganz besonders treten aber diese Übelstände im Verfahren nach voraus¬
gegangene» polizeilichen Strafverfüguugeu hervor, deren Mehrzahl doch „zur
Aufrechterhaltung der polizeilichen Ordnung, nicht zur Sühne eines Rechts-
bruches" dient, „wenn auch der Form nach die VerHandlungsweise eines Kri¬
minalprozesses daraus übertragen worden ist."*) Wird gegen diese Strafver¬
fügungen Widerspruch, d. h. Berufung an das Schöffengericht erhoben, worauf
wir später noch spezieller zurückkommen werden, so kann die Polizei nicht selbst
handelnd auftreten, es kommt auf den Amtsanwalt an, ob er die Strafver-



") S. Gneist a. a. O., Bd. 1, S. 267, Anm. 1.
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[0346] Die Stellung der Polizei im Strafverfahren. manu kann Privatklage erheben und als Nebenkläger auftreten, in allen hierzu nicht geeigneten Fällen nach 8 170 der Strafprozeßordnung den Staats- anwalt durch das Gericht zur Erhebung der Anklage zwingen lassen, der ihn vertretende Rechtsanwalt mus; nach seinen Instruktionen handeln. Die Steuerbehörden, welche doch gewiß auch einen mehr einseitigen Standpunkt, die Vertretung des pekuniären Interesses des Fiskus haben, können nach Z 459 ff. der Strafprozeßordnung neben dem Staatsanwalt als Nebenkläger auftreten oder, wenn der Staatsanwalt die Klcigerhcbnng verweigert, selbst klagend auftreten. Die Polizei aber ist schlechter als der Privatmann und als die Steuerbehörde gestellt, sie ist vollständig abhängig von dem Ermessen der Staats- (und Amts)anwaltschaft hingestellt worden, und es ist dies auch nach dem Grundgedanken der Strafprozeßordnung ganz konsequent, da ja darnach nur durch Unterordnung unter die Staatsanwaltschaft der Polizei eine „gesetzliche Haltung" verliehen werden konnte. Aber trotz aller Konsequenz in der Durch¬ führung des Systems führt diese Bestimmung doch zu sehr eigentümlichen weiteren Konsequenzen. Keine Polizeibehörde kann in Angelegenheiten, welche ihr Ressort betreffen, eine richterliche Entscheidung herbeiführen oder gegen eine Entscheidung der unteren Instanz die einer höheren Instanz anrufen, wenn der Staats- oder Amtscmwalt nicht will; der Regierungspräsident hängt z. B. von dem Büreaugehilfcn oder dem in der Justiz und Verwaltung vollständig unaus- gebildeten Privatmanne ab, welchem man in Ermangelung geeigneter anderweiter Personen die Thätigkeit des Nmtsanwalts bei einem kleineren Gerichte übertragen hat. Nun haben die Polizeibehörden (Landes- und Ortspolizeibehörden) doch sehr oft ein bedeutendes Interesse daran, über eine bestimmte Frage überhaupt eine richterliche Entscheidung oder gar eine solche präjudizieller Natur zu er¬ wirken, teils um ihre Praxis darnach einzurichten, teils um vielleicht die Ab¬ änderung unhaltbar erwiesener Bestimmungen herbeizuführen. Wenn aber die Staatsanwaltschaft nicht will, so ist die Polizei vollständig machtlos, und selbst eine Beschwerde an die höhere Instanz der Staatsanwaltschaft kann nicht immer helfen, da bis zu deren Erledigung die Verjährung der Übertretung vollendet sein kaun, die Berufungsfrist immer verstrichen sein wird. Ganz besonders treten aber diese Übelstände im Verfahren nach voraus¬ gegangene» polizeilichen Strafverfüguugeu hervor, deren Mehrzahl doch „zur Aufrechterhaltung der polizeilichen Ordnung, nicht zur Sühne eines Rechts- bruches" dient, „wenn auch der Form nach die VerHandlungsweise eines Kri¬ minalprozesses daraus übertragen worden ist."*) Wird gegen diese Strafver¬ fügungen Widerspruch, d. h. Berufung an das Schöffengericht erhoben, worauf wir später noch spezieller zurückkommen werden, so kann die Polizei nicht selbst handelnd auftreten, es kommt auf den Amtsanwalt an, ob er die Strafver- ") S. Gneist a. a. O., Bd. 1, S. 267, Anm. 1.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/346>, abgerufen am 15.05.2024.